"Internationaler Skandal"
Erzwungene Landung: Belarus drohen neue EU-Sanktionen

24.05.2021 | Stand 24.05.2021, 19:05 Uhr

Eine Sicherheitskraft Spürhund inspiziert mit einem Spürhund das Gepäck eines Ryanair-Flugzeuges. Belarussische Behörden hatten das Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Landung gebracht. An Bord der Maschine war nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna auch der vom belarussischen Machthaber Lukaschenko international gesuchte Blogger Protassewitsch, der demnach in Minsk festgenommen wurde. −Foto: Uncredited/ONLINER.BY/AP/dpa

Nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs in Minsk werden Rufe nach Konsequenzen lauter.

EU-Ratschef Charles Michel hofft dabei auf eine Entscheidung über neue Sanktionen gegen Belarus auf dem EU-Gipfel. "Was gestern passiert ist, ist ein internationaler Skandal", sagte der Belgier am Montag vor Beginn des zweitägigen Gipfels. Die Leben europäischer Zivilisten seien in Gefahr gewesen. Dies sei eine Bedrohung für die internationale Sicherheit und die zivile Luftfahrt. Deshalb werde der EU-Gipfel über Sanktionen beraten. "Wir bereiten verschiedene Optionen vor, verschiedene mögliche Maßnahmen, und ich hoffe, dass wir darüber heute Abend Entscheidungen treffen können."



Behörden der Republik Belarus hatten am Sonntag ein Ryanair-Flugzeug mit mehr als 100 Passagieren auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Landung gebracht - angeblich wegen einer Bombendrohung. Dabei stieg auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 auf, wie das Militär in Minsk bestätigte. An Bord war nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna auch der von Lukaschenko international gesuchte Blogger Roman Protassewitsch, der in Minsk festgenommen wurde. Die EU verurteilte das Vorgehen geschlossen und forderte Protassewitschs Freilassung.

Im Gespräch sind Strafmaßnahmen gegen die Verantwortlichen des Vorfalls sowie ein Landeverbot für die belarussische Fluggesellschaft Belavia an allen EU-Flughäfen, wie es am Montag aus EU-Kreisen hieß. Auch war im Gespräch, den Transitverkehr zwischen der EU und Belarus auszusetzen. Zudem könnten alle Überflüge von EU-Airlines über Belarus ausgesetzt werden. Mehrere Fluggesellschaften kündigten bereits an, den belarussischen Luftraum zu meiden. Die autoritären Behörden von Belarus stellten indes eine Untersuchung in Aussicht.

Keine offiziellen Angaben zum Verbleib des festgenommenen Oppositionsaktivisten und Bloggers

Die EU-Staats- und Regierungschefs könnten die politische Entscheidung darüber treffen. Beschlossen werden müssten Sanktionen dann vom EU-Ministerrat. Die EU hatte wegen der anhaltenden Unterdrückung der Demokratiebewegung in Belarus bereits im vergangenen Jahr mehrere Sanktionspakete gegen Unterstützer des Präsidenten Alexander Lukaschenko verabschiedet.

Auch einen Tag nach der international verurteilten Aktion gab es zum Verbleib des festgenommenen Oppositionsaktivisten und Bloggers keine offiziellen Angaben. Mehrere Passagiere des Ryanair-Flugs bestätigten Medien in Litauen nach ihrer Landung die Festnahme des 26-Jährigen. Protassewitsch, der in seiner Heimat unter anderem wegen Anstiftung zu Protesten gegen Lukaschenko zur Fahndung ausgeschrieben war, hatte im Exil in Litauen gelebt. Ihm drohen in Belarus viele Jahre Haft.

Der junge Mann war nach Angaben seines Vaters auf der Rückreise von einem Griechenland-Urlaub in die litauische Hauptstadt Vilnius gewesen, als Lukaschenko das Flugzeug zur Landung zwingen ließ. Dmitri Protassewitsch sprach von einem staatlichen "Terrorakt".

Vorfall sei "sehr beängstigend" gewesen

An Bord der Ryanair-Maschine waren nach Ansicht von Unternehmenschef Michael O"Leary auch Agenten des belarussischen Geheimdienstes KGB. Er lobte zugleich die Besatzung für ihren "phänomenalen Job". Der Vorfall sei "sehr beängstigend" gewesen, für Personal und Passagiere, die stundenlang von Bewaffneten festgehalten worden seien.

Der irische Außenminister Simon Coveney forderte die EU zu einer "sehr deutlichen Antwort" auf. Österreichs Bundeskanzler Sebastian verlangte "klare Konsequenzen für Belarus". Ähnlich äußerte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas. Frankreich sprach sich für ein Überflugverbot für Belarus aus. Litauen verhängte dies bereits am Montag. Polen verlangte die Aussetzung aller Flugverbindungen zwischen EU-Ländern und Belarus.

Auch die Nato wird sich damit befassen. "Die Verbündeten beraten sich über die erzwungene Landung des Ryanair-Flugzeugs durch Belarus, und die Botschafter werden morgen darüber diskutieren", hieß es aus der Nato-Zentrale. Bereits am Sonntag hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Twitter von einem "schwerwiegenden und gefährlichen Vorfall" gesprochen, der internationale Untersuchungen erfordere.

Belarus sei auch bereit, "Experten zu empfangen"

Belarus zeigte sich indes offen für eine internationale Untersuchung des Vorfalls. "Ich bin sicher, dass wir in dieser Angelegenheit in der Lage sind, volle Transparenz zu gewährleisten", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Anatoli Glas, in der Hauptstadt Minsk. Wenn nötig sei Belarus auch bereit, "Experten zu empfangen" und Informationen offenzulegen, um Unterstellungen zu vermeiden. Beobachter sehen darin den Versuch Minsks, das weitgehend isolierte Land international wieder ins Gespräch zu bringen.

Der Kreml in Moskau sprach sich für eine internationale Untersuchung aus. "Es gibt internationale Luftfahrtvorschriften, und es sind die internationalen Luftfahrtbehörden, die hier die Einhaltung oder Nichteinhaltung dieser internationalen Standards bewerten sollten", sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Dem russischen Außenminister zufolge wird in Minsk wohl auch eine russische Staatsbürgerin festgehalten. Dabei soll es sich um die Freundin des festgenommenen Bloggers handeln.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die die erzwungene Landung scharf. Der Fall klinge nach einer Hollywood-Idee, sei aber keine. "Die Realität dieses offensichtlichen Aktes der Luftpiraterie ist erschreckend", sagte Marie Struthers, Osteuropa-Expertin der Menschenrechtsorganisation. Protassewitsch müsse umgehend in ein Land seiner Wahl ausreisen dürfen. Ähnlich äußerte sich auch die Organisation Reporter ohne Grenzen.

− dpa