Ehemaliges Kloster neu belebt
Festival "Bergfried wacht auf" begeistert die Passauer + Videos

11.10.2021 | Stand 21.09.2023, 1:39 Uhr

Das Bergfrieder Barockensemble spielte am Freitag den Ausklang in der Klosterkapelle. −F.: Voß

An einem anderen Wochenende hätte man ihn zur späten Stunde gar nicht mehr wahrgenommen: den Passauer Bergfried. Nach Sonnenuntergang schluckt die Dunkelheit das verlassene ehemalige Kloster förmlich – still, düster und einsam ist es hier. Am vergangenen Wochenende nicht: Julia Willeitner hat das Licht angeknipst. In Pink und Rot leuchteten die alten Fassaden, als sie am Freitagabend das dreitägige Festival "Bergfried wacht auf!" eröffnete.



Die Passauer Cellistin und ihre Mitorganisatoren haben das Gelände in einen Ort verwandelt, an dem Kultur und Kulturen aufeinandertreffen: Über die alten Klosterräume erstreckt sich eine Galerie, jeder Raum ist individuell gestaltet. Besonders hervorzuheben ist hier das "Nest", eine Raum-Video-Klanginstallation des in Passau lebenden Künstlers Severin Benedikt Pfaud: Von der Decke hängende Äste werden mit einem Video bespielt – mal brennen sie, mal erstarren sie im Grau. Klänge im Hintergrund untermalen die Atmosphäre und der Geruch nach einem warmen Tag im Wald erfüllt Raum und Besucher.
Draußen im Klosterinnenhof steht eine Bühne – hier spielte am Freitag die Sturmberger Feiertagsmusi mit Klarinette, Flügelhorn, Posaune, Tuba, Gitarre, Percussion und Gesang den Auftakt: Mit Arrangements aus Chile, Brasilien, des US-amerikanischen Filmregisseurs Quentin Tarantino oder dem italienischen Partisanenlied "Bella Ciao" gaben sie einen Vorgeschmack auf das, was die Besucher das Wochenende über erwarten sollte: melancholische Klänge, feurige Rhythmen, ein bisschen Herbstgefühle, ein bisschen Copacabana – Kontraste? Nein, Begegnungen.
In diesem Sinne fügt sich auch der dritte Schauplatz des Festivals, die Klosterkapelle, ins Konzept. Am Freitagabend ließ das eigens gegründete Bergfrieder Barockensemble den ersten Veranstaltungstag hier ausklingen. Julia Willeitner am Cello, Alexander Gergelyfi am Cembalo, Veronica Böhm und Anna-Theresa Sager an der Violine, Daniela Henzinger an der Viola, Magdalena Schauer an der Viole, Danilo Cabaluz an der Barockgitarre und Eva-Leonie Fegers an der Blockflöte pendelten mit Werken von Georg Philipp Telemann und Jean-Philippe Rameau zwischen Hamburg und Paris. Dabei beeindruckten insbesondere die Soli von Eva-Leonie Fegers, deren Leichtigkeit die Schwere des Barocks immer wieder durchbrach.
Mit Initiatorin und Organisatorin Julia Willeitner sowie ihrem Partner, Danilo Cabaluz, ging es am Samstag gleich wieder in der Klosterkapelle auf musikalische Reise. CellAr – so heißt das Cello-Gitarre-Duo – nahm sein Publikum mit nach Lateinamerika. Wie im engen Paartanz bewegten sie sich über den Kontinent – mal zärtlich, mal feurig, immer leidenschaftlich. Zwischen Folklore, Melodien aus den Anden und Tangos Piazzollas präsentierten sie auch eigene Kompositionen von Danilo Cabaluz, wie seine "Tornada del Recuerdo", die er während des Lockdowns geschrieben hatte: Während seine Gitarre in den schönen Erinnerungen an die Zeit davor schwelgt, markiert das Cello mit tiefen Tönen die triste Gegenwart vieler Künstler in diesen Monaten.

Abschluss am Sonntagabend war der Auftritt von Julia Willeitners Bruder Willeitner mit seinem Pool of Invention Ensemble. Sie spielten Livefilmmusik zu Hannes Buchingers Almleben-Film "Der Halter".



Der Bergfried als Festivalgelände funktioniert. Das bestätigen Künstler und die positive Resonanz des Publikums gleichermaßen und sollte Julia Willeitner bei ihrem Plan, das Areal als Kulturstätte zu etablieren, viel Rückenwind geben. Das Licht ist an – lasst es brennen.

Deborah Voß