Tod nicht offiziell bestätigt
Absturz von Prigoschin-Flugzeug: Was wir wissen – und was nicht

24.08.2023 | Stand 24.08.2023, 20:13 Uhr

Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer. Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist nach Angaben seines Telegram-Kanals Grey Zone vom Mittwoch tot. Von offizieller Seite steht eine Bestätigung aus. Nach russischen Behördenangaben stand er aber auf der Passagierliste eines abgestürzten Flugzeugs. Foto: Uncredited/AP/dpa

In Russland ist ein Flugzeug abgestürzt, in dem Söldnerführer Jewgeni Prigoschin gesessen haben soll. Über den Online-Infokanal Telegram wurde dessen Tod vermeldet – eine offizielle Bestätigung gibt es aber nicht. Vor zwei Monaten hatte Progischin einen kurzen Aufstand gegen den Kreml geprobt.



Zwischen Moskau und St. Petersburg ist ein Business-Jet abgestürzt – auf der Passagierliste steht der Name des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin. Was bisher bekannt ist:

Was wir wissen

Um was es geht: Abgestürzt ist ein Geschäftsreiseflugzeug vom Typ Embraer Legacy, das regelmäßig von Prigoschin und seiner Privatarmee Wagner genutzt wurde. Russlands Ermittlungsbehörden haben ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschriften im Luftverkehr eingeleitet.

Die Insassen: Auf der von der Luftaufsichtsbehörde ungewöhnlich schnell bereitgestellten Passagierliste, die demnach von der Fluggesellschaft stammt, stehen zehn Menschen. Darunter sind Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin, der als militärischer Anführer der Wagner-Truppe gilt. Der russische Zivilschutz hat den Tod aller zehn Insassen des Flugzeugs bestätigt.

Prigoschin, der lange als Günstling von Präsident Wladimir Putin galt, ist durch die Beteiligung der Wagner-Truppe an der Eroberung Bachmuts im Osten der Ukraine zu einem der bekanntesten Männer Russlands aufgestiegen. Er kritisierte aber auch Moskaus Militärführung und hat zwei Monate vor dem Absturz einen kurzlebigen Aufstand angeführt, den Putin als „Verrat“ bezeichnete. Für die Beendigung des Aufstands sicherte ihm der Kreml Straffreiheit bei einer Ausreise nach Belarus zu.

Wer ist die Wagner-Truppe: Eine Privatarmee, die der Kreml lange für seine Schattenkriege in verschiedenen Weltregionen einsetzte. Wagner-Söldner waren lange vor dem offiziellen Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine im Donbass aufseiten der Separatisten aktiv. In Syrien kämpften sie als Bodentruppen auf der Seite Moskaus. In vielen Staaten Afrikas wie der Zentralafrikanischen Republik und Mali ist Wagner aktiv. Die Hilfe für die dortigen Regimes sicherten Russland Einfluss und Prigoschin wirtschaftliche Pfründe, beispielsweise bei der Ausbeutung von Bodenschätzen.



Absturzort: Die Maschine war von Moskau auf dem Weg nach St. Petersburg. Der Absturzort Kuschenkino liegt im nordrussischen Gebiet Twer nahe dem Waldai-See, wo auch Putin eine Residenz hat. In der Gegend ist eine Militärbasis und eine Flugabwehreinheit stationiert. Augenzeugen sprachen von zwei lauten Explosionen vor dem Absturz. Die Trümmer liegen weit verteilt, was für ein Auseinanderbrechen des Flugzeugs vor dem Aufprall spricht.

Absturzzeit: Die Embraer verlor um 18.19 Uhr Ortszeit (17.19 Uhr MESZ), eine halbe Stunde nach dem Start, massiv an Höhe. Innerhalb einer halben Minute sank das Flugzeug nach Angaben von Flightradar24 gut zwei Kilometer. Dann hielt es sich einige Sekunden auf der Höhe von rund sechs Kilometern, ehe es abstürzte. Vorher gab es keine Auffälligkeiten beim Flug.

Was wir nicht wissen

Absturzursache: Über die Ursache des Absturzes gibt es bislang nur Spekulationen. Der Prigoschin nahe stehende Telegram-Kanal Grey Zone schrieb von einem Abschuss des Flugzeugs durch die Flugabwehr. Auch von einer Bombe an Bord und technischen Problemen ist die Rede.

War Prigoschin wirklich an Bord? Obwohl er auf der Passagierliste stand, ist damit nicht bewiesen, dass der Oligarch wirklich an Bord war. Eine offizielle Bestätigung für seinen Tod seitens der Behörden gibt es nicht, auch wenn der Wagner nahestehende Telegram-Account Grey Zone seinen Tod meldete. Eine Obduktion der Leichen steht noch aus. Eine Verschleierungsaktion, um von der Bildfläche zu verschwinden, kann nicht ausgeschlossen werden. Zumal schon zweimal voreilig über den Tod Prigoschins berichtet wurde. 2019 sollte er beim Absturz eines Frachtflugzeugs in Afrika, wo seine Wagner-Truppe aktiv ist, umgekommen sein. Im vergangenen Jahr wurde sein Tod im Osten der Ukraine vermeldet. Beide Male tauchte Prigoschin später lebend wieder auf.

Der Russland-Experte Stefan Meister geht nicht von einem Aufstand der Wagner-Gruppe gegen den Kreml aus. „Ich sehe hier nicht, dass sich da jetzt neue Strukturen oder irgendwelche Strukturen in Wagner bilden, die dann irgendwie gegen den Kreml vorgehen“, sagte der Experte für Auswärtige Politik der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag.

„Das ist eine private Armee, die für Geld arbeitet“, erklärte Meister. Im Fokus stehe hier die Bezahlung - von wem die Aufträge kommen, sei dabei weniger relevant. Ende Juni hatte Jewgeni Prigoschin, Chef der Privatarmee, seine Kämpfer zum Marsch auf Moskau aufgerufen, weil die russische Militärführung angeblich einen Angriff auf Wagner-Söldner befohlen hatte. Den Aufstand brach er rasch wieder ab und willigte ein, gemeinsam mit seinen Kämpfern nach Belarus ins Exil zu gehen. Seit dieser Aktion im Juni war laut Meister ein sinkender Einfluss von Prigoschin auf die Wagner-Gruppe bemerkt worden.

Logik des Systems Putin



Prigoschin soll am Mittwochabend bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein. Seit dem Marsch im Juni sei klar gewesen, dass er die Aktion nicht überleben könne. „Es ist letztlich keine Überraschung. Das liegt in der Logik des Systems Putin, dass man auf diese Art und Weise Stärke zeigt“, so Meister. „Prigoschin war Chefsache, also das ist letztlich im Kreml entschieden worden.“

Auch der Geostratege und Politikwissenschaftler Alexander Libman geht von einer Ermordung Prigoschins aus. Das schließe aber keine zukünftige Rebellion aus. „Es bedeutet lediglich, dass die Vorbereitung darauf noch besser versteckt sein wird, und sich die Akteure noch genauer die möglichen Gefahren überlegen werden“, sagt Libman im Interview mit der „Rheinischen Post“.

− dpa