Sogar auf den Bühnen spielt die Musik nur noch eingeschränkt. Doch noch viel dusterer sieht es aus an Orten, die nicht in erster Linie für Kunst geschaffen sind, in Altenheimen, Kliniken und Schulen zum Beispiel.
Seit inzwischen fast zwei Jahren dominieren Vorsichtsmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen – die Frage nach der Lebensfreude stellt selten wer. Ein neuer gemeinnütziger Kulturverein will das nun grundlegend ändern, in ganz Bayern.
„Wir wollen den Leuten Kraft geben und helfen, dass sie einfach mal wieder was Schönes erleben können“, sagt Christiane Öttl, Musikerin, Pädagogin und Gründerin der Initiative „Dreisatz Kultur“. Der Name soll ausdrücken, „dass wir 100 Prozent Kultur an 100 Prozent der Menschen verteilen möchten.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturvereinen will „Dreisatz Kultur“ Kultur dorthin bringen, wo sie normalerweise eben gerade nicht hinreicht: „zu Menschen, die nie auf die Idee kämen, sich mit dieser Kultur zu beschäftigen, oder die nicht in der Lage sind, daran teilzuhaben – wie zum Beispiel bettlägrige Senioren oder Patienten im Klinikum“, erklärt Initiatorin Christiane Öttl, die als Künstlerin wie als Dozentin und Referentin große Stücke auf die Heilkraft der Musik hält.
Sie soll nicht nur jenen zugute kommen, die sich teure Konzerte locker leisten können. „Wir wollen, dass der Mittelschüler vom Lyriker angeleitet wird, kleine Gedichte zu verfassen. Oder dass der Bewohner vom Sozialbau mit Unterstützung eines Künstlers sein erstes Ölgemälde malt.“
Zugleich ist es dem Verein wichtig, dass die Künstler „ein Honorar bekommen, das diesen Namen auch verdient“. Denn je länger die Pandemie den Künstlern ihr Einkommen raubt, desto absurder ist es, dass sie Benefizaktionen veranstalten und ihre Leistungen verschenken.
Klavierkonzert per Video in Patientenzimmer
Seit Dezember 2021 laufen die ersten Aktionen des Vereins. Öttl selbst, die mit dem Trio „Die Drei Damen“ einem breiten Publikum bekannt wurde und heute als Solistin auftritt, sang und spielte mit Gitarre in beziehungsweise vor mehreren Seniorenheimen. Zweimal wurde ein weihnachtliches Klavierkonzert von ihr aus dem Vortragssaal des Passauer Klinikums auf die Fernsehgeräte und Kopfhörer ins Zimmer eines jeden Patienten übertragen.
In ersten Schritt will „Dreisatz Kultur“ in Vorleistung gehen, der Öffentlichkeit zeigen, worum es dem Verein geht, und das Projekt bekannt machen. Danach – so die Hoffnung – werden sich Institutionen, Spender und Fördermitglieder melden, die das Anliegen unterstützen möchten. Fünf Euro pro Monat investiert ein Fördermitglied in die Idee; auch um öffentliche Gelder will sich „Dreisatz Kultur“ bemühen und ein solides Budget aufbauen. Erst wenn dieses steht, sollen Schritt für Schritt weitere Aktionen organisiert werden, erklärt Öttl. „Wir wollen auch den Künstlern nix versprechen, was wir nicht finanzieren können, das soll verlässlich und vertrauenswürdig sein.“
Inhaltlich und geografisch ist „Dreisatz Kultur“ völlig offen. „Unsere Arbeit stützt sich auf ein ausgeprägtes Netzwerk von mir und den anderen Vereinsmitgliedern“, sagt Christiane Öttl. Wenn in Regensburg oder Bad Reichenhall oder in Nürnberg jemand Gefallen an der Idee findet und die Finanzierung sichert, dann organisiert der Verein eine Aktion und findet – oder kennt bereits – Künstler aus der jeweiligen Region, die sie umsetzen.
Konzerte vorm Fenster und Kunst-Aktionen
Zum Beispiel: Die Mutter ist zur Reha am Chiemsee. Familie und Freunde tun sich zusammen und spenden für ein Konzert mit ihren Lieblingsliedern vor dem Fenster ihres Krankenzimmers. Oder „Dreisatz Kultur“ fährt mit einem Anhänger voller Farben, Pinsel und Leinwände ins Wohngebiet und lädt die Kinder des Viertels ein, als Künstler aktiv zu werden. Oder eine Dichterin besucht den Deutschunterricht einer Schule und erklärt, wie das eigentlich geht, dieses „Dichten“.
So simpel die Idee, so berührend ist ihre Wirkung, wie ein kurzes Video vom „Dreisatz-Kultur“-Auftritt vor der AWO-Wohnanlage in Pocking zeigt, das die Seniorenbeauftragte im Landkreis Passau, Gerlinde Kaupa, gefilmt hat: Eine Gruppe von Damen singt strahlend die „Caprifischer“ mit, eine von ihnen wiegt und dreht sich dazu mit ihrem Rollator im Tanz. „Bella, bella, bella Marie ...“ Für solche Momente wurde der Verein gegründet. Das Video sehen Sie hier in unserem digitalen Feuilleton weiter oben eingebettet in den Artikel.
Mehr Informationen auf www.dreisatzkultur.de. Institutionen und mögliche Förderer können Kontakt aufnehmen per Mail an die Adresse dreisatzkultur@gmx.de.
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