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Studierendenwerk: Psychische Probleme bei Studierenden nehmen stark zu

Vorsitzender Anbuhl: Es fehlt adäquate Hilfe – „Corona ist für uns nicht vorbei“

26.04.2024 | Stand 26.04.2024, 5:00 Uhr

Matthias Anbuhl, Vorstandschef der Deutschen Studierendenwerke. Dort wird die soziale Infrastruktur der Unis organisiert. − F.: Kay Herschelmann

Die jüngste Generation Studenten ist geprägt von einer Überbehütung durch die Eltern. Was erleben Sie?
Matthias Anbuhl: Wir erleben schon, dass der Studienerfolg des Kindes auch ein Erfolgsprojekt der Eltern ist. Viele Kinder sind ja heutzutage Wunschkinder, und dann ist der Wunsch der Eltern noch stärker, dass diese Kinder ein Erfolg werden. Ich kann anekdotisch berichten, dass in Studierendenwohnheimen Eltern manchmal sehr dominant auftreten. Sie nehmen im Einzelfall sogar eine Rolle bei Konflikten zwischen den Bewohnern ein, auch Wünsche nach einem Zweitschlüssel gab es schon. Den bekommen sie nicht, wenn ihre Kinder volljährig sind. Aber echte Probleme sehe ich woanders.

Wo?
Anbuhl: Wir erleben eine Studierendenschaft, die nach wie vor sehr stark durch Corona geprägt ist. Das betrifft alle Semester, selbst die Erstsemester. Denn die waren ja als Schüler Corona und den Lockdowns ausgesetzt. Es gab aus meiner Sicht eine Depriorisierung der Studierendenschaft während Corona. Viele Studierende haben das klassische Studentenleben nie richtig kennengelernt. Jetzt, wo es wieder möglich wäre, tun sie sich damit schwer. Wir bemerken die Corona-Folgen auch in der psychosozialen Beratung der Studierendenwerke. Die Nachfrage ist stark angestiegen und auch die Themen haben sich verändert. Früher ging es um Uni-Themen wie Prüfungsangst, Zeitmanagement. Heute spielen Themen wie Einsamkeit eine Rolle, Isolation, depressive Verstimmungen und Depressionen, die Frage nach dem Sinn des Studiums, ja sogar Suizid-Absichten sind ein Thema. Ein krasser Wandel in kurzer Zeit.

Lange Wartezeit für eine psychologische Beratung

Bekommen die Studierenden die Hilfe, die sie bräuchten?
Anbuhl: Nein, sie erfahren nicht die Hilfe, die sie bräuchten. Es gibt zwar etliche Beratungsstellen. Doch auf so einen Andrang sind sowohl wir Studierendenwerke als auch die Hochschulen nicht eingestellt gewesen. Wir haben viel zu wenige Ressourcen, um die Nachfrage wirklich zu befriedigen. Früher hatten wir Wartezeiten von zwei Wochen. Heute dauert es oft sechs bis acht Wochen, bis eine Beratung möglich ist. Das ist gerade bei akuten psychischen Notlagen nicht hinnehmbar. Bund und Länder müssen sich dieser Problematik stellen. Es gab kurzzeitig mehr Geld für Beraterinnen und Berater, aber dann hieß es, Corona sei vorbei und sie wurden abgebaut. Aber wir erleben, dass es nicht vorbei ist. Wir bräuchten zehn Millionen Euro für die nächsten vier Jahre, um mehr psychologische Beratung bei den Studierendenwerken möglich zu machen.

Die Studienfinanzierung haben Sie gar nicht genannt.
Anbuhl: Das ist ein Dauerproblem. Die Bundesregierung hat mit der Erhöhung der Elternfreibeträge beim BAföG im Jahr 2022 gut angefangen, aber nun ist der Reformeifer erlahmt. Es wird völlig unterschätzt, welche gravierenden Folgen die Inflation für die Studierenden hat. Wir hatten 2022 die letzte Erhöhung der Bedarfssätze für den Grundbedarf um 5,75 Prozent. Das ist durch die Inflation mehrfach aufgefressen worden. Nun will man den Studierenden eine Nullrunde zumuten. Dann passiert bis weit nach der Bundestagswahl nichts mehr. Ein echter Schlag ins Kontor.

„BAföG ist dem politischen Wettkampf ausgeliefert“

Beim Bürgergeld läuft es anders.
Anbuhl: Das Bürgergeld, das Wohngeld, die Rente, sogar die Abgeordnetendiäten werden automatisch angepasst. Ich gönne allen diesen Menschen die Erhöhungen wirklich. Aber warum gilt das nicht für BAföG-Empfänger? Das BAföG, das wichtigste Instrument der Chancengleichheit im Bildungswesen, ist dem politischen Wettkampf ausgeliefert. In der Corona-Krise hat man sich geschworen, die schwer in Mitleidenschaft gezogene junge Generation nicht mehr zu übersehen. Und nun geschieht genau das wieder. Wir bräuchten einen Jugendgipfel, mit dem der Bund und die Länder sich der Probleme der jungen Generation annehmen.

Wohnheimplätze sind begehrt. Geschieht zumindest da etwas?
Anbuhl: Das Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“, das studentisches und Azubi-Wohnen fördert, hilft uns sehr. Die Länder müssen es aber aufstocken, tun dies aber uneinheitlich. Bayern ist vorbildlich. Das Land hat die Bundes-Mittel von 40000 Euro pro neuem Wohnheimplatz auf 75000 Euro aufgestockt. Das ermöglicht es uns, trotz der gestiegenen Baukosten wirklich auch zu bauen. In Baden-Württemberg allerdings warten wir seit Monaten auf eine Entscheidung. Da waren andere deutlich schneller. Die Studierenden, das bemerken wir auch hier, werden eben nur allzu gerne übersehen.