Vilshofen
Die Reisebüros – wieder am Boden

20.10.2020 | Stand 20.09.2023, 1:34 Uhr

Der Lago d’Iseo im Norden Italiens ist ein typisches Reiseziel der Menschen aus Bayern. Doch die Unsicherheit ist groß. Darf ich noch reisen – und darf ich dorthin fahren? −Foto: Mühling

Spontan dem Alltag entfliehen und das zu einem Schnäppchen-Preis – lange Zeit war der sogenannte Last-Minute-Urlaub eine von vielen Optionen auf dem Reisemarkt. Ihren Umsatz aber machten die Reisebüros hauptsächlich mit im Voraus geplanten Pauschalreisen. Wenn man so will, gibt es in diesen unsicheren Corona-Zeiten nur noch Last Minute. Keiner plant mehr, jeder ist verunsichert. Auch und vor allem die Reisebüros.

"Momentan ist es sehr ruhig", sagt Sabine Unertl vom Reisebüro "sonnenklar" mit Filialen in Vilshofen, Passau und Deggendorf. Normal klickt sie mehrmals am Tag auf "Buchen", momentan macht sie das zwei- bis dreimal in einer Woche. Wenn überhaupt. Stattdessen beschränkt sich ihr Tätigkeitsbereich auf stornieren und umbuchen. Abflugdatum ungewiss.

Sonnenklar ist momentan nur, dass in den Reisebüros im Jahr 2020 die Sonne nicht mehr scheinen wird. "Wir können das Jahr so gut wie abschreiben. Von Herbst bis Januar wird nicht mehr viel stattfinden", sagt Unertl. Fast schon verzweifelt fragt Johann Wurm vom Reisebüro Fischer in den Hörer: "Wo sollen wir die Leute hinschicken?" Griechenland, Zypern, Teile Portugals, Teile Italiens und Namibia – das sind die Länder, in die man aktuell noch hinfahren kann. Ohne Test, aber mit einem schlechten Gewissen.

"Die Politik verunsichert die Bevölkerung in puncto Reisen", meint Claudia Sterr von der gleichnamigen Reisewelt. Bestes Beispiel sei eine Kampagne der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen mit dem Titel: "Corona ist keine Reise wert." Sterr widerspricht dieser. Sie war im Sommer selbst auf Mallorca und vor kurzem mit der Stadt Vilshofen an der Mosel und findet: "In den Urlaubsregionen wird alles getan, um den Gästen eine bestmögliche Sicherheit zu garantieren. Besonders Flugreisen waren nie so entspannt wie im Moment." Johann Wurm pflichtet ihr bei: "Man kann auch auf Reisen Abstandsregeln einhalten. Ich verstehe nicht, warum immer so getan wird, als könne man sich in Deutschland nicht anstecken." Und Sabine Unertl meint: "Die Politiker haben nicht gerade mit Reisen geworben." Sie muss fast selbst über ihre Untertreibung lachen.

Hört man sich in den Reisebüros in Vilshofen um, wird klar: Die Kunden sind verunsichert. Aber am meisten Angst haben sie nicht vor einer Infektion mit dem Corona-Virus. Sondern vor dem "Danach": Muss ich einen Corona-Test machen? Muss ich in Quarantäne? Was sagt mein Arbeitgeber dazu? Fragen über Fragen, beantworten müssen sie die Reisebüros, die sich in diesen Zeiten besser mit den neuesten gesetzlichen Bestimmungen auskennen müssen als mit dem neuesten Designer-Hotel auf den Kanaren.

Sabine Unertl erzählt: "Die meisten haben Angst, dass sie in Quarantäne müssen oder dass sie sich auf der Reise anstecken und dann dort festsitzen." Zum Beispiel in der Türkei sei das aber gut geregelt. "Sollte man positiv getestet werden, wird man dort in dem Hotel isoliert. Die Kosten werden übernommen." Die Angst, in einer Absteige zu landen, sei also unbegründet.

Aktuell gilt eine punktuelle Reisewarnung. Je nach Infektionsgeschehen entscheiden Regierung und Robert-Koch-Institut, wo man hinfahren kann und wo lieber nicht. Mehr als einmal hört man den Satz: "Es kennt sich keiner mehr aus". Claudia Sterr erklärt: "Es gibt ganz unterschiedliche Quarantäne-Bestimmungen." Sie lobt die Corona-Ampel für Reisen, wünscht sich aber noch mehr Einheitlichkeit, zum Beispiel in Hinsicht auf die Testpflicht.

Ein kurzer Rückblick: Am Anfang der Corona-Pandemie war Urlaub überhaupt nicht möglich. Am 15. Juni dann wurde die allgemeine Reisewarnung aufgehoben. "Wirklich aufgeatmet hat da noch keiner, aber es war immerhin ein Durchschnaufen", meint Claudia Sterr. "Seit den neuesten Beschlüssen ist es nun wie abgeschnitten." Um diese Jahreszeit sei normal Hochbetrieb, heuer gehe es nur darum, durchzuhalten. Irgendwie.

"Aufatmen? Um Gottes willen", sagt Petra Spanner vom Reisebüro Breitengrad. "Seit Mai kümmern wir uns nur darum, dass die Leute ihr Geld wieder zurückbekommen." Das Problem sei, dass man die Veranstalter nur per E-Mail erreiche und erst nach Wochen eine Antwort bekomme. "Es gibt keine Ansprechpartner mehr." Was Spanner nicht verstehen kann: "Große Konzerne wie Lufthansa oder TUI wurden von der Regierung subventioniert, mit der Auszahlung abgesagter Reisen hapert es jedoch beträchtlich." Sie beklagt "doppelten Aufwand bei null Verdienst".

Wirtschaftlich bringt die Pandemie die Reisebüros an ihre Grenzen. Dabei gilt: Je mehr Mitarbeiter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, jemanden entlassen zu müssen. Die kleineren Büros bleiben in ihrer Besetzung, zum Beispiel Johann Wurm und seine Frau Raphaela Fischer. Das gilt auch für Petra Spanner und Alfred Wagner vom Reisebüro Breitengrad. Spanner meint: "Man muss einfach abwarten und irgendwie durchhalten." Sabine Unertl vom Reisebüro "Sonnenklar" konnte "Gott sei Dank alle Mitarbeiter behalten". 50 bis 60 Prozent seien aber noch in Kurzarbeit. Nicht so bei Claudia Sterr. Statt acht Mitarbeiter hat sie momentan nur noch vier. "Zwei haben sich umorientiert, eine hat ein Baby bekommen und eine weitere hat sich eine Auszeit genommen", erklärt sie.

Mit Blick auf die ständig wechselnden Reisewarnungen meint Petra Spanner: "Da vergeht einem die Lust, überhaupt etwas zu buchen, wenn man nicht weiß, ob es klappt." Die Branche sei ziemlich am Boden. "Die ganze Stimmung ist so mies. Dabei ist Urlaub ja eigentlich etwas Schönes." Besser kann man die Tristesse der Reisebranche im Corona-Jahr nicht zusammenfassen.