Netflix-Serie "Messiah"
Christus im Selfie-Zeitalter

14.01.2020 | Stand 19.09.2023, 20:49 Uhr

Seinetwegen gerät die Welt aus den Fugen: Der mysteriöse Unbekannte, von seinen Anhängern "Al-Masih" (der Messias) genannt. −F.: Netflix

Krieg, Armut und Naturkatastrophen auf der einen, Gier, Nationalismus und Sittenverfall auf der anderen Seite der Welt. Aus schwarzmalerischer Sicht täte dem 21. Jahrhundert die Wiederkehr von Jesus Christus wohl ganz gut. Oder etwa nicht? In der zehnteiligen Serie "Messiah" tritt dieser Fall zumindest mutmaßlich ein. Ob dieses monumentale Ereignis nach Meinung des Drehbuchautors Michael Petroni ("Die Bücherdiebin") den Weltfrieden bringt oder die Menschheit noch mehr ins Chaos stürzt, erfährt der Zuschauer exklusiv auf Netflix.

Die Geschichte beginnt im Syrien der Jetztzeit. Etwa 2000 Menschen flüchten vor dem Krieg gen Wüste, an die Landesgrenze. Angeführt werden sie von einem mysteriösen jungen Mann, den sie nicht weniger als "Al-Masih" (arabisch für Messias) rufen.



Petroni und die Regisseure James McTeigue ("V wie Vendetta") und Kate Woods ("Person of Interest") lassen ihre Figuren durchgängig in Originalsprache – wie eben arabisch oder hebräisch – sprechen, um mehr Authentizität zu erzeugen. Das gelingt einerseits auch, die platten Dialoge – besonders in den ersten Folgen – neutralisieren diesen Effekt jedoch nahezu gänzlich. Und ja, der Messias, was soll man sagen? Der Zuschauer hätte ihn wohl auch ohne Namensnennung erkannt. Die von Mehdi Debhi hervorragend charismatisch und mit einem stets durchdringenden Blick verkörperte Figur bedient wohl alle Jesus-Klischees, die die westliche Welt zu bieten hat: Wallendes, langes Haar, eine zierliche Gestalt und ein makelloses Gesicht. Aber vielleicht braucht es neben Charisma eben auch ein solch an normative Ideale geknüpftes Äußeres, um die Massen so zu begeistern.

Durch einen Zwischenfall an der Grenze gerät der Unbekannte ins Visier der CIA und des israelischen Geheimdienstes. Agentin Eva Geller (überzeugend gespielt von Michelle Monaghan) vermutet ihn ihm einen aufstrebenden Terroristen-Führer à la al-Baghdadi und setzt sich für seine Verhaftung ein – das alles während sie nebenbei ihre vierte Fehlgeburt erleidet, gezeugt aus dem Sperma ihres verstorbenen Ehemanns.

Auch die weiteren Protagonisten der unterschiedlichen Handlungsstränge werden überladen mit konstruiert wirkenden Problemen. Da wäre der texanische Priester, der mangels Kirchgänger in finanzieller Not steckt, warum seine Frau auch immer mehr zum Alkohol greift. Oder der toughe israelische Agent (Tomer Sisley), der sich im Rosenkrieg befindet und um die Gunst seiner kleinen Tochter buhlt. All das hat man irgendwo schon einmal gesehen. Daraus resultieren vorhersehbare Dialoge, die trotz der überzeugenden Leistungen des eher unbekannten Casts ermüdend wirken.

Sind die für Perspektivwechsel durchaus wichtigen Nebenfiguren aber erst einmal quälend eingeführt, beginnt die Geschichte sich von sinnlosen Drehbuch-Baukasten-Klischees zu lösen und Fahrt aufzunehmen.

Der Fokus wird endlich gelegt auf die überaus spannende Frage, wie die Welt auf eine vermeintliche Wiederkunft von Jesus Christus reagieren würde – seitens westlicher Politik, fundamentalistischer Mullahs und der normalen Bevölkerung. Denn der polarisierende Unbekannte erregt in Windeseile globale Aufmerksamkeit, dank vermeintlicher Wunder und den sozialen Netzwerken – bis hin zu einem tiefgründigen Vier-Augen-Gespräch mit dem US-Präsidenten.

Der Stotterstart von "Messiah" wirkt abschreckend. Wer die ersten Folgen jedoch übersteht, wird sich immer häufiger dabei erwischen, Antworten auf Fragen finden zu wollen, die sich die Menschen in der Serie zu stellen beginnen.

Abrufbar auf Netflix