PNP-Spendenaktion
"Dürre zerstört alles, was wir aufgebaut haben"

01.12.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

In den Dürregebieten im Osten Kenias sterben die Tiere reihenweise. Für die Nomadenfamilien, deren Existenz von den Herden abhängt, geht es ums Überleben. Mehr als 8100 Kinder gelten allein in der Region Garissa aktuell als lebensbedrohlich mangelernährt. −Fotos: Fischl

Sterbende Viehherden, hungernde Kinder: Was die verheerende Dürre im Osten Kenias bedeutet, erklärt Ernährungsexpertin Shahmat Yussuf im Gespräch mit der PNP. Doch manches könnte auch jetzt besser laufen, räumt die Bezirkskoordinatorin ein und fordert vor allem ein Umdenken in der Familienplanung.

Seit 26 Jahren arbeitet Shahmat Yussuf als Ernährungsexpertin in Kenia. Seit drei Jahren koordiniert sie für den Staat diesen Aufgabenbereich im Bezirk Garissa im Osten des Landes. Die Katastrophe, die sich gerade in den weiten Ebenen dieses Landstrichs an der Grenze zu Somalia anbahnt, stellt auch sie vor eine noch nie dagewesene Herausforderung. "Die Dürre erwischt uns von Jahr zu Jahr schlimmer", erzählt Shahmat Yussuf, als wir uns im Medina Gesundheitszentrum in Garissa zum Gespräch treffen. "Jetzt geht es darum, dass wir verhindern, dass Kinder massenhaft sterben."

Ernstes Zeichen, wenn sogar die Wildtiere betroffen sind

Bereits Ende Oktober rechnete die Regierung Kenias allein für den Bezirk Garissa mit mehr als 8100 Kindern, die lebensbedrohlich mangelernährt sind. "Es wird noch schlimmer kommen, wenn wir in den Nomadengebieten die Kinder nicht rechtzeitig identifizieren, die bereits jetzt unter Hunger und den damit verbundenen körperlichen Folgen leiden", sagt Shahmat Yussuf. In Zusammenarbeit mit Unicef und anderen Hilfsorganisationen versuchen die Helfer, die Kinder in die Gesundheitszentren zu bringen und dort mit Spezialnahrung aufzupäppeln. Die ernsten Fälle werden gleich ins Bezirkskrankenhaus von Garissa überwiesen.

Wird der Notstand ausgerufen, ist es zu spät

Noch wurde von Regierungsseite nicht offiziell der Notstand ausgerufen. Doch Shahmat Yussuf weiß, wenn das eintritt, ist es für viele Kinder schon zu spät. "Jetzt müssen wir die hungernden Kinder erreichen, wenn sie eine Chance haben sollen." Doch diese Buben und Mädchen ausfindig zu machen sei gar nicht so leicht. Die Nomadenfamilien ziehen seit jeher mit ihren Herden durch die weite Savanne auf der Suche nach Trinkwasser und Nahrung für ihre Tiere. Dort, wo sie fündig werden, lassen sie sich nieder und bauen eine Siedlung. Doch in diesen Zeiten werden sie nirgendwo fündig. "Wie ernst die Lage ist, kann man an den Wildtieren erkennen", erklärt Shahmat Yussuf. "In früheren Dürreperioden waren Wildtiere kaum betroffen", sagt die Ernährungsexpertin. "Zum ersten Mal erleben wir, dass auch sie so schwach sind, dass sie in Regionen vordringen, in die sie sonst nie ziehen würden. Man sieht jetzt plötzlich entkräftete Giraffen neben der asphaltierten Straße."

Das fehlende Trinkwasser schwächt Mensch und Tier. "Ohne Wasser kannst du dir nicht mehr selber helfen", sagt Shahmat Yussuf. "Gerade die Nomadenfamilien sind jetzt von Hilfe abhängiger als je zuvor." Ihre jahrelange Aufklärungsarbeit sei ruiniert, sagt die Ernährungsexpertin. "Die Dürre hat alles zerstört, was wir aufgebaut haben." Denn normalerweise habe jede Familie einen kleinen Küchengarten, halte zumindest ein paar Hühner und Ziegen, von denen sie leben könne. Mit genügend Trinkwasser sei auch Hygiene kein Problem.

"Ohne Wasser kannst du dir nicht mehr selber helfen"

Wer trägt die Schuld an der Misere? "Natürlich macht sich der Klimawandel bemerkbar", sagt Shahmat Yussuf. "Diese Umweltfragen gehen alle an, weltweit." Doch die Ernährungsexpertin will nicht nur darauf vertrauen, dass Politiker sich auf CO2-Kompromisse einigen und die staatlichen Weichen dafür stellen. "Wir müssen unsere Bevölkerung fit machen, mit den neuen Herausforderungen zu leben", ist sie überzeugt. Und das gehe nur über Bildung, vor allem der Frauen. "Die Leute hier müssen dazu angeleitet werden, wie sie sich selber helfen können", sagt Shahmat Yussuf.

Eine große Stellschraube sieht sie dabei in der Familienplanung. "Jede Familie sollte nur so viele Kinder haben wie sie auch ernähren kann", findet die gläubige Muslima. "Unsere Religion erlaubt uns Geburtenkontrolle", betont Shahmat Yussuf. Gerade in den ländlichen Nomadengebieten, mit der radikal-islamischen Al-Shabaab-Miliz im Nachbarland Somalia, sei es aber oft noch ein Tabu, darüber zu sprechen. "Aufklärung funktioniert nur über die religiösen Führer." Die säkularisierten unter ihnen seien bereit, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Um auch andere zu erreichen, gibt Shahmat Yussuf viele Radiointerviews, in denen sie über dieses Thema spricht. "Höflich, aber bestimmt. Und immer, immer wieder aufs Neue", sagt die mutige Muslima, die auch Anfeindungen nicht aus dem Weg geht. "Ich weiß, wie ich mit den Leuten sprechen muss."

"Ausbildung der Mädchen ist der Schlüssel"

Wie schafft sie es, die Nomadenfamilien zu überzeugen? "Wir sprechen die Mütter an. Momentan leben die Männer nur für ihr Vieh. Die lassen manchmal sogar schwangere Frauen in den Wehen alleine zurück, wenn sie weiterziehen. Dann treffen die Hirten auf andere Clans, und das sorgt dann für Konflikte. Frauen hingegen siedeln sich lieber in der Nähe eines Bohrlochs an, wo sie Wasser zur Verfügung haben. Sie sind widerstandsfähiger, das Rückgrat der Gesellschaft. Ihre Rolle ändert sich, und deshalb ist die Ausbildung von Mädchen der Schlüssel", sagt Shahmat Yussuf. "Je besser eine junge Frau ausgebildet ist, desto später bekommt sie Kinder. Sie wird sich einen Mann suchen, der ebenfalls gebildet ist, die beiden werden ihre Kinder einschulen und dafür sorgen, dass sie genug zu essen haben. Auch so vermeidet man Mangelernährung."

Doch die Dürre hat die Bevölkerung im Osten und Norden Kenias gerade fest im Griff. Wenn es jeden Tag ums blanke Überleben geht, gerät die Ausbildung der Kinder in den Hintergrund. "Deshalb müssen wir gemeinsam mit Organisationen wie Unicef gerade jetzt dafür sorgen, dass wir die Kinder nicht nur satt kriegen, sondern dass sie auch eine Zukunft haben", betont Shahmat Yussuf.