Befürworter feiern, Gegner schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Seit heute darf in Deutschland legal gekifft werden. Die neuen Regeln kommen mit Auflagen. Die Kritik verstummt nicht.
Der Sahara-Staub hatte sich kaum verzogen, da stiegen rund um Berlins berühmtestes Wahrzeichen in der Nacht zu Ostermontag dicke Rauchschwaden auf: Rund 1500 Menschen feierten nach Polizeiangaben am Brandenburger Tor die zum 1. April in Kraft getretene Legalisierung von Cannabis für Erwachsene. Demonstrativ wurden pünktlich um Mitternacht Joints angezündet, Teilnehmer tanzten in ausgelassener Stimmung zu Reggae-Musik.
Mit der Legalisierung schlägt Deutschland nach jahrzehntelangen Diskussionen einen neuen Weg in der Drogenpolitik ein. Gegner erneuerten zum Inkrafttreten ihre scharfe Kritik daran. Regierungsvertreter verteidigten die Neuregelungen.
Lauterbach: Historische Chance
„Heute beenden wir eine gescheiterte Verbotspolitik“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Deutschen Presse-Agentur in Berlin und sprach von einer historischen Chance. „Ab jetzt kombinieren wir eine echte Alternative zum Schwarzmarkt mit besserem Kinder- und Jugendschutz. So wie bisher konnte es nicht weitergehen“, fügte der SPD-Politiker hinzu.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) rechnet damit, dass auf Justiz und Polizei mittelfristig weniger Arbeit zukommt. „Die Umstellung bedeutet einmalig einen höheren Arbeitsaufwand, aber perspektivisch werden Polizei und Justiz entlastet“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Sie können dann noch stärker relevanter Kriminalität nachgehen.“
Der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB), Sven Rebehn, erklärte hingegen, die Aussagen des Justizministers „muten wie ein schlechter Aprilscherz an. Das völlig überbürokratisierte Cannabisgesetz wird die Justiz vor erhebliche Herausforderungen stellen und nicht etwa spürbar entlasten ...“, teilte er mit. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte dürften mit einer Flut von Zweifels- und Streitfragen konfrontiert werden.
Die Regierung argumentiert, dass der Cannabis-Konsum trotz Verbots zugenommen habe, der Schwarzmarkt wachse und Cannabis, das dort bezogen werde, mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden sein könne. Der Wirkstoffgehalt sei dabei unbekannt und es könnten giftige Beimengungen und Verunreinigungen enthalten sein.
Legalisierung in zwei Schritten
Nun wurden in einem ersten Schritt zunächst der Besitz, private Anbau und Konsum bestimmter Mengen Cannabis für Erwachsene erlaubt. Ab Juli sollen in einem zweiten Schritt sogenannte Anbauvereine staatlich kontrolliert unter strengen Auflagen Cannabis anbauen und an ihre Mitglieder abgeben dürfen. Gleichzeitig sieht das Gesetz Maßnahmen zur Suchtprävention vor.
Mit Inkrafttreten der Änderungen ist Cannabis von der Liste der verbotenen Substanzen im Betäubungsmittelgesetz verschwunden. Erwachsene dürfen in der Öffentlichkeit bis zu 25 Gramm der Droge mit sich führen, zu Hause sind maximal 50 Gramm erlaubt. Außerdem ist es gestattet, bis zu drei Cannabis-Pflanzen im Wohnbereich zu ziehen. In der Öffentlichkeit darf gekifft werden, aber nicht in der Nähe von Kindern und Jugendlichen, Schulen, Kitas, Spiel- und Sportplätzen und am Tage auch nicht in Fußgängerzonen. Für junge Leute unter 18 Jahren bleibt Cannabis tabu.
Union: Schwarzer Tag für Jugendschutz
CDU und CSU bekräftigten ihre strikte Ablehnung der Legalisierung. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der dpa: „In der Tat ist der 1. April ein historischer Tag. Er wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die Ampel ein nie dagewesenes Konjunkturprogramm für den Schwarzmarkt ins Rollen gebracht hat. In den kommenden Wochen wird illegales Cannabis aus Altbeständen den Markt fluten.“ Sorge nannte die Legalisierung in ihrer jetzigen Form ein Risiko für die innere Sicherheit. „Wir werden sie nach einem Regierungswechsel rückgängig machen.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schrieb bei X (vormals Twitter), mit dem Cannabis-Gesetz schade sich Deutschland selbst und gefährde die Gesundheit der Bevölkerung. „Unser Land ist damit auf dem Irrweg.“ Söder sprach von einem fatalen Fehler und bekräftigte seine Ankündigung, es Kiffern in Bayern besonders schwer machen zu wollen. Man werde das Gesetz extrem restriktiv anwenden.
Polizei befürchtet Konflikte bei Kontrollen
Die Deutsche Polizeigewerkschaft hatte solche Ankündigungen bereits vorher kritisiert. Behörden und Polizei würden dadurch in eine Position gebracht, in der sie ganz genau kontrollieren müssten, sagte der bayerische Landesvorsitzende Jürgen Köhnlein. Es fehlten aber genaue Verwaltungsvorschriften und Personal. Es gebe im Cannabis-Gesetz deutlich mehr Tatbestände als bisher. „Das wird ganz, ganz kompliziert.“
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit Problemen bei Kontrollen. „Konflikte sind vorprogrammiert“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Poitz der dpa. „Wir sind uns sicher, dass es aufgrund verschiedenster Unklarheiten und fehlender gesetzlicher Definitionen zu deutlich spürbaren Unzufriedenheiten, Unsicherheiten und Fehlern bei allen Beteiligten kommen wird.“
Bedenken von medizinischer Seite
Im Beratungsverfahren zum nun in Kraft getretenen Gesetz hatten auch Medizinerverbände Bedenken angemeldet, vor allem mit Blick auf Gesundheitsgefahren für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Zwar bleibt Cannabis rechtlich für Personen unter 18 Jahren tabu. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie zum Beispiel hatte aber darauf hingewiesen, dass die Hirnreifung erst mit Mitte 20 abgeschlossen sei und ein früherer Cannabis-Konsum das Risiko für Psychosen erhöhe.
Die Legalisierung fällt insgesamt noch deutlich schmaler aus, als von der Ampel ursprünglich geplant. Auf Eis liegt erst einmal das Vorhaben, auch den freien Verkauf von Cannabis und Cannabis-Produkten in speziellen Geschäften zu ermöglichen, so wie etwa in den USA oder Kanada. EU-rechtliche Bedenken stehen dem entgegen. Deshalb hatte Lauterbach angekündigt, dies zuerst in zeitlich und regional begrenzten Modellversuchen zu erproben.
Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD) forderte die Ampel-Koalition auf, hier nun aktiv zu werden: „Mit dem ersten Schritt schaffen wir erst einmal nur Verbesserungen für regelmäßige Konsumierende. Jetzt ist aber unbedingt notwendig, die Sache rundzumachen und die Modellprojekte als zweite Säule zu beschließen“, sagte er dem RND. Erst damit sorge man dafür, dass Gelegenheitskonsumenten nicht mehr zum Dealer gehen müssten.
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