Grundrechtliche Schranken
Bayerisches Verfassungsschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig

26.04.2022 | Stand 26.04.2022, 13:17 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beanstandete am Dienstag etliche Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz des Freistaats. −Symbolbild: dpa

Seit 2016 hat Bayerns Verfassungsschutz sehr weitreichende Befugnisse. Zu weitreichend, sagt jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem großen Urteil zur Frage: Was dürfen die Nachrichtendienste?



Das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber "substanziellen Raum, den sicherheitspolitischen Herausforderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes Rechnung zu tragen", sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. "Zugleich setzt die Verfassung hierbei gehaltvolle grundrechtliche Schranken."

Das Verfahren angestoßen hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) - um zu verhindern, dass das Beispiel Bayerns bundesweit Schule macht. Die Klage richtete sich unter anderem auch gegen die Regelungen zum Einsatz verdeckter Ermittler und sogenannter V-Leute, zu längeren Observationen und zur Datenübermittlung an andere Behörden. Auch hier gab es jeweils Beanstandungen in dem mehr als 150-seitigen Urteil der Verfassungsrichterinnen und -richter.

Braucht es eine unabhängige Kontrolle?

Richterin Gabriele Britz, die im Ersten Senat für das Verfahren als Berichterstatterin zuständig war, hatte in der Verhandlung Mitte Dezember gesagt, noch nie seien nachrichtendienstliche Befugnisse in einer solchen Breite angegriffen worden. Dabei ging es jeweils nicht darum, ob das Instrument überhaupt eingesetzt werden darf, sondern um die Frage, unter welchen Bedingungen dieser Einsatz gerechtfertigt ist. Wie groß muss eine Bedrohung sein? Muss ein Richter seine Genehmigung erteilen? Braucht es eine unabhängige Kontrolle?

Die GFF hatte auf ein Grundsatzurteil gehofft, das deutlich über Bayern hinausreicht. Nach ihrer Einschätzung sind die Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler oder sogenannter V-Leute sowie für längere Observationen in anderen Landesgesetzen und im Bund vergleichbar niedrig. Auch die Regelungen zur Datenübermittlung seien in vielen Ländern ähnlich weit gefasst wie in Bayern.

Verfahren ist noch anhängig

Verfassungsbeschwerde erheben kann nur, wer "selbst, gegenwärtig und unmittelbar" in eigenen Rechten betroffen ist. Als Kläger hatte die GFF deshalb drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gewonnen, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als "linksextremistisch beeinflusste Organisation" erwähnt wurde.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte 2016 im Landtag gesagt, man müsse den Verfassungsschutz "fit machen für künftige Herausforderungen": "Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut."

Gegen die umstrittenen Gesetzesänderungen hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Das Verfahren ist noch anhängig.

− dpa