Landestheater Niederbayern
Es ist kompliziert: "Das (perfekte) Desaster Dinner" in Passau

15.04.2022 | Stand 21.09.2023, 23:19 Uhr

Damit nichts auffliegt, wird gelogen, dass sich die Balken biegen: Ella Schulz (Jacqueline Spiegel), Julian Niedermeier (Stefan Spiegel), Friederike Baldin (Susi Fiala), Julian Ricker (Robert Kalanag). −Foto: Peter Litvai

Schon recht deutlich zu hören, dass es ein Kabarettist war, der die französische Boulevardkomödie "Madame, es ist angerichtet" bearbeitet hat. Unter dem zugespitzten Titel "Das (perfekte) Desaster Dinner" hat das vom Österreicher Michael Niavarani humoristisch auf die Spitze getriebene Stück am Donnerstagabend krankheitsbedingt verschobene Premiere am Landestheater Niederbayern in Passau gefeiert. So viel befreites Lachen wie hier hat man länger nicht gehört.

Und das, obwohl das Thema eigentlich zum Heulen ist: Rund 40 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden, rund 30 Prozent geben zu, fremdzugehen, was wiederum Scheidungsgrund Nummer eins ist. Man könnte das Konzept von Treue hinterfragen. Oder: Man lügt, dass sich die Balken biegen. Letzteres – in Potenz – ist Thema dieses Theaterstücks.

Stefan plant süße Stunden mit seiner Mausimaus, die nicht identisch ist mit seiner Gattin. Diese, Jacqueline, riecht Lunte, bleibt zu Hause und zwingt ihr Bärchen somit in ein monströses Gebäude aus Lügen: Aha, warum ist hier Catering bestellt? Äh, weil, weil ... ok, ich geb’s zu, wir machen Männerwochenende, ich und mein Kumpel Robert. Dumm, wenn gerade da die Geliebte an der Tür klingelt. Hilft nichts, sie muss so tun, als wäre sie die Frau vom Catering. Und da diese Position nun also besetzt ist, muss die echte Frau vom Catering wohl oder übel die Geliebte des Männerfreundes Robert spielen. Was ungünstig ist, weil Robert eine Affäre mit Stefans Ehegattin Jacqueline pflegt.

Eine Lüge ergibt die nächste, jeder spielt, was er nicht ist, und sagt, was er nicht denkt, und tut, was er im nächsten Moment bereut, verheddert sich in der eigenen Argumentation und schiebt die Verantwortung, die Lüge fortzuspinnen, an den nächsten weiter. Was natürlich ein unendlicher Quell von Humor ist: Oder warum sieht Mausimaus-Model plötzlich aus wie eine Vogelscheuche mit bunten Rastas?

Theatertexte dieser Machart lassen erfrischend oft auflachen und haben mindestens zwei Probleme: Die Schraube des Absurden muss immer weiter gedreht werden, was nicht ohne Ermüdungseffekt abgeht. Und zweitens: Wirklich stringent oder dramaturgisch wertvoll kommst du aus so einer Story nicht mehr raus, notgedrungen fällt der Schluss etwas unmotiviert vom Himmel.

Der billig-platte Zug des Ganzen spiegelt sich in der Ausstattung von Dorothee Schumacher und Lutz Kemper: Die Strohbündel im Landhaus sind Attrappen, die Balken-Stadel-Kulissen könnten aus dem Theaterstadel stammen, die neonfarbenen Kuh- und Sauköpfe als Deko schlagen dem Fass die Krone ins Gesicht, oder so ähnlich.

Die Regisseurin Veronika Wolff setzt diesen Wahn in traditioneller Boulevardart auf die Bühne, in hohem Tempo; Stolpern, verfängliche Posen, Torte im Gesicht, alles ist drin. Ella Schulz ist als skeptische Gattin Jacqueline der überlegene Ruhepol des Abends, Julian Ricker versucht als charmanter Kumpel Robert, Würde und Contenance zu bewahren, Larissa Sophia Farr gibt die blasiert-arrogante Model-Schickse, Friederike Baldin spielt die Köchin oft schon etwas über dem Notwendigen, Lukas Franke als deren Mann bleibt die Aufgabe, den Knoten aufzulösen. In seiner letzten Rolle am Haus durchleidet Julian Niedermeier als Stefan sämtliche Zustände von anfangs nur zu Tode verzweifelt bis zu weit Schlimmerem. Nach sechs Jahren verabschiedet er sich ins Freiberufliche und vielleicht auch ins Fernsehen. Danke für die Passauer Jahre, es war eine Freude.

Raimund Meisenberger

Wieder zu sehen 18.4., 13./14./15. 5. und am 3./4.6., Info und Karten: landestheater-niederbayern.de und 0851/9291913