Amazon-Prime-Doku "Schwarzer Adler"
Jimmy Hartwig spricht über Rassismus im deutschen Fußball

12.04.2021 | Stand 21.09.2023, 2:53 Uhr
André Wesche

Die Doku "Schwarzer Adler" thematisiert Rassismus im deutschen Fußball. −Foto: Broadview Pictures

Im Mittelpunkt der abendfüllenden Dokumentation "Schwarze Adler" von Regisseur Torsten Körner stehen Fußballerinnen und Fußballer, die zwei Aspekte verbinden. Sie alle haben den Schwarzen Adler der deutschen Nationalmannschaft auf der Brust getragen. Und sie alle sind Schwarz. Der Film, der ab 15. April auf Amazon Prime verfügbar ist, berichtet von den zuweilen erschütternden Erfahrungen der Sportler mit dem alltäglichen Rassismus gestern und heute. Einer der Protagonisten ist Jimmy Hartwig (66), dessen Bundesligalaufbahn 1972 bei den Kickers Offenbach startete.



Wann haben Sie sich zum letzten Mal persönlich rassistisch angegriffen gefühlt?
Jimmy Hartwig: Im Grunde passiert das jeden Tag, nicht mit Worten, aber mit Blicken. Das ist einmalig. Wenn ich einkaufe, dann wissen die Leute manchmal natürlich nicht, wer ich bin. Und es wird getuschelt. Sobald die Leute erfahren, dass es doch der Jimmy Hartwig ist, heißt es: "Ach so! Das ist aber ein netter Kerl!". Das finde ich so grausam. Ich kann mir nur vorstellen, wie das ist, wenn man nicht bekannt ist. Die Menschen kennen dich nicht, fällen aber sofort ein Urteil.

Wurden Sie als Kind von Ihrer Mutter und Ihrem Großvater vorbereitet, dass Sie in der Schule angefeindet werden könnten?
Hartwig: Vom Großvater nicht, der hat nur gesagt: "Verschwinde!" Meine Mutter hat mich schon vorbereitet. Sie hat gesagt, dass ich jetzt in eine andere Welt komme. Es wird Kinder geben, die mich ausschimpfen. Du bist dunkel, du siehst nicht so aus wie die. Und zweitens kommst du aus einem anderen Viertel als die, die aus reichen Verhältnissen stammen. Und genau so ist es eingetroffen. Da wurde ich schon geprägt. Und ich wusste, dass das Leben, das mir in die Wiege gelegt wurde, nicht das einfachste sein würde.

Haben Sie den Fußballverein dann auch als eine Rettungsinsel empfunden, auf der nur zählte, was man draufhatte?
Hartwig: Insofern, dass ich rauskam, andere Menschen kennenlernen und viel Sport treiben konnte. Ich wollte zeigen, was in mir steckt. Als ich in den Fußballclub gekommen bin, haben die anderen Eltern aber auch gesagt: "Was willst Du denn hier als Dunkelhäutiger?" Der Trainer Kurt Schreiner hat mich unterstützt und gesagt: "Der spielt hier nicht, weil er braun ist, sondern weil er viel besser spielt als Ihr Sohn. Deshalb ist er auch in meiner Mannschaft." Er hat einen Schild über mich gehalten. Ich habe gemerkt, dass es auch Menschen gibt, die wie meine Mutter vor mir stehen, zu mir halten und nichts auf mich kommen lassen.

Sie waren als Trainer in Sachsen und haben in Leipzig Theater gespielt. Das Bundesland gilt als rechtsradikaler Hotspot. Haben Sie beim Thema Rassismus regionale Unterschiede festgestellt?
Hartwig: Als ich in Leipzig Theater gespielt habe, habe ich davon nichts gespürt. Als Theaterschauspieler habe ich von Rassismus nichts mitgekriegt. Aber als Trainer bei Sachsen Leipzig habe ich so richtig Breitseite gekriegt. Mein Präsident war ein ehemaliger Oberstleutnant der Staatssicherheit. Er hat mich sofort spüren lassen, dass ich nicht gern gesehen bin. Ich weiß es noch bis heute, wie er zu mir gesagt hat (Anm.: in breitem sächsischen Dialekt): "Na passen se mal uff. Wenn se globen, dass se bei uns machen können, was se wollen, nur weil se ausm Westen rübergekommen sind, dann werdn se mich aber ma kennenlernen." Das war dann auch der Ansatz von den Jungs. Ich habe immer Breitseite gekriegt. Dann bin ich nach Cottbus gefahren und direkt in der Höhle des Löwen gelandet.

Inwiefern?
Hartwig: Ich wurde als Trainer bespuckt und mit Steinen beschmissen. Aber ich habe in Leipzig auch tolle Menschen kennengelernt. Ich weiß nicht, warum die Rechten im Osten so stark geworden sind. Die Regierung hat bei der Wiedervereinigung Fehler gemacht und blühende Landschaften versprochen. Hätte Herr Kohl von Anfang an gesagt, dass die Wiedervereinigung kein Zuckerschlecken werden würde, wäre das bestimmt besser gewesen. Die Politiker von damals haben dazu beigetragen, dass Rassismus heute im Osten verbreiterter ist als im Westen.

Anders als seine Hautfarbe kann man seine sexuelle Orientierung verstecken. Verstehen Sie Fußballer, die sich in ihrer aktiven Zeit nicht outen?
Hartwig: Ja, ich kann sie verstehen. Aber dass man heutzutage noch Angst haben muss, einen Mann zu küssen, wenn man verliebt ist – oder eben eine Frau – kapiere ich nicht. Ich habe zu meiner 11-jährigen Tochter gesagt: "Mir ist egal, wen du kennenlernst, ob Junge oder Mädchen. Für mich zählt nur eins, liebe Tochter: dass du glücklich bist." Leben und leben lassen. In der Bundesliga kann man das nicht und das finde ich sehr schade.

Macht es Sie traurig, dass sich in Bezug auf Rassismus bis heute so wenig verändert hat?
Hartwig: Solange es Menschen gibt, wird es auch Rassismus geben. Solange du deinen eigenen Fehler nicht siehst, solange gibt es auch Rassismus in Deutschland. Wir müssen dafür sorgen, dass das Problem kleiner wird und keine großen Strukturen entstehen. Eigentlich können nur Leute wie Steffi Jones, Asamoah oder ich über Rassismus reden. Normalerweise müssten Leute wie wir als Integrationsbeauftragte im Bundestag sitzen. Wir wissen, wie es geht und wie es sich anfühlt. Ich bin 66 und würde den Job gern übernehmen. Ich möchte etwas erreichen und für die Menschen da draußen arbeiten.

André Wesche