Der Salzfischer von Amrum

07.10.2016 | Stand 07.10.2016, 21:45 Uhr

Das fertige Produkt: Andreas Thaden präsentiert sein Amrumer Meersalz – beim Häufchen rechts sind die Kristalle sogar zur besonderen Pyramidenform getrocknet. − Fotos: Lambach

Krabbenfischer Andreas Thaden stellt "Amrumer Meersalz" aus Nordseewasser her − das kommt an, bei Gastronomen wie Touristen gleichermaßen.

Am liebsten holt er es nachts. Im Dunkel der Nacht ist es klarer, das Plankton hat sich in die Tiefe zurückgezogen. Liter um Liter schöpft er das Nordseewasser, ein paar Kilometer vor der Insel Amrum, in ein Plastikfass. Dann darf es erst einmal ruhen. Er vielleicht auch: Andreas Thaden, 57 Jahre jung, weißblond, blauäugig, ist Fischer. In siebter Generation. Er ist heute der einzige Berufsfischer, den die Insel hat. Doch mit seinem Krabbenkutter "Butjadingen" ist er nicht nur hinter Krabben & Co. her: Wie nebenbei holt Andreas Thaden das Salz aus dem Meer.

Er trocknet das Wasser dank der Abwärme seines Motors und schöpft dann das Salz ab. So kommen Amrum-Fans in den Genuss, den Geschmack "ihrer" Insel genießen zu können – nicht nur, wenn sie beim Bad in der See das salzige Wasser von den Lippen lecken. Wasser schlucken ist übrigens nicht wirklich lecker: 3,5 Gramm Salz pro Liter Wasser hat die Nordsee. In einem Fläschchen Salz, wie es Thaden verkauft, stecken 40 Gramm, also elf Liter Nordseewasser, die locker in die kleinste Damen-Handtasche passen.
Irgendwann war sie da die Idee mit dem Salz. Wenn er in seinem Steuerhaus sitzt, hat er Zeit zum Überlegen. Er wollte mit dem Salz die Menschen zum Nachdenken anregen – Salz aus der Nordsee! Da war doch was: Schmutz, Dreck, Verklappung, die Kronos Titan ... Das war mit ein Grund, warum sich Thaden Ende der 1970er Jahre bei Greenpeace engagierte. Inzwischen hat sich vieles geändert, weil man gelernt hat. Die Erfolge aber, so findet er, werden nicht gut genug verkauft. Oder es wird nur halb informiert, zum Beispiel über die süßen Robben: Die fressen 50 Kilo Fisch am Tag – das Futter muss ja irgendwo herkommen, rechnet der drahtige Mann mit der dunklen Sonnenbrille vor. Erfolge habe man: Die Nordsee hat, so sagt er, die zehntbeste Wasserqualität der Welt, die Muschel vor Sylt sei die beste, weil das Wasser so sauber ist. Am Anfang war der Umwelt-Gedanke Die Fischereipolitik der vergangenen Jahre schlage sich nieder: "Wir haben unsere Fischbestände wieder – vor allem bei der Scholle." Auch die Tatsache, dass das Watt – ein spannendes und gleichzeitig entspannendes Stück Erde und Meer zugleich – Weltkulturerbe ist, sei ein Erfolg des Umdenkens. Auch auf diese Zusammenhänge will Thaden mit seinem Salz aufmerksam machen.
Der Umgang mit der Umwelt brachte ihn vor 17 Jahren nach Amrum: Ursprünglich stammt Thaden aus Butjadingen. Das liegt im Jadebusen zwischen Wilhelmshaven und Bremerhaven. Dort wurde die Weser vertieft. Darüber gerät er noch heute in Rage: "Das war eine gigantische Raumveränderung!"

Ein Grund für ihn, sich nach Alternativen umzusehen. "Wir Fischer fischen ja an der ganzen Küste", sagt er, aber "wir brauchen auch eine heimische Küste, so was wie ein Wohnzimmer". Vor Amrum hatte er schon seit 1995 gefischt, er kannte auch diese Ecke, "das war für mich ertragreicher". Also machte er die Nordsee um Amrum zu seinem neuen Wohnzimmer. Seine Frau Milu war einverstanden, die zwei Söhne auch. So ist Thaden heute der Einzige, der hier wohnt und Berufsfischerei betreibt.

Die etwa 2000 Amrumer haben ihn gut aufgenommen: "Amrum hat immer Leute von außen gebraucht, weil sie sich selbst nicht ernähren konnten. Wenn ein Fischer kommt, dann ist das ganz was anderes, als wenn ein Beruf da wäre, den keiner braucht", sagt er selbstbewusst. Heute schreiben die wenigen Gastronomen, die Thaden auf der Insel auserkoren hat, sie zu beliefern, auf ihre Tageskarten, dass "unser Fischer Thaden" das und das geangelt hat, was heute auf den Tisch des Hauses kommt. Thaden findet, dass man schon wissen muss, wie man mit dem Fisch, den Krabben richtig umgeht. Nur wenn Wissen, Können und Liebe zu den Produkten da ist, ist auch Thaden mit dabei.

Der Mann in blauem T-Shirt, kurzer Hose und Birkenstock-Sandalen ist auch ein Perfektionist. Auf seinem Kutter, beim Fisch und beim Salz. Dass das Nordseewasser nachts klarer ist als tags, ist ihm nicht genug: Er lässt das Wasser in großen Fässern noch 48 Stunden ruhen, damit sich letzte Plankton-Reste am Boden absetzen. Dann darf es auf die Pfanne über dem Motorraum. Die Schläuche für die Abwärme des Motors laufen drumherum, die Wärme wird so in die Pfanne geleitet, das Wasser kann langsam verdunsten. Es braucht keine zusätzliche Energie, es gibt kein Abwasser, eine saubere Sache. Spricht’s und pickt mit einer Pipette ein winziges Stück aus der Salzpfanne: "Das ist Seegras, das muss weg."

Es ist ein kontinuierlicher Gewinnungsprozess, bis das Salz mit einem kleinen Sieb abgeschöpft werden kann. Das "Fleur de Sel", die "Blume des Salzes", die als zarte Flocke auf dem Wasserspiegel schwimmt, wird immer wieder abgeschöpft – dann erst das, was am Boden bleibt. Thaden gibt das Salz durch ein Küchensieb mit Filterwolle, drückt es mit schneller Handbewegung ein paar Mal auf und nieder, damit auch ja der vorletzte Rest Wasser herausgedrückt wird. Anfangs hat er dafür eine Salatschleuder benutzt. Doch das war ihm nicht gut genug. Oder zu umständlich.

Von Schnee und PyramidenDabei ist Thaden alles andere als ein Daniel Düsentrieb: "Ich habe ein Problem und suche Lösungen", rückt er cool die Dinge zurecht. Einfach überlegen und ausprobieren. So kam er auf emaillierte Backbleche als Nachtrocknungsform – das aggressive Salz mag nicht jedes Material. Die Backbleche werden in Sand gebettet – damit auch ja alles gleich gut trocknen kann, egal, wie sein Kutter sich bewegt.

Überhaupt die Bewegungen des Kutters: Sie sorgen dafür, dass die Salzkristalle immer anders werden. So hat er zum Beispiel schon große Kristalle in Pyramidenform ernten können. Schnee hat er auch. "Wenn du Schnee hast, bist du der Größte", hat ihm ein Salz-Experte gesagt. Schnee hat er. Aus Salz. Schmilzt hervorragend auf Steaks oder rohem Fisch.

Andreas Thaden wurde überrascht vom Erfolg seiner Salz-Idee. Im April 2015 hat er sein erstes Salz unter www.amrumer-meersalz.de vorgestellt, heute fragen Sterneköche danach. Thadens Frau Milu verkauft Salz und Krabben im "Steuerhaus" an der Steenodder Mole. Wenn die rote Fahne gehisst ist, die bis zum Fähranleger in Wittdün sichtbar ist, gibt es Krabben und Salz frisch vom Kutter.

Vier, fünf Kilogramm erntet Thaden in der Woche. Zu Beginn war es gerade mal ein Kilo. Abgepackt wird es zu Hause. Manchmal helfen Freunde mit, das weiße Gold der Nordsee in Gläser abzufüllen. Das gefällt ihm. Inzwischen haben auch schon Sterneköche bei ihm in der Küche sein Salz verarbeitet, "Das sind Geschmacksexplosionen", schwärmt er. Immer mehr Gastronomen fragen nach. "Das Salz ist vielleicht auch ein Lifestyleprodukt."

Ein richtig gutes Souvenir ist es sowieso: Für jene Urlauber, die "ihre" Insel lieben: eine einzige, kilometerlange Sandbank, die Ruhe schenkt wie kaum eine andere Insel, die nie überlaufen ist, auch in der Hochsaison nicht, eine Insel, die man immer wieder besuchen möchte, wo man sich immer wieder von den Nordsee-Wellen schaukeln lassen möchte. Mit dem "Amrumer Meersalz" nehmen Fans ein Stück Nordsee mit nach Hause: den Geschmack der kleinen Insel mit dem riesengroßen Strand. Um bis zum nächsten Urlaub das Salz der See auf den Lippen zu spüren.

INFORMATIONEN

Amrum ist eine nordfriesische Insel, sie liegt unterhalb von Sylt. Der Strand ist eigentlich eine einzige Sandbank – der "Kniepsand" zieht sich von der Südspitze bei Wittdün über die ganze zur See gewandte östliche Seite neun Kilometer bis an die Nordspitze. Der Kniepsand heißt so, weil er kniept – kneift – , wenn der Wind ihn über den Strand fegt.

ANREISEWeil kurz vor Schluss noch eine Fähre zu nehmen ist, stemmt man die 1050 Kilometer am gemütlichsten mit der Bahn – inklusive Übernachtungsstopp in der Hafencity Hamburg oder in Husum (Hotel "Altes Gymnasium"). Auf der Insel nutzt man den Bus oder fährt Rad.

ÜBERNACHTEN
Hotel "Seeblick" in Norddorf (www.seeblicker.de) oder in einer Ferienwohnung, z.B. im "Turmzimmer" von Familie Bissegger-Buda in Wittdün (www.bissegger-buda.de). Hier hat sich der Zimmerermeister Bissegger "ausgetobt", alle Räume haben Seeblick – unbedingt sehr früh buchen!

AUSFLUGSTIPPSZur Wattwanderung nur mit Fachleuten – es gibt kurze Touren und die große zur Nachbarinsel Föhr.

Rauf auf den Leuchtturm bei Nebel (nur vormittags).

Zur Mühle in Nebel (die alte Mühle ist Heimatmuseum).

Immer wieder: an den Strand.

www.amrum.de

Redakteurin Ina Lambach hat Amrum zu ihrem Lieblings-Reiseziel erkoren und genießt die Insel seit fast 20 Jahren.