Neue Reisereportagen
Einer, der die Menschen liebt: "Bloßes Leben" von Bestseller-Autor Andreas Altmann

18.04.2022 | Stand 21.09.2023, 0:26 Uhr
Gabriele Blachnik

"Bloßes Leben" heißt das neues Buch von Andreas Altmann, in dem er mehrere Reisereportagen gesammelt hat. −Foto: Piper

"Nicht sterben dürfen, ohne hier gewesen zu sein", wählt Andreas Altmann als sprachgewaltigen Untertitel für eine Reiseepisode über Island, nennt das nordische Land einen "muskulösen Erdteil mit eisig glühenden Gegensätzen". Weiter liest man enttäuschend karge Sätze über Islands faszinierende Landschaften, bis der Autor schließlich bekennt: "Wie sprachbehindert fühlt sich der Reisende. Man müsste ununterbrochen mit Superlativen um sich werfen, um vom Zauberland Island zu berichten. … Jedes Wort zerfällt zu Asche, kein Satz kann die Wahrheit erzählen."

Gelegentlich wirken Altmanns Landschaftsbeschreibungen tatsächlich, als wären die genannten Orte und ihre räumliche Abfolge aus der Landkarte abgeschrieben. Denn selbst wenn ihn ein Land fasziniert – was ihn wirklich interessiert, sind die Menschen. Dafür besucht er Plätze und Regionen, wo er naturgemäß Menschen außerhalb der faden Norm begegnet, und begibt sich freiwillig in extreme und gefährliche Situationen. Nimmt an einer Wallfahrt zu Ehren der hinduistischen Gottheit Shiva teil, die in einem Chaos mit 13 Toten endet. Bereist Kabul, "das nicht aufhört zu bluten". Lässt sich in den Süden Sudans zu den Nuba fliegen, einem vielstämmigen Volk, das um sein Leben kämpft.

Menschliche Existenzen, die aus Sicht eines satten Westeuropäers als gescheitert gelten, betrachtet Altmann als Helden des Daseins. So schreibt er über seine Begegnungen entlang der heruntergekommenen Route 66: "…ach, wie ich Geschichten von starken Frauen und Männern liebe. Die nicht aufgeben, die so lange kämpfen, bis sie das Leben gefunden haben, das sie unbedingt wollten. Oder bravourös scheiterten." In Amsterdam trifft Altmann auf "Architektur und Dope als Beitrag zur Lebensfreude" und betritt "selbstverständlich" viele Zimmer von Liebesdienerinnen, "als neugieriger Reporter, als hungriger Mann". Rotlicht- und Drogenmilieu fallen für ihn unter die Rubrik "Schöne Welt". Auch das von Armut geprägte, "russengraue und stalinrote", in weite Steppen und schneebedecktes Hochgebirge eingebettete Kirgistan. Erst die erschreckendsten Lebensverhältnisse wie in dem "nach Vorhölle stinkenden" Molloch Mexico City mit quadratkilometer großen Slums stellt Altmann in das letzte Buchkapitel "Aussichtslose Welt".

Hier schreibt ein Abenteuerer der Moderne, der auf den Schattenseiten unserer Welt nach Licht sucht. Seine Geschichten folgen keiner Regel. Kurze, an einer Person festgemachte Episoden können es ebenso sein wie längere Ausführungen über die gesellschaftlichen Verhältnisse einer Region. Was all seine Erzählungen und Orte verbindet: Frauen. So heißt es an einer Stelle: "Durchaus erholsam auch der Blick auf die Einwohnerinnen, ach, dieses Land gibt es nicht, in dem die Schönheit von Frauen nicht zur Lebensfreude beiträgt."

Gabriele Blachnik

Andreas Altmann, Bloßes Leben, Piper, 302 Seiten, 17 Euro