Die AfD erlebt gerade ein Allzeit-Umfragehoch: Aus Sicht des Psychologen Stephan Grünewald gelingt es der AfD, bei vielen Menschen „diffuse Erlösungshoffnungen“ zu wecken. Die Partei suche Sündenböcke und schreibe „die ganze bedrohliche und komplexe Wirklichkeit den Regierenden zu“.
Das sagte er im Interview des „Tagesspiegel“ (Sonntag): „Wenn wir die vom Hof jagen, kehrt die alte Seligkeit zurück! Die AfD profitiert von dieser Erlösungshoffnung.“
Hinter der politischen Radikalisierung in der Gesellschaft und den hohen Umfragewerten der AfD sehe er eine „resignativ-passive Haltung in Bezug auf die Gesellschaft“, die aber mit einer hohen Zuversicht vieler Menschen für ihr privates Leben verknüpft sei, ergänzte der Gründer des Kölner Rheingold Markt- und Medienforschungsinstituts.
Nur 23 Prozent sind bei Politik optimistisch
Manche setzten in dieser Situation auf Fortschritts-Technologien, die alle Probleme lösen sollten – oder auf die nächste Generation. Andere wiederum bräuchten Sündenböcke, und „dieses Spiel betreibt die AfD“. Laut einer kürzlich veröffentlichten Zuversichtsstudie seines Instituts blickten 87 Prozent der Deutschen zuversichtlich in ihre private Zukunft, aber nur 23 Prozent seien optimistisch im Hinblick auf Gesellschaft und Politik.
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Diese Tendenz aus der Corona-Pandemie nehme noch weiter zu, ergänzte Grünewald. Das hohe Maß an privater Zuversicht müsse nun „ins Politische transformiert“ werden. Die Politik müsse „gemeinsame Herausforderungen aufzeigen“, an denen Menschen „im Rahmen ihrer Möglichkeiten tätig werden können“, um ein Hauptziel gemeinsam anzupacken.
Fehlende Auseinandersetzung mit der Realität ein Problem
Für eine lebendige Demokratie sei es problematisch, wenn viele Menschen nicht mehr bereit seien, sich mit der Wirklichkeit aktiv auseinanderzusetzen, fügte der Psychologe hinzu: „Zwischen der eigenen Welt, wo man Überschaubarkeit, Geborgenheit und Selbstwirksamkeit erfährt, und der Welt da draußen, die als bedrohlich gilt, wird ein Verdrängungsschirm gespannt.“
Menschen betrieben Sport und Wellness und verschönerten ihr Zuhause, außerdem „sammeln sie sich mit Gleichgesinnten, bilden soziale Bollwerke, die allerdings immer hermetischer werden“ und entwickelten dort „eine Wagenburgmentalität: Wer eine andere Meinung vertritt oder zu anstrengend ist, wird aussortiert.“
Als persönlich relevant würden etwa steigende Mieten, Energiekosten, Inflation und die gesellschaftliche Polarisierung wahrgenommen, „aber die oft ursächlichen globalen Krisen wie der Krieg, Migration und Klimawandel“ würden weitestgehend ausgeblendet.
− KNA
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