PNP-Weihnachtsaktion
Einzige Frau unter Männern: Die Henne im Korb

18.12.2019 | Stand 20.09.2023, 1:30 Uhr

"Kaddy wird nicht geschont und bekommt keine Extrawürste": Als einzige Frau in der Ausbildungswerkstatt von SOS-Kinderdörfer muss die 18-Jährige dasselbe leisten wie ihre männlichen Kollegen.

Als einzige Frau unter lauter männlichen Kollegen macht Kaddy in der SOS-Werkstatt eine Ausbildung zur Tischlerin. Später will sie mit ihren Geschwistern einen Familienbetrieb eröffnen. Insgeheim träumt die 18-Jährige aber von einer Karriere als Fußball-Profi.

Sorgfältig lackiert Kaddy eine Box, die sie selbst geschreinert hat. Wenn sie fertig ist, sollen darin Spenden für SOS-Kinderdörfer in Gambia gesammelt werden. Mit dem Geld könnten bald andere Mädchen die gleiche Chance erhalten wie Kaddy: eine handwerkliche Ausbildung in der SOS-Trainingswerkstatt.

Alle Informationen zur PNP-Spendenaktion lesen Sie auf unserer Sonderseite.

Betten, Schränke, Tische, Stühle – es gibt kaum ein Möbelstück, das die 18-Jährige noch nicht gebaut hat, und dabei hat sie erst ein Drittel ihrer dreijährigen Ausbildungszeit hinter sich. Ob an der Kreissäge, der Hobelbank oder der Bohrmaschine – wissbegierig saugt Kaddy die Ausführungen ihrer Ausbilder auf, prägt sich jeden Kniff ein, feilt täglich an ihrer Technik. Entsprechend zufrieden sind die Berufsschullehrer mit den Möbeln, die sie während ihrer Ausbildung schon gebaut hat.

Kaddy war dabei stets eine Ausnahmeschülerin – denn sie ist die einzige Frau in ihrem Ausbildungsjahrgang. Zusammen mit ihr arbeiten heute sieben junge Männer in der großen Halle. Kaddy trägt den gleichen olivgrünen Overall wie ihre Klassenkameraden und hat auch sonst keine Sonderstellung. "Sie muss genau das Gleiche wie ihre männlichen Kollegen leisten. Kaddy wird nicht geschont und bekommt keine Extrawürste. Das Geschlecht spielt hier keine Rolle. Wir arbeiten als Team", sagt ihr Ausbilder.

Gleichberechtigung ein großes KomplimentWas ein bisschen rau klingen mag, ist im patriarchalischen Gambia Ausdruck einer modernen, die Gleichberechtigung fördernden Einstellung und als großes Kompliment zu verstehen. Auch von ihren Klassenkameraden wird Kaddy genau wie eine von ihnen behandelt.

Ihr gutes Standing verdankt sie nicht nur ihren Qualitäten als angehende Tischlerin, sondern auch einer anderen Fähigkeit, in der sie den meisten ihrer Kollegen deutlich überlegen ist: Fußball! Wenn um 16.30 Uhr Feierabend in der Ausbildungswerkstatt ist, macht Kaddy sich auf den Weg zum Training. Die Mittelfeldspielerin spielt für die U-20-Nationalmannschaft in Gambia.

"Mir macht es Spaß, Möbel zu bauen, aber wenn ich zwischen Fußball-Profi und Tischlerin wählen könnte, dann würde ich doch lieber Fußballerin werden", sagt Kaddy. Vom Fußballplatz kennt Kaddy auch die Zwillingsschwestern Adama und Awa Tamba, die im SOS-Kinderdorf aufwuchsen und jetzt für die gambische Nationalmannschaft Fußball spielen. Da selbst die Stars des National-Teams nicht vom Fußball leben können, betreiben sie eine Kantine auf dem SOS-Gelände (wir berichteten). Ab und zu schaut Kaddy dort vorbei, um etwas zu essen, vor allem aber, um mit ihren Idolen über Fußball zu fachsimpeln.

Von ihren Vorbildern weiß Kaddy, dass die Chance, im kleinen Gambia von einem internationalen Fußballscout entdeckt und gefördert zu werden und später eine internationale Karriere zu machen, äußerst gering sind. Auch wenn sie wegen ihrer Ausbildung jeden Tag einen Teil des Fußballtrainings verpasst, entschied sie sich deshalb für die Lehre bei SOS. Das Handwerk ist vielleicht die weniger glamouröse, dafür die sicherere Einnahmequelle.

Kaddy hätte auch bei einem Tischler eine inoffizielle Lehre machen können, "aber", so die 18-Jährige, "nirgendwo in Gambia ist die Ausbildung so gut wie bei SOS. Nirgendwo lernt man so viel – in Theorie und Praxis."

Wenn sie ausgelernt hat, möchte Kaddy eine eigene Tischlerei eröffnen. Es soll ein echter Familienbetrieb werden. Die zukünftige Chefin weiß bereits, wie sie ihre Pläne umsetzen will: "Ich habe drei Schwestern und zwei Brüder. Ihnen werde ich später alles beibringen können, was sie für unseren Betrieb wissen müssen."