Erste Frau an der Spitze der Gewerkschaft
Christiane Benner ist neue Chefin der IG Metall – Bei BMW und Continental im Aufsichtsrat

23.10.2023 | Stand 23.10.2023, 13:46 Uhr

Christiane Benner, neue Erste Vorsitzende der IG Metall, nach ihrer Wahl.  − Foto: Arne Dedert/dpa

Die IG Metall gilt vielen als Männer- und Autoladen. Mit der bisherigen Vize Christiane Benner steht nun erstmals eine Frau an der Spitze der Gewerkschaft. Sie will einiges anders machen.



Christiane Benner ist schon oft vorangegangen. Als erste Frau ist die 55-Jährige am Montag zur Chefin der IG Metall gewählt worden – Deutschlands größte, mächtigste und männlichste Gewerkschaft, fest verankert in der Automobilindustrie und mit einem Frauenanteil von knapp rund 20 Prozent. Jahrzehntelang wurde die Organisation geführt von machtbewussten Männern wie Franz Steinkühler, Berthold Huber oder zuletzt Jörg Hofmann, der mit 67 Jahren nicht erneut antrat.

Von der Stellvertreterin zur Vorsitzenden



Nun also Christiane Benner, bereits seit acht Jahren Hofmanns Stellvertreterin. Von den Delegierten in Frankfurt wurde sie mit einem enormen Vertrauensvorschuss von 96,4 Prozent Zustimmung ausgestattet. Ein höheres Ergebnis hatte zuletzt Gewerkschaftslegende Otto Brenner im Jahr 1965 erreicht mit 98,8 Prozent. Im Vergleich zu ihrem Vorergebnis aus dem Jahr 2019 legte Benner knappe zehn Prozentpunkte zu.

Benner ist sich ihrer Verantwortung in schwierigen Zeiten bewusst und stellt sich der Mega-Aufgabe der Transformation ganzer Wirtschaftszweige: „Unsere Industrie in Deutschland muss weiter entwickelt werden und nicht abgewickelt“, rief sie den begeisterten Metallern zu. Die Bedürfnisse der Beschäftigten im Umbau will sie besser sichtbar machen und ist sich sicher: „Das Potenzial für einen erfolgreichen Umbau im Land ist da.“

Seit ihrem Gewerkschaftseintritt im Jahr 1988 hat die einstige Jugendvertreterin eines Metallbetriebs im südhessischen Darmstadt die IG Metall aus vielen Perspektiven kennengelernt - und dabei eine bemerkenswerte Vorliebe für schwierige und zukunftsträchtige Themen entwickelt. Nach einem von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Soziologie-Studium sowie Stationen in Frankfurt und Hannover wurde sie 2008 Bereichsleiterin beim Vorstand, zuständig unter anderem für IT-Kräfte und „Zielgruppenarbeit“.

Diese Gruppen waren unter anderem Frauen, Angestellte, Studenten und Ingenieure und damit recht weit entfernt von der prägenden Gruppe der klassischen Facharbeiter. Benner hat bereits scheinselbstständige Click-Worker organisiert sowie über Kreislaufwirtschaft und künstliche Intelligenz nachgedacht, als das für andere noch weit entfernte Zukunftsmusik war. Sie sagt über sich selbst: „Ich habe die Informationstechnologie immer als Treiber begriffen. Wenn ich verstehe, was bei IBM oder SAP geschieht, dann weiß ich, was in den anderen Betrieben drei oder vier Jahre später passiert.“

Aus der nach eigener Einschätzung „leicht nerdigen“ Frau für komplexe Zukunftsfragen wurde recht schnell eine Frau mit Zukunft, die 2011 in den Vorstand berufen wurde und 2015 zur Zweiten Vorsitzenden avancierte. Auf dem Gewerkschaftstag in Frankfurt trat die verheiratete Benner als Teil, aber auch als eindeutige Anführerin eines fünfköpfigen Kandidaten-Teams für den Vorstand an.

Den Wahlerfolg hat die Sozialdemokratin auch der eigenen Standfestigkeit zu verdanken, als sie sich im vergangenen Jahr nicht an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wegloben ließ und lieber der IG-BCE-Funktionärin Yasmin Fahimi den Vortritt ließ. Danach scheiterte noch der Versuch baden-württembergischer Seilschaften, in einer neuartigen Doppelspitze neben ihr den Stuttgarter Bezirkschef Roman Zitzelsberger als Co-Vorsitzenden zu installieren. Fahimi gehörte in Frankfurt zu den ersten Gratulanten.

Sie sei in ihrem Leben immer bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen, sagt die groß gewachsene und sportliche Ex-Handballerin Benner, die bevorzugt am Main joggt. „Ich war auch Schulsprecherin, das hat meine Mutter damals gar nicht so recht mitbekommen.“ Der Posten an der Gewerkschaftsspitze bedeutet nach den Usancen der IG Metall demnächst auch den Wechsel in den Aufsichtsrat von VW, dem sich die neue Chefin nicht verschließen wird. „Es gibt eine Erwartungshaltung und es gibt eine Tradition. Und der werde ich selbstverständlich entsprechen.“

Als BMW- und Continental-Aufseherin bestens vernetzt



In der starken Auto-Fraktion ihres Hauses sieht sich die langjährige BMW- und Continental-Aufseherin bestens vernetzt. Die IG Metall sei aber weit vielfältiger, macht Tarife für Kfz-Mechatroniker ebenso wie für die Textil- und Holzwirtschaft und hat mit dem Maschinenbau und der Metallverarbeitung weitere Schlüsselindustrien in ihrem Organisationsbereich.

Benner ist eine entschiedene Verfechterin der Frauenquote und will in der Arbeitswelt die strukturellen Nachteile abbauen, die dazu führen, dass Frauen nach der Babypause nicht mehr auf den Karrierezug gelassen werden. Eine „kurze Vollzeit“ von 32 Stunden für Männer und Frauen gleichermaßen scheint ihr ein richtiges Mittel gegen den Fachkräftemangel zu sein. Diese Forderung nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung, die auf eine Vier-Tage-Woche hinauslaufen könnte, will sie aber zunächst auf die Stahlindustrie beschränkt sehen, die vor einem ökologischen Umbau steht.

Manchmal rutscht der Soziologin noch ein Anglizismus wie „empowern“ (befähigen) durch, doch grundsätzlich ist Benner um klare Ansprache nicht verlegen. „Ich muss die Dinge einfach so erklären, dass das ein ganz normaler Mensch auf dem Hallenboden versteht - und kein überkandideltes Zeug.“ Ihre Organisation mit gut 2,1 Millionen Mitgliedern will sie künftig deutlich sichtbarer machen, in herkömmlichen wie in den sozialen Medien viel präsenter sein. Ihre Vorgänger bevorzugten eher das politische Hinterzimmer statt das grelle Licht der Talkshows, doch Benner sagt: „Ich scheue überhaupt nicht das Licht der Öffentlichkeit.“ Seit Montag ist es endgültig so weit.