Petting
"Für unsere Branche fünf vor zwölf!"

Sportartikelhändler Christian Stippel nimmt kein Blatt vor den Mund – "Respekt, Herr Söder und Co.!"

06.03.2021 | Stand 21.09.2023, 2:18 Uhr

Christian Stippel darf sein Sportartikelgeschäft nicht öffnen. In Discountern werden jedoch Trekkingschuhe, Fahrradhelme oder Sportstöcke verkauft, wie er kritisiert. −Foto: privat

Einen geharnischten Leserbrief hat Christian Stippel an die Südostbayerische Rundschau geschrieben. Thema: Die Situation der Einzelhändler, die in der Corona-Pandemie mittlerweile mit dem Rücken zur Wand stehen. Stippel, der in Petting ein Sportartikelgeschäft mit Lottoannahmestelle betreibt, nimmt dabei kein Blatt vor dem Mund. "Respekt, Herr Söder und Co. – Mit voller Hos’n stinkt ses leicht." – Da ist wohl jemandem wirklich der Kragen geplatzt! Und das gleich in der ersten Zeile.

Die Redaktion hat sich mit dem 52-Jährigen in Verbindung gesetzt, der mit seinem Unmut nicht hinter dem Berg hält. "Wenn ich jetzt das Schimpfen anfang’, dann sind wir heut’ Abend noch nicht fertig", sagt Christian Stippel. Seit Mitte Februar letzten Jahres habe er quasi kein Geschäft mehr gemacht. Schon beim ersten Lockdown sei der ganze Teamsport weggebrochen. Trainingshosen, Schienbeinschützer, Fußballschuhe – nichts wurde mehr gekauft. Im Winter sei der Umsatz um 80 Prozent zurückgegangen. "Ich habe enorme Einschränkungen hinnehmen müssen", so der Pettinger. Über finanzielle Summen möchte Stippel nicht sprechen. "Aber uns Geschäftsleuten sind wirklich die Hände gebunden."

Sportartikelverkauf "neben der Fleischtheke"

Seinen Ärger hat der 52-Jährige lange runtergeschluckt, aber jetzt muss er raus. "Mit Entsetzen sehe ich seit Wochen Werbung über diverse Sportartikel in den Prospekten der großen Discounter Aldi, Lidl, Norma, Netto ... und wie sie alle heißen", schreibt Stippel. "Und die dürfen direkt neben der Fleischtheke Sportartikel – ob Trekkingschuhe, Fahrradhelme oder Sportstöcke – verkaufen! Und wir Sportartikelhändler müssen unsere Geschäfte geschlossen halten!" Und direkt an Ministerpräsident Söder gerichtet: "Wie weltfremd muss ein Politiker, wie Sie und Ihre Kollegen, eigentlich sein?"

"Gerade die kleineren Geschäfte können die vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen doch viel besser und leichter umsetzen", ist Stippel überzeugt. "Hier wühlen keine 30 bis 40 Kunden gleichzeitig in den Verkaufsschütten der Angebote herum, probieren an oder stülpen sich was über, das ist doch eigentlich jedem sonnenklar." In den kleinen Läden, in denen sich meist nur zwei bis drei Personen gleichzeitig aufhalten, sei alles doch viel besser und effektiver zu kontrollieren und dementsprechend umzusetzen. "Wenn bei mir jemand Schuhe anprobiert, dann wird danach jeder einzelne davon desinfiziert", erklärt der Pettinger. Eine Selbstverständlichkeit sei das.
"Aber ein Politiker ist der einzige, der Mist reden darf, weil dem niemand an den Karren fährt", so Christian Stippel gegenüber der Redaktion. "Wenn der Sch... baut, lacht er am nächsten Tag trotzdem raus aus dem Fernsehen. Und wenn er als Wirtschaftsminister nichts taugt, dann wird er Außenminister."

Hoffen, "dass bis zur Wahl nichts vergessen wird!"

In seinem Leserbrief macht sich Stippel unverhohlen Luft. "... Aber natürlich sitzt bei uns kleinen Geschäften keiner Ihrer Kollegen im Aufsichtsrat und schaut drauf, dass sich die Discounter die Taschen vollstopfen und wir wortwörtlich mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen. Dafür großen Respekt, Herr Söder! Man kann nur hoffen, dass solche unverständlichen Maßnahmen bis zur nächsten Wahl nicht vergessen werden!
Oder sollen wir uns in Zukunft einfach zehn Packungen Nudeln ins Regal legen, damit ihr endlich versteht, dass es für unsere Branche auch bereits fünf vor 12 Uhr ist. Und jetzt noch die Krönung auf den ganzen Wahnsinn, jetzt verkauft der Aldi auch noch die Corona-Schnelltests."

Mit 23 Jahren hat sich Christian Stippel selbstständig gemacht. "Ich hab’ schon sehr viel gearbeitet, aber jetzt sehe ich meine Felle davonschwimmen." Er kenne viele, die um ihre Existenz bangten. "Das alles macht mich sehr nachdenklich." Noch dazu lebe der Staat "von unseren Steuergeldern, die Großen zahlen doch eh nix."

215 Quadratmeter umfasst Stippels Laden, der Warenbestand ist immens. Auf Bitte des Verbandes des Sportfachhandels hat die Industrie zuletzt keine neuen Skimodelle auf den Markt gebracht. "Die Skiwerkstatt durften wir gnädigerweise öffnen", so Stippel sarkastisch. Zwei bis drei Paar seien zuletzt in der Woche hereingekommen – bei sonst 40 bis 50.

"Seit frühmorgens sitz’ ich im Büro. Der Einkauf für nächstes Jahr muss geordert werden", erzählt der 52-Jährige. "Wir reden hier nicht von kleinen Summen", verdeutlicht er. "Und ich muss jetzt bestellen. Was ist, wenn einer von unseren lustigen Politikern auf die Idee kommt, im Dezember wieder zuzusperren?"

Jetzt geht es ans Ersparte

Nicht nur Vereins- und Skisport brachen weg. "Das Hauptgeschäft beim Fischen ist uns auch flöten gegangen", so Christian Stippel. Kurz vorm 1. Mai habe man zwar aufsperren dürfen, aber da hätten sich die Fischer schon im Internet eingedeckt. "Für uns blieb nur Kleinmaterial übrig." Jetzt gehe es an das Ersparte. "Im letzten Jahr habe ich im Mai einen Antrag gestellt und bis jetzt noch kein Geld gesehen – nix." Er sei dazu erzogen worden, ein Finanzpolster anzulegen. "Und von dem müssen wir jetzt leben. Von meinem angesparten Privaten!" Stippel ist fassungslos. Auch die Miete für den Laden falle schließlich an. Natürlich könne der Vermieter diese für drei Monate stunden, "aber dann müssen wir sie später nachzahlen. Also, was bringt mir das?"

Gesetzt den Fall, die Situation zieht sich noch länger hin. Was macht Stippel dann? "Dann hören wir auf", sagt er verbittert. Auf das Internet, sprich Google, setzt er nicht. "Da mach’ ich nichts mehr, das hat schon zu viele Kleine die Existenz gekostet." Der Familienvater bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel. "Ich habe zwei Söhne, wo sollen denn die Enkel später eine Lehre machen? Kann man da dann auch den ,Herrn Gockel’ fragen?", meint er spöttisch. Man habe in Petting ein Schuhhaus, Bäckerei, Metzgerei, Elektrogeschäft, einen Blumenladen, das Lagerhaus und einiges mehr. "Das müssen wir schützen! Dann holt man die Bretter für den Zaun eben beim ortsansässigen Zimmerer und nicht im Baumarkt. Das Internet ist unser aller Tod!"