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Städtetag beklagt „realitätsfremde Fristen“ bei Klimaneutralität

Kommunen begrüßen Idee unterschiedlicher Starttermine für Alt- und Neubauten in Heizdebatte

06.06.2023 | Stand 15.09.2023, 0:24 Uhr

Das Heizkraftwerk Nord der Stadtwerke München versorgt auch Teile der Landeshauptstadt mit Fernwärme. −Foto: Gebhardt, imago

Berlin. In der Heizdebatte gibt es viele unbeantwortete Fragen. Eine davon ist: Wie soll sich ein Eigentümer eigentlich entscheiden, wenn der Austausch der Heizung demnächst ansteht und noch nicht klar ist, ob sein Haus oder Gebäude demnächst einen Fernwärmeanschluss bekommt? Denn viele Kommunen sind noch nicht so weit mit ihren Planungen, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) es gerne hätte.

Zwei bis drei Jahre für Wärmeplanung in Städten

Wie in Zukunft in Deutschland geheizt wird, hängt nicht nur vom Einzelnen ab, sondern auch von den Städten und Kommunen. Vielerorts wird auf Fernwärme gesetzt, doch dafür müssen die Netze ausgebaut werden. Die Fernwärmebranche hält eine Verdreifachung der Anzahl der Haushalte mit einem solchen Anschluss bis 2050 für möglich. Laut dem Fachverband AGFW werden rund sechs Millionen der 43 Millionen Wohnungen mit Fernwärme beheizt. Perspektivisch sollen es 18 bis 20 Millionen werden, vor allem in Mehrfamilienhäusern in den Städten und dicht besiedelten Gebieten. Doch die Weichen müssten jetzt gestellt werden. Verantwortlich für Fernwärmenetze sind die Kommunen – und die sind nicht so schnell.

Während der Berliner Politik-Betrieb sich seit Wochen um das Heizungsgesetz von Habeck streitet, das noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll, geht es nämlich noch um ein weiteres Gesetz, das nicht weniger wichtig ist: In der zweiten Jahreshälfte will das Parlament das Gesetz der kommunalen Wärmeplanung behandeln. Kommunen in der Größenordnung zwischen 10 000 und 100 000 Einwohner sollen flächendeckend Wärmepläne bis Ende 2028 erstellen. Doch 2028 kollidiert jetzt mit den Habeck-Plänen zum Heizungsgesetz.

„Der Aus- und Umbau der Wärmenetze hängt an vielen Faktoren: Allein die Wärmeplanung in den Städten braucht im Schnitt zwei bis drei Jahre“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutsches Städtetages, Helmut Dedy, der Mediengruppe Bayern. „Außerdem müssen wir uns um Netzentwicklungspläne, Baugenehmigungen, Logistik und Baustellenmanagement kümmern.“

Fernwärme bedeutet, dass nicht jeder eine eigene Heizung zuhause hat, insbesondere Stadtwohnungen bekommen oft ihre Wärme von einem Kraft- oder Heizwerk in der Umgebung. Laut Fernwärmeverband AGFW gibt es knapp 3800 Fernwärmenetze. Sie werden von rund 500 Unternehmen betrieben, 70 Prozent der Energie kommt noch von fossilen Energieträgern. Auch diese Kraftwerke und -netze müssen laut Gesetzentwurf bis 2030 zu 50 Prozent und bis 2045 komplett klimaneutral sein. Vor allem wird auf Wasserstoff gesetzt, doch ob der schon in 15 Jahren in großen Mengen verfügbar ist und die Netze dafür umgerüstet sind? Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) hält eine Umstellung auf Wasserstoffnetze bis 2035 jedenfalls für „schlicht unrealistisch“. Und Städtetag-Chef Dedy meint: „Den Städten sollte der nötige Spielraum gegeben werden, selbst Zwischenziele bis 2045 festzulegen.“ Von der Politik fordert er: „Was wir brauchen, sind realistische Fristen, mit denen die Menschen planen können, damit die Akzeptanz für die Wärmewende steigt“, so Dedy. „Auch den Städten dürfen keine realitätsfremden Fristen gesetzt werden. Die jetzt im Gesetz vorgesehene Pflicht, bereits 2030 einen Anteil von 50 Prozent und 2035 einen Anteil von 65 Prozent Erneuerbaren Energien im Wärmenetz sicherzustellen, ist in der Fläche nicht realisierbar.“

Ähnlich sieht es der VKU: „Ein Fernwärmenetz zum Beispiel kann eine Kommune aufbauen, aber nicht unbedingt bis 2030“, sagte ein Sprecher. „Wenn jetzt aber 50 Prozent Erneuerbaren-Anteil quer über alle Netze bis 2030 gefordert sind, dann würgt das den Ausbau der Fernwärme eher ab, weil viele Kommunen es dann lieber lassen. “

Würgt das Heizgesetz die Fernwärme ab?

Zudem besteht die Sorge, dass Eigentümer, die sich jetzt für eine Wärmepumpe entscheiden (müssen), später als Kunden für Fernwärmeversorger rausfallen. Und Fernwärmeanbieter werden die Finger von dem Ausbau von Gegenden lassen, in denen die meisten Menschen sich bereits anderweitig versorgt haben. Die Nachfrage nach einem Fernwärmenetz könnte das Habecksche Heizgesetz also ungewollt mindern, obwohl das Ministerium sich für den Ausbau ausspricht. Das träfe dann alle Kommunen, die derzeit über ein Fernwärmenetz nachdenken. Auch solche im ländlichen Raum. Denn entgegen der allgemeinen Annahme ist auch dort in größeren Quartieren Fernwärme möglich.