Literatur
Arno Geigers "Unter der Drachenwand": Das grausamste Wesen ist der Krieg

30.01.2018 | Stand 30.01.2018, 14:01 Uhr

700 Meter fast senkrecht ragt die Drachenwand an der Westseite des Mondsees im Salzkammergut empor. Hier spielt Arno Geigers Roman über einen verwundeten Soldaten. − Foto: Hanser Verlag

Tektonische Kräfte der Gebirgsbildung haben vor Jahrmillionen die 1176 Meter hohe Drachenwand entstehen lassen, eine Gesteinsformation, die den Übergang zum Alpenvorland markiert. Eindrucksvolle 700 Meter ragt sie fast senkrecht empor. Hier am Westufer des Mondsees spielt der nicht minder imposante Roman von Arno Geiger "Unter der Drachenwand". Das Untier mit Urkräften haust freilich nicht im Fels. Das ungeheuer gefräßige Monster heißt Krieg und es dringt tief in die Seelen der Protagonisten des Romans.

Der Vorarlberger Autor Arno Geiger, ("Alles über Sally", "Der alte König in seinem Exil", Deutscher Buchpreis 2005 für "Es geht uns gut") siedelt die Handlung im Salzkammergut an. Dorthin verschlägt es den im fünften Kriegsjahr kämpfenden 24-jährigen Soldaten Veit Kolbe. Wir schreiben das Jahr 1944 und verfolgen immer atemloser, was in den Köpfen der Menschen passiert. Geiger, 1968 geboren, gehört einer Generation an, die den Krieg nur vom Hörensagen kennt. Mehr und mehr entdeckt diese Generation der Nachgeborenen, dass auch sie unter dem Krieg leidet, das Geschehen sie einholt und sie Geschichten erzählen muss.

Veit wird im Osten, am Dnejpr, schwer verwundet, ins Lazarett und dann heim nach Österreich zur Genesung geschickt. Er entkommt dem "Irrsinn", dieser "blutigsten, unverständlichsten Raserei" zumindest physisch. Aber "der Krieg kehrt immer zurück", denkt er. "Der Krieg rückte keinen Millimeter zur Seite" und "Was war der Krieg anderes als ein leerer Raum, in den das schöne Leben hineinverschwand."
Veit gesundet zwar langsam am Leib, aber kaum in der Seele. Ausgezehrt und zutiefst erschöpft durchlebt er die Erlebnisse im Schützengraben in Albträumen. Er beginnt, Tagebuch zu führen und die Umwelt rund um seine Einzimmerwohnung nach und nach wahrzunehmen. Dass der Krieg verloren ist, ist ihm längst klar, und so richtet er sich, so lange wie möglich, ein im Dorf. Dann ist da Margot, die es mit ihrem Baby aus Darmstadt hierher verschlagen hat. Der Hals über Kopf geheiratete Vater des Kindes kämpft an der Front. Auch er bringt in seinen Briefen den Krieg an den Mondsee. Es ist fast zwangsläufig, dass Margit und Veit, diese zwei verstörten jungen Menschen, sich näherkommen, sich heißblütig und lebenshungrig eine erotische Gegenwelt aufbauen, um zeitweilig der Trostlosigkeit zu entfliehen.

Geiger erweist sich als meisterlicher Stimmenfänger und formt einen vielstimmigen Chor über das grausamste aller Wesen, den Krieg.

Hanser, 480 Seiten, 26 Euro

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