Nach dem 2:2 gegen Ungarn
Deutschland ist im Achtelfinale - aber welch ein Zittern

24.06.2021 | Stand 20.09.2023, 6:05 Uhr

Deutschlands Joshua Kimmich (l) und Attila Fiola (M) aus Ungarn kämpfen um den Ball. −Foto: dpa

Was für ein Drama! Joachim Löw Abschiedsmission kann weitergehen!

Im dritten EM-Spiel war die deutsche Nationalmannschaft am Mittwochabend zwar weit von der Leistung des Portugal-Spiels entfernt, doch die Deutschen zeigten gegen Ungarn große Moral und erkämpften sich nach zweimaligem Rückstand in München ein 2:2 (0:1). Das reicht für Platz zwei der Gruppe und den Einzug ins Achtelfinale, wo ein Duell am kommenden Dienstag mit England wartet. Kai Havertz (67.) und Leon Goretzka (84.) wendeten für die DFB-Auswahl den drohenden Knock-out nach den Toren von Adam Szalai (10.) und Andras Schäfer (68.) ab. Damit bleibt Löw das nächste blamable Vorrunden-Aus nach der WM 2018 in Russland erspart. Nach überstandener Zitterpartie war der Jubel gewaltig.
Richtig laut wurde es im Stadion schon eine gute Stunde vor Anpfiff. Die ersten Ausläufer des angekündigten Unwetters rollten mit Schnürlregen und ohrenbetäubendem Krach auf dem Dach über den Münchner Norden hinweg. Ein Regenbogen am Abendhimmel, passend zur intensiven Diskussion um die Beleuchtung der Arena, blieb danach ein Wunschdenken. Dafür hatten Aktivisten Tausende kleine Regenbogen-Flaggen im Umfeld an Fans verteilt. Und ein Flitzer trug die Regenbogen-Farben mit einer flatternden Fahne während der ungarischen Hymne vor die Mannschaft der Magyaren; Begeisterung bei den deutschen Zuschauern, dumpfe Schmähgesänge aus dem ungarischen Block. Dann ging es um Fußball.

Ein bisschen frischen Wind

Ein bisschen frischen Wind musste auch Bundestrainer Joachim Löw in die Mannschaft bringen: Für 90 Minuten reichte es bei Thomas Müller nicht. An seine Stelle setzte Löw dessen Teamkollege Leroy Sané, den er gegen die Portugiesen erst ab der 88. Minute eingesetzt hatte. "Ich glaube, der Leroy brennt auf diese Chance", sagte Löw unmittelbar vor dem Spiel. Der 25-Jährige habe "in der Offensive alle Qualitäten". Den vielfach erwarteten Leon Goretzka hielt Löw nach langwieriger Verletzung und einem Kurzeinsatz für noch nicht soweit, um die volle Distanz zu gehen.
Auch mit dem letztlich enttäuschenden Sané blieb die Taktik unverändert: Robin Gosens und Joshua Kimmich sollten über die Außen kommen. Doch darauf hatte sich Ungarn mit einer Fünferkette in der Abwehr sehr gut einstellt. Trotzdem schien alles eine Kopie des Samstagsspiels zu werden. Eine gute Chance für die DFB-Elf zum Auftakt, als Kimmich den ungarischen Schlussmann Peter Gulacsi schnell prüfte (3.), dann folgte der Schockmoment: Der Ronaldo vom Wochenende hieß diesmal Adam Szalai. Der Mainzer Stürmer köpfte eine Halbfeldflanke zwischen Mats Hummels und Matthias Ginter fast unbedrängt an Manuel Neuers ausgestreckten Arm mit der Regenbogen-Binde vorbei zum 0:1 (10.) ein. Die Ungarn hatten zwar nicht wie in Budapest fast 60 000 fanatische Anhänger im Rücken, auch Ministerpräsident Viktor Orban war daheimgeblieben, der Jubel über den überraschenden Führungstreffer war dennoch gewaltig.

Ein längerer Moment um sich zu sammeln

Die Deutschen brauchten einen längeren Moment, um sich zu sammeln und als virtueller Tabellenletzter gegen den drohenden Knock-out anzukämpfen. Es war klar, jetzt würde es ein Geduldsspiel gegen die extrem defensiven Gäste werden. Zunächst rutschten Feind und Freund an einer scharfen Hereingabe von Kai Havertz vorbei (17.), Serge Gnabry ganz knapp. Dann köpfte Mats Hummels eine Kimmich-Ecke sogar an die Latte (21.), direkt gefolgt von einer Großchance für Ginter, der den Ball in die Arme des starken Gulacsi spitzelte. Das drohende Unwetter auf dem Feld begleitete nun der heftige Sturm über dem Stadion. Im immer dichter werdenden Regen verlor die DFB-Elf die Spur, ließ die Ungarn bis zur Halbzeit aufkommen.
Löw warf dann bald doch Leon Goretzka (55.) in die Schlacht. Die Ungarn wiederum warfen sich Vehemenz in jede Offensivaktion der Deutschen. Als Löw schon den Doppelwechsel mit Müller und Timo Werner vorbereitete, traf sein Team unter Gulacsis Mithilfe. Der Keeper faustete an einer Kimmich-Flanke vorbei, Hummels köpfte und Havertz drückte den Ball zum Ausgleich über die Linie (67.). Doch nur 15 Sekunden nach Wiederanpfiff schmiss sich Schäfer waghalsig in einen langen Ball und köpfte seinerseits an Neuer vorbei zur erneuten Führung für die Ungarn - und stürzte Deutschland zunächst ins Tal des Jammers. Doch Goretzka (84.) rettete den Tag und Löws Ära.