"Ma Rainey’s Black Bottom" auf Netflix
Bluessängerin Ma Rainey – Nicht nur am Mikro eine starke Stimme

15.12.2020 | Stand 20.09.2023, 3:19 Uhr
Sascha Rettig

"Mother of Blues": Die exzentrische und erfolgreiche Sängerin Ma Rainey (Viola Davis ) weiß, was sie will. −Foto: David Lee/Netflix

Von der großen schwarzen Bluessängerin der 1920er erzählt der Netflixfilm "Ma Rainey’s Black Bottom". Es geht um Musik, eine ganze Branche und den harten Kampf für Gleichberechtigung.

Was für eine Erscheinung! Mit jedem Auftritt, in jeder Szene zieht Viola Davis als exzentrische Ma Rainey sofort alle Blicke und die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Der Grund dafür sind nicht unbedingt nur das grelle Make-up, die ausladende Figur, das Silbergebiss und die ausdrucksstarke Stimme der als "Mother of Blues" berühmt gewordenen Sängerin. Schnell wird auch klar, was für eine starke Persönlichkeit diese Musikerin ist: Sie macht die Ansagen. Sie weiß, was sie will. Und sie setzt das absolut furchtlos durch – auch wenn sie sich dafür mit weißen Männern wie ihrem Manager oder ihrem Produzenten anlegen muss.



In George C. Wolfes "Ma Rainey’s Black Bottom", einer auf Netflix veröffentlichten Adaption von August Wilsons gleichnamigem Theaterstück (siehe Bericht unten), erscheint all das in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Schließlich war solch ein Auftreten damals in den 1920ern in den USA nicht selbstverständlich für eine bisexuelle Frau und – was noch entscheidender ist – für eine Afroamerikanerin in Zeiten der Segregation. "Ma Rainey’s Black Bottom" greift nun im Kern einen Nachmittag aus Ma Raineys Leben auf und erzählt von einer Aufnahmesession mit ihrer Band in Chicago.

Gute Chancen auf einen Oscar

Viola Davis, äußerlich kaum wiederzuerkennen in der Rolle, bekam 2017 für ihren Auftritt in "Fences", und damit ebenfalls für eine Rolle in einer Wilson-Adaption, einen Oscar. Jetzt dürfte sie erneut durch einen Film nach einem Stoff des Autors zu den Favoriten auf das Goldmännchen zählen – genauso wie der kürzlich an Krebs gestorbene Chadwick Boseman, der mit der Hauptrolle im Marvel-Blockbuster "Black Panther" einem großen Publikum bekannt wurde. Neben Davis sticht auch er heraus und ist eines der beiden schauspielerischen Kraftwerke dieses Films als ambitionierter Komponist und hitzköpfiger Trompeter Levee, dessen traumatische Vergangenheit von Rassismus und Gewalt erschüttert wurde.

Ein Blick in die Vergangenheit

Mit viel Schwung und Dynamik in der Inszenierung, nicht zuletzt auch mit visueller Stärke und den Einsatz der jazzigen Blues-Musik, verdichtet "Ma Rainey’s Black Bottom" die kammerspielartige Aufnahmesession zu einem Bild der USA in den Zeiten der gesetzlichen Trennung von Schwarzen und Weißen und legt nach und nach die Schmerzen, die Wunden und Traumata offen, die all die afroamerikanischen Figuren hier mit sich herumtragen. Am eindringlichsten (gespielt) ist der Film dabei, wenn aus den bisweilen etwas geschwätzigen Dialogen unter den Bandmitgliedern plötzlich ein Monolog herausbricht und nicht nur die Erfahrungen mit Diskriminierung und Hass, Gewalt und Rassismus zutage treten. Im Verlauf seiner gerade einmal 94 Minuten thematisiert der Film auch die Ausbeutung der schwarzen Musiker durch die Weißen, weil sie unterbezahlt und um die Rechte an ihren Werken geprellt wurden, an denen dann andere verdienten.

Ma Raineys Geschichte liegt zwar fast ein Jahrhundert zurück, die Zeiten haben sich geändert und trotzdem findet heute immer noch – und teils wieder verstärkt – vieles hier eine traurige Resonanz in der Gegenwart.

Sascha Rettig