Ab 19. September im Kino
Ein Mädchen voller Wut: "Systemsprenger" ist zurecht Oscar-Kandidat

17.09.2019 | Stand 19.09.2023, 5:35 Uhr
André Wesche

Wenn Benni ausrastet (Helena Zengel), ist nichts und niemand vor ihr sicher. Manchmal will sie einfach nur schreien. −Foto: Port au Prince

Benni (Helena Zengel) heißt eigentlich Bernadette, aber dieser Name ist ihr viel zu tussig. In ihren 9 ¾ Lebensjahren hat das Mädchen schon eine wahre Odyssee durch alle Institutionen durch, die sich mit unbequemen Kindern auseinandersetzen. Bennis Mutter Bianca (Lisa Hagmeister) ist mit der Erziehung völlig überfordert, sie konnte die unbändige Energie ihrer Tochter nie positiv kanalisieren. Sie konnte auch nicht verhindern, dass die Kleine als Baby schwer misshandelt und traumatisiert wurde. Bianca ist bestimmt keine böse, aber eine schwache Frau. Benni kann nicht verstehen, dass ihre beiden Geschwister bei Mama bleiben dürfen und sie nicht.



Und sie rebelliert mit allen Waffen, die ihr zur Verfügung stehen. Sie verweigert hartnäckig die Schule. Wenn Benni austickt, dann fliegen Sachen durch die Gegend. Sie schreit, tritt und verwendet übelste Schimpfwörter. Sie sprengt das System der üblichen sozialen Anlaufstellen. Das System kennt nur eine Reaktion auf die Ausbrüche: Ruhigstellung durch Medikation. Es ist der Anti-Gewalt-Trainer Micha (Albrecht Schuch), der den Glauben an das Mädchen nicht verliert. Er schlägt drei Wochen intensive Einzelbetreuung in einer Waldhütte vor, ohne fließend Wasser und ohne Strom. Dafür Natur satt. Der Trip verläuft nicht problemlos, doch er zeitigt deutliche Erfolge. Aber wird dieses positive Erlebnis auch im Alltag nachhallen?

Mit ihrem Spielfilmdebüt hat die Autorin und Regisseurin Nora Fingscheidt die Berlinale verzückt und den Silbernen Bären (Alfred-Bauer-Preis) und den Publikumspreis der Leserjury der "Berliner Morgenpost" eingestrichen. Es war der Lohn für mehrere Jahre intensive Recherche auf einem denkbar schwierigen Terrain, für brillanten Erzählstil und eine vollendete Schauspielerführung.

Unlängst wurde "Systemsprenger" als deutscher Vorschlag für die Kategorie "Bester internationaler Film" bei der Oscarverleihung 2020 eingereicht. Unabhängig davon, ob es mit einer Nominierung klappt oder nicht: Wer diesem Werk den Platz des besten deutschen Filmes anno 2019 streitig machen will, müsste wahre Wunder vollbringen.

D 2019, Regie: Nora Fingscheidt, mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, 120 Minuten, frei ab 12 Jahren
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