Dieses Tal in Kärnten macht nachhaltig Eindruck

24.08.2019 | Stand 20.09.2023, 2:08 Uhr

Blick von St. Daniel im Gailtal aus auf die Karnischen Alpen: In dieser Region Kärntens gibt es keinen Massentourismus.

Während Politiker über Klima- und Naturschutz reden und Schüler dafür demonstrieren, hat es ein abgelegenes Eck in Kärnten längst angepackt. Im Gailtal und Lesachtal wird Nachhaltigkeit gelebt.

Vordenker, Querdenker, Dickkopf – so wird Herwig Ertl oft beschrieben. Dabei denkt der 46-Jährige schlichtweg gezielt in eine Richtung, nämlich Ressourcen zu schonen, die Natur zu schützen und den Wert und die Qualität regionaler Lebensmittel hervorzuheben. Ein Visionär sei er jedoch nicht, stellt der Vater von vier Söhnen klar. "Ein Visionär hat eine Idee und wartet auf einen Millionär, der ihm Geld gibt, um sie zu realisieren", sagt Ertl und betont: "Ich bin ein Umsetzer."
Im nach seiner Überzeugung köstlichsten Eck Kärntens betreibt Ertl in Kötschach-Mauthen einen Gemischtwarenladen. Freilich keinen gewöhnlichen. Denn Ertl nennt ihn nicht umsonst "Bühne des Genusses". Vor knapp 20 Jahren hat er die Greißlerei, wie das Geschäft im Dialekt heißt, von seinen Eltern übernommen und daraus eine Stätte für Gourmets gemacht. Von hier aus trägt der Edelgreißler seine Botschaft vom genussvollen und achtsamen Umgang mit der Natur, den Mitmenschen und sich selbst in die Welt. Zugleich ist er Sprachrohr der seit 2015 weltweit ersten Slow-Food-Travel-Region, dem Gailtal und Lesachtal im Südwesten Kärntens. Slow Food bedeutet, dass Lebensmittel gut, sauber und fair sein sollten. 41 Prozent der Kärnten-Urlauber würden Wert auf Regionalität beim Essen legen, nennt Ute Zaworka von Kärnten-Werbung das Ergebnis einer aktuellen Gästebefragung.

"Wenn wir hier mit der Natur achtsam umgehen, machen wir unsere Region zur kostbarsten Tankstelle für Nahrung, Geist und Seele", ist Ertl überzeugt. Dabei nimmt der Präsident des Conviviums Slow Food Alpe Adria die Nachbarn mit ins Boot. "Wir haben den besten Fisch, Slowenien das beste Salz und Triest das beste Olivenöl", sagt der Edelgreißler. "Wir brauchen Slowenien und Italien", betont er und stellt in seiner für ihn typischen Art ("Ich halte nichts von falscher Bescheidenheit") heraus: "Es gibt keinen, der das Gemeinsame so lebt wie ich." Und: "Es braucht Leute, die das Talent haben, Wertvolles in die Welt zu tragen." Diese Botschafter-Tätigkeit weiß man auch beim Tourismusverband durchaus zu schätzen: "Der Erhalt und das Sichtbarmachen des Lebensmittelhandwerks und der kulinarischen Tradition ist untrennbar mit Menschen verbunden, die sich mit Leib und Seele, mit Leidenschaft und viel Liebe dieser Aufgabe verschrieben haben", sagt Kärnten-Werbung-Sprecherin Ute Zaworka.
Wenn Herwig Ertl von seinen Herzensangelegenheiten, der Alpe-Adria-Kulinarik, dem Nachbarschaftlichen und den ehrlichen Produzenten, spricht, dann ist er nicht zu bremsen. "Wir sagen, dass der Nachbar auch gut ist. Es ist wichtig, dass wir die anderen Regionen mitbewerben." Denn – und das ist eine von Ertls Kernbotschaften – "wenn wir nicht neidisch sind, haben wir alle genug."
Herwig Ertl, der nach dem Abitur "vieles machte" und "alles aus dem Bauch heraus", ist ein Verfechter des Minuswachstums, wie er es nennt. Was er darunter versteht, erklärt Ertl so: "Ein Bauer kann von zehn Kühen leben", wenn er Gutes produziere und eine Nische besetze. "Dann braucht er keine 120 Kühe." Schon vor Jahren sagte der Kärntner in einem Interview: "Die Politik lenkt nicht nachhaltig, bestimmt werden wir von großen Konzernen. Gerade deshalb müssen wir ständig über unsere regionalen Produzenten reden und sie unterstützen."
Weniger ist mehr, das verkörpert Ertl mit seiner Edelgreißlerei selbst, in der er Biokäse vom Zehn-Kühe-Bauern genauso wie exzellenten Wein aus dem Friaul oder Meersalz aus Slowenien anbietet. Denn eine Filiale seiner "Bühne des Genusses" gibt es nicht. "Man kann nur mit einem Löffel essen", betont Ertl. Man müsse an einem Ort präsent und gut sein – schließlich kaufe doch jeder bevorzugt bei dem ein, der ihm sympathisch sei.
Herbert Zwischenbrugger ist so ein Sympathieträger. Behutsam setzt der Hobbyimker der kleinen Ida eine Biene auf die Hand. Angst vor einem Stich brauche sie nicht zu haben, erklärt er der Siebenjährigen auf seinem Bienenlehrpfad, da die männliche Biene gar keinen Stachel hat. Imker Zwischenbrugger bietet mehrmals in der Saison Touristen an, ihn zu seinen Bienen zu begleiten. Er gehört zu den Produzenten, die im Rahmen von Slow Food Travel Einblick in ihre Arbeit geben.
Vor 18 Jahren hat alles mit einem Stock angefangen, den der Kärntner von einem Freund geschenkt bekam. "Dann hat es mich nicht mehr losgelassen", erinnert sich Zwischenbrugger. Heute hat er 50 Völker, dazu kommen 30 Jungvölker. Und aus dem seit Februar pensionierten Krankenpfleger ist längst ein Bienenfachmann par exzellence geworden. "Die Biene kann ohne den Menschen fast nicht mehr überleben", klagt der 62-Jährige. Bis zu drei Kilometer weit fliege eine Biene, um Nahrung zu finden, erklärt er. Bei Zwischenbrugger reicht ein kurzer Flug zur nächsten blühenden Wiese.
Wer weiß, wie ein Produkt entsteht, schätze die Arbeit des Herstellers und verstehe auch, dass es seinen Preis hat, erklärt Marianne Daberer den Gedanken, der hinter Slow Food Travel steht. Die Hotelchefin, die zusammen mit ihrem Bruder und den Eltern das Biohotel "der daberer" in St. Daniel im Gailtal leitet, macht bei ihren Gästen regionale Produzenten bekannt. Und setzt fast ausschließlich auf sie: Das Frühstücksei stammt vom Hof im Dorf, der Käse vom "Zehn-Kühe-Bauern", der Schinken vom Bio-Landwirt aus dem Lesachtal. Bio liegt Marianne Daberer, ihrem Ehemann Herwig Ertl und ihrer Familie in den Genen.1928 gründete Daberers Urgroßvater ein Heilbad, nachdem er die wirkstoffreiche Quelle am Waldrand von St. Daniel erfasst hatte. "Genau deshalb steht unser Hotel an dieser Stelle", erklärt Marianne Daberer (40) die Ursprünge. 1978 begannen dann ihre Eltern Inge und Willi mit Bio, in einer Zeit, als noch so gut wie niemand etwas damit am Hut hatte. Nicht nur das Hotel, auch das Konzept sei sukzessive gewachsen. Der Bio- und Qualitätsgedanke zieht sich dabei durchs ganze Haus. Drei Jahre habe sie etwa daran gearbeitet, eine Seife zu finden, die ihren Ansprüchen gerecht wird. "Gefühlt schon immer hatten wir eine Honigseife, die Gäste haben sie geliebt", erinnert sich Marianne Daberer. Aber die Seife ist parfümiert, der Honigduft wird künstlich hergestellt. Nach langer Suche wurde sie fündig, "bei zwei Mädels in Salzburg". Petra Schröckeneder hat 2015 ihre eigene Marke gegründet und stellt seither rein pflanzliche Pflegeprodukte her. "Diese sind dreimal so teuer, aber das ist Qualität", so Marianne Daberer.
Das Paar Daberer/Ertl ruht sich freilich nicht auf dem bereits Erreichten aus. Sie haben ein neues Projekt im Visier: Slow Food Village. Im vergangenen Jahr hat Kärnten von Slow Food International den Auftrag erhalten, das weltweite Leitprodukt Slow Food Village zu entwickeln. Acht bis zehn Gemeinden sollen daran teilnehmen. Das Ziel ist, "Orte guten Lebens" zu schaffen. So wie St. Daniel.
SLOW FOOD
Slow Food wurde 1989 von Carlo Petrini im italienischen Piemont gegründet. Er ist heute internationaler Slow-Food-Präsident und tritt dafür ein, dass Lebensmittel gut, sauber und fair sein sollten. Sie sollen herausragend schmecken, ökologisch und nachhaltig hergestellt werden und den Produzenten einen fairen Preis einbringen. Die Slow-Food-Bewegung ist in 130 Ländern mit rund 100000 Mitgliedern vertreten.
INFORMATIONEN
Das Gailtal und Lesachtal im Südwesten Kärntens sind im Vergleich zum Wörthersee oder Millstätter See eher untouristisch und sehr ursprünglich.

ANREISEN
Mit dem Auto über die Tauernautobahn bis zur Ausfahrt Spittal an der Drau. Etwa eine Stunde später erreicht man den Zielort St. Daniel im Gailtal.

ÜBERNACHTEN
Im 4-Sterne-Superior-Biohotel "der daberer" in St. Daniel sind im Zimmerpreis neben dem Frühstück ein Mittagsbüffet sowie ein Vier-Gänge-Abendmenü enthalten. Das ganze Haus wird durch die hoteleigene Heilquelle versorgt. Das Trinkwasser ist für die Gäste kostenlos.
www.biohotel-daberer.at

www.slowfood.travel
www.slowfoodaustria.at
Redakteurin Isabel Metzger recherchierte mit Unterstützung des Hotels "der daberer".