Hannawald erklärt im Interview
Eisenbichler in der Einbahnstraße: „Das Problem von Markus ist bekannt“

24.12.2022 | Stand 17.09.2023, 6:51 Uhr

Es läuft in diesem Winter überhaupt nicht für den Siegsdorfer Markus Eisenbichler – weder auf der Matte noch auf Schnee. −Fotos: Imago Images

Im Winter 2001/02 gewann Sven Hannawald alle Springen der Vierschanzentournee und holte als bislang letzter deutscher Skispringer den Gesamtsieg. Nach einem Ende der Durststrecke sieht es vor dem Auftakt des Schanzenklassikers am kommenden Donnerstag nicht aus, wie der heutige ARD-Experte (48) im Interview sagt.

Herr Hannawald, nach drei Jahren Geisterspringen kehren die Fans zur Tournee zurück, Oberstdorf ist bereits ausverkauft – was macht diese Aussicht mit Ihnen?
Sven Hannawald: Ich habe mich gefreut, dass die Tournee in den beiden vergangenen Jahren überhaupt stattfinden konnte, weiß aber auch, was die Springer an den Zuschauern haben. Dementsprechend wird es jetzt wieder das Highlight, das es früher war. Alle werden Feuer und Flamme dafür sein. Die Tournee ist ohnehin mein Ein und Alles, und das wird immer so bleiben.

Nach nur einer Podestplatzierung in acht Saisonspringen gehören die Deutschen nicht zu den allergrößten Tournee-Favoriten. Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass es dennoch mit dem Gesamtsieg klappt?
Hannawald: Ich bin nicht Vogel Strauß und stecke den Kopf in den Sand. In den letzten Jahren war es aber schon anders – besser als im vergangenen Winter ging es ja gar nicht. Da kam Karl Geiger mit dem Gelben Trikot des Weltcupführenden zur Tournee, und das heißt ja, er war bis dahin der Stabilste und hat somit die größten Chancen. In diesem Jahr ist der Rucksack kleiner. Für die Deutschen wird es aber nicht leichter, weil die Erwartungen nicht da sind – denn die sind natürlich da, nur anders.

Karl Geiger kam schwer in die Saison, zuletzt in Engelberg zeigte er sich stark verbessert. Ist mit ihm ganz vorne zu rechnen?
Hannawald: Wir alle kennen Karl. Wenn er sich jetzt gefunden hat, hoffe ich, dass er nichts mehr ändert und das Gefühl von Engelberg eins zu eins mitnimmt. Man muss aber auch sagen, dass mit Dawid Kubacki, Anze Lanisek oder Halvor Egner Granerud Leute mitspringen, die ein Stück weg sind. Ich würde mich freuen, wenn es überraschenderweise klappt mit dem Tourneesieg, wäre aber auch schon zufrieden, wenn einer von den Deutschen auf dem Podest stehen würde.

Völlig von der Rolle scheint zurzeit der Siegsdorfer Markus Eisenbichler zu sein...
Hannawald: So etwas frustriert natürlich, speziell einen Springer wie Eisenbichler. Charaktere wie Karl Geiger oder Stephan Leyhe wurmt das genauso. Die sind in so einer Situation aber ein bisschen abgeklärter. Das offensichtliche Problem von Markus ist aber bekannt. Beim Skispringen ist das Wichtigste, dass du zu jedem Zeitpunkt weißt, was du tust. Und das ist im Moment bei Markus nicht der Fall. Ihn muss man dieses Jahr ein bisschen rausnehmen. Nicht unbedingt Welpenschutz – aber man muss das Beste daraus machen.

Kann abseits der großen Favoriten überhaupt noch ein Außenseiter quasi aus dem Nichts die Tournee gewinnen?
Hannawald: Es schlummert der eine oder andere im Hintergrund. Aber bei der Tournee geht es immer weiter, du fährst nicht heim, hast immer Trubel. Das ist ein Anspruch, den musst du schon mal intus gehabt haben. Oder du bist ein junger, naiver Springer wie Thomas Diethart (Tourneesieger 2013/14, d. Red.), das war der letzte, der damals überraschend für alle die Tournee dominiert hat. Du musst bei dir bleiben, wenn gefühlt 200 Medienanstalten herumtanzen und jedes Mal die Hütte voll ist. Das bist du vom normalen Weltcup nicht gewohnt. Das kriegen die Arrivierten dann meist besser hin.
In den vergangenen Jahren hat sich kaum ein junger Deutscher ins Weltcup-Team gekämpft, die Topleute wie Geiger sind um die 30 oder älter. Muss man sich da Sorgen machen?
Hannawald: Jede Nation macht sich jedes Jahr Sorgen. Es gibt einfachere Dinge als die harte Arbeit eines Profisportlers, das ist immer eine Gefahr. Aktuell habe ich die Hoffnung, dass wir mit Philipp Raimund jemanden haben, der als Typ sensationell ist, in die Welt hineingewachsen ist und nun weiterkommen möchte. Wir haben ein paar Diamanten in der Hinterhand.

Die Saison begann in Wisla auf Matten, nicht auf Schnee. Kann das angesichts des Klimawandels ein Modell für die Zukunft sein?
Hannawald: Wir müssen natürlich umdenken, können das aber auch. Das haben wir am Beispiel Wisla gesehen. Das ist gewöhnungsbedürftig, wir haben aber damit die Gewissheit, dass unsere Sportart nicht auf große Schwierigkeiten stößt. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass unser Sport Wintersport bleibt. Falls aber Veranstalter sagen, wir haben keine Möglichkeit mehr, Schnee zu produzieren, dann weiß ich, dass wir andere Möglichkeiten haben. Und dass das genauso spannend ist wie auf Schnee.

− sid