Tittmoning
Amira Khaled hat sich ein neues Leben aufgebaut – Ihr Freund Franz ist für sie zum Islam konvertiert

14.05.2019 | Stand 20.09.2023, 2:42 Uhr

In babyblauer Arbeitskleidung sitzt die Auszubildende Amira Khaled am Tisch des Pausenraums der Tittmoninger Apotheke. −Foto: Enzensberger

Ausbildung, eigene Wohnung, Beziehung: Für junge Menschen aus Bayern selbstverständliche Dinge, die zum Erwachsenwerden dazugehören. Nicht für Amira Khaled. Sie ist mit ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern vor drei Jahren aus Syrien vor dem Krieg geflüchtet und vor acht Monaten nach Tittmoning gekommen. Für die junge Frau, die nach der fünften Klasse keine Schule mehr besuchen konnte, beginnt ein neues Leben. Sie hat eine Ausbildung bei der Apotheke begonnen und lebt mit ihrem deutschen Freund zusammen in der Stadt. Im Gespräch mit der Heimatzeitung erzählt sie, warum sie ihre Heimat nicht vermisst, wieso sie als Muslima kein Kopftuch trägt und aus welchem Grund ihr Freund zum Islam konvertierte.

Hallo Frau Khaled, Sie strahlen so. Wie geht es Ihnen?

Amira Khaled: Ja, tue ich das? Mir geht es sehr gut, danke.

Seit September machen Sie eine Ausbildung in der Apotheke. Wie läuft es?

Khaled: Es macht mir sehr viel Spaß. Es ist mein Traumberuf, und ich habe sehr liebe und hilfsbereite Kollegen. In der Schule bin ich noch nicht so gut. Das liegt viel an der Sprache und, dass nun auch Latein wegen der Medikamenten-Namen dazugekommen ist. Aber ich möchte alles geben und mir viel von der Arbeit hier abschauen. Meine Kollegen unterstützen mich sehr. Sie wollen, dass ich es schaffe.

Dabei sprechen Sie ausgesprochen gutes Deutsch, und das nach so kurzer Zeit. Wie ging denn das?

Khaled: Viel natürlich durch die Sprachkurse. Aber auch durch Serien, die ich auf Deutsch anschaue.

Und welche Serie schauen Sie am Liebsten?

Khaled: Ehrlich gesagt, kenne ich die Namen nicht. Das sind alles Kinderserien (lacht). Die einfache Sprache, die dort gesprochen wird, hilft mir, neue Wörter und die Grammatik richtig zu lernen.

Sie waren nach der fünften Klasse nicht mehr in der Schule. Warum?

Khaled: Weil in meiner Heimat Syrien Krieg war und wir weg mussten. Wir sind dann in die Türkei geflohen, und dort wurden wir nicht unterrichtet.

Vermissen Sie Ihre Heimat?

Kahled: Nein, nur meinen Bruder. Er ist in der Türkei. Aber meine Heimat nicht.

Wie würden Sie die syrische Kultur beschreiben?

Khaled: Streng. Strenge, strenge Regeln. Dort habe ich auch noch Kopftuch getragen. Trägt man es nicht, wird man komisch angeschaut. Es gibt dort auch Männer, die ihre Frauen zum Kopftuchtragen zwingen. Der Mann sagt, sie muss das Kopftuch tragen, obwohl sie es nicht möchte. Der Mann hat alle Rechte, das mag ich nicht. Das ist auch ein Grund, warum ich meine Heimat nicht vermisse.

Nun tragen Sie kein Kopftuch mehr. Weil Sie nicht religiös sind?

Khaled: Doch, sehr! Aber es kommt im Islam nicht auf die Kleidung, auf ein Kopftuch oder langes Gewand an.

Sondern?

Khaled: Auf das Herz. Es kommt darauf an, wie du bist und ob du die Religion richtig lebst. Kopftuchtragen gehört da nicht dazu, das ist egal und nicht wichtig.

Was hat Sie an der deutschen Kultur am meisten überrascht?

Khaled: Ehrlich gesagt: diese Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen. Das war etwas sehr Neues für mich.

"Wir sind alle Menschen"Konnten Sie schon viele Freundschaften schließen?

Khaled: Ja, viele. Ich habe deutsche Freunde, welche die aus Albanien, Russland oder der Türkei kommen und aus anderen arabischen Ländern. Viele Freunde aus vielen Nationen (lacht).

Dann werden Sie es sicher noch weniger verstehen, warum es Menschen gibt, die andere wegen ihrer Herkunft oder Religion nicht akzeptieren möchten, oder?

Khaled: Ich verstehe es nicht und finde es furchtbar. Das gibt es aber auch in Syrien. Wer nicht in dem Land geboren wurde, wird von manchen Menschen dort auch anders behandelt oder man ist unfreundlich zu ihnen. Das ist nicht gut. Wir sind alle Menschen, egal wo wir herkommen. Außer sie machen etwas böses, dann zählen sie für mich nicht mehr dazu.

Es gibt hier auch Landsleute von Ihnen, die Böses getan haben. Immer wieder ist von Messerstechereien oder Gewalttaten zu lesen. Was macht das mit Ihnen?

Khaled: Es ist einfach nicht fair, dass Einzelne so etwas Schlimmes tun und daraus ein schlechtes Bild für alle Leute aus diesem Land entsteht, aus dem die Person kommt. Sie kommen hierher, alle sind freundlich zu ihnen und dann machen sie solche Sachen. Das kann ich nicht verstehen.

Viele sind möglicherweise traumatisiert oder sehen Dinge, die in ihrem Land nicht erlaubt oder mit ihrer Kultur nicht vereinbar sind. Könnte es daran liegen?

Khaled: Das darf kein Grund sein. Ja, vielleicht sehen sie Dinge, die sie stören. Aber das geht sie einfach nichts an. Sie leben nun in einem anderen Land mit anderen Regeln. Die Frau trägt kein Kopftuch und eine kurze Hose? Da schauen manche blöd, denn das ist in Syrien nicht erlaubt. Aber es geht sie einfach nichts an, hier gibt es andere Gesetze und die muss man akzeptieren.

Apropos akzeptieren: Was hat Ihre Mutter gesagt, als Sie ihr erzählt haben, dass Sie einen deutschen Freund haben?

Khaled: Ach, das war nicht so schlimm (lacht). Sie ist damit einverstanden.

Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Khaled: Franz war mein Busfahrer, als ich in die Berufsschule gefahren bin (lacht). Da haben wir uns kennengelernt. Wir sind jetzt zweieinhalb Jahre zusammen und wohnen gemeinsam in Tittmoning.

Franz heißt ihr Freund und ist zum Islam konvertiertAber ist es im Islam nicht verboten, mit einem Mann aus einer anderen Religion zusammen zu sein?

Khaled: Ja, das stimmt. Viele Regeln, wie das Kopftuch, nehme ich nicht so ernst. Diese hier aber schon. Aber Franz hat die Kultur kennengelernt und ist für mich zum Islam konvertiert.

Habt ihr schon euren Urlaub geplant?

Khaled: Ja! Ich habe drei Wochen im August frei. Wir wollen nach Griechenland. Im vergangenen Jahr waren wir in Spanien, das war auch sehr, sehr schön.

Und was machen Sie sonst gerne in Ihrer Freizeit?

Khaled: Shopping (lacht)! Ich liebe shopping. Ich zeichne auch sehr gerne, und bei schönem Wetter gehen wir spazieren. Am Wochenende besuche ich meine Familie. Meine Mama wohnt in Laufen, eine meiner Schwestern in Rosenheim.