PNP-Spendenaktion 2023
Hohe Kindersterblichkeit: Welthungerhilfe will Kleinbauern in Sierra Leone stärken

29.12.2023 | Stand 10.01.2024, 13:22 Uhr
Philipp Hedemann

Noch immer kann man die Rippen der sechs Monate alten Jeneba einzeln zählen. Das schwer unterernährte Mädchen wird im Distrikt-Krankenhaus in Kenema von den Ärzten und Pflegern aufgepäppelt. Ihre Mutter Jebbeh weiß, dass es für die Kleine Rettung in letzter Minute war. − Foto: Hedemann

Die sechs Monate alte Jeneba ist schwer unterernährt. Im Krankenhaus kämpft sie um ihr Leben. Um die immer noch hohe Kindersterblichkeit in Sierra Leone zu bekämpfen, will die Welthungerhilfe Kleinbauern stärken.

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Voller Sorge schaut Jebbeh Mansoray auf das sich in ihrem Arm windende und weinende Baby. Die sechs Monate alte Jeneba ist nicht ihr erstes Kind. Als die junge Mutter ihre erste Tochter zur Welt brachte, war sie gerade mal 18 Jahre alt. Doch ihr Kind kam klein und schwach zur Welt, nahm nicht zu, hatte nie genug Kraft, um kräftig an der Brust ihrer Mutter zu trinken. Jebbeh ahnte, dass es nicht überleben würde. „Vielleicht habe ich ihr deshalb keinen Namen gegeben“, sagt die Bäuerin aus Sierra Leone. Als ihre Erstgeborene mit vier Wochen starb, war sie noch immer namenlos. Ihrer zweiten Tochter gab Jebbeh Mansorays gleich nach der Geburt einen Namen. Jeneba – ein Name, den in Sierra Leone traditionell oft zweitgeborene Töchter erhalten. In einer Station für unterernährte Babys und Kinder kämpfen ihre Mutter, Krankenschwestern und Ärzte jetzt um ihr Leben.

Fieber und Durchfall schwächten das Baby

Als Jebbeh Mansoray vor drei Tagen mit ihrer Tochter in Krankenhaus kam, wog Jeneba gerade mal 3,9 Kilo und war 57 Zentimeter groß. Gesunde Babys können in diesem Alter doppelt so viel wiegen und zehn Zentimeter größer sein. Hohes Fieber ließ Jenebas zerbrechlich wirkenden Körper immer wieder verkrampfen, sie hustete, öffnete nur selten die Augen. Jeneba weinte leise, ihre Mutter laut. Spezialnahrung, die die Krankenschwestern Jeneba mit einer Spritze und Löffeln auch nachts alle zwei Stunden einflößten, konnte das von Durchfall geschwächte Baby kaum bei sich behalten. Die Ärzte vermuteten, dass das Baby an Typhus und Tuberkulose leiden könnte, behandelten Jeneba mit Antibiotikum und fiebersenkendem Mittel. Die Therapie schlug an, das Fieber sank, und innerhalb von drei Tagen nahm das Baby 100 Gramm zu.

„Wäre Jeneba später zu uns gekommen, hätte sie es wohl nicht geschafft. Aber jetzt ist sie über den Berg. Sie wird leben“, sagt Krankenschwester Safinah Bockire, während sie bei Jenebas Mutter am Bett sitzt und der jungen Mutter die Hand hält. Aus Angst auch ihr zweites Baby zu verlieren hat sie in den letzten Tagen kaum geschlafen. „Ich bin so froh, dass Jeneba und ich hier sind. Hier fühle ich mich in guten Händen“, sagt die erschöpfte Mutter.

Fünf höchste Babysterblichkeitsrate der Welt



Sieben Stunden war sie mit ihrem kranken Baby bei über 30 Grad in einem überfüllten und stickigen Sammeltaxi auf zerfurchten Pisten und schlaglochübersäten Straßen unterwegs, bevor sie schließlich das Krankenhaus erreichte. Jenebas Vater wusste lange nicht, ob seine Tochter die kraftzehrende Fahrt überstanden hatte. Denn Jenebas Mutter hat kein Handy. Erst als die Krankenschwestern und Ärzte Jeneba nach zwei Tagen stabilisiert hatten, traute Jebbeh Mansoray sich, mit einem geliehenen Telefon ihren Mann anzurufen und zu sagen: „Jeneba lebt.“

Trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren hat Sierra Leone nach Schätzungen die fünf höchste Babysterblichkeitsrate der Welt. 72 von 1000 Babys sterben, bevor sie ihren ersten Geburtstag feiern können. Krankenschwester Safinah Bockire hat viele Mütter, die ein Baby verloren haben, kennengelernt. Vor allem in der Trockenzeit, wenn der Grundwasserspiegel sinkt und die Wasserqualität in vielen Brunnen abnimmt, landen sie mit ihren vom Durchfall ausgemergelten Babys in ihrer Station für schwer mangelernährte Babys und Kinder in Kenema, Sierra Leones zweitgrößter Stadt im Südosten des Landes.

„Oft kommen Mütter aus extrem armen Familien zu uns. Sie konnten oft nur kurz zur Schule gehen, sind meist schon als Teenagerin das erste Mal Mutter geworden oder haben viele Kinder in zu kurzer Zeit bekommen, sodass sie sich nicht ausreichend um sie kümmern können oder genug Muttermilch für sie haben“, sagt die erfahrene Krankenschwester.

Krankenschwester spricht Verhütung und Hygiene an

Auch damit sie die gleichen Mütter nicht schon bald wieder mit einem weiteren unterernährten Baby aufnehmen muss, spricht sie – sobald es ihren jungen Patientinnen und Patienten etwas besser geht – mit deren Müttern darüber, wie sie verhüten können, wie wichtig es für die Babys ist, in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich gestillt zu werden und über Hygiene und gesunde Ernährung.

Dabei ist der Krankenschwester bewusst, dass viele der armen Mütter, durchaus wissen, wie wichtig sauberes Trinkwasser und eine ausgewogene Ernährung vor allem für Babys, Kinder und Mütter sind, sie sich gesundes und abwechslungsreiches Essen aber einfach nicht leisten können.

Safinah Bockire weiß, dass sie und ihre engagierten Kolleginnen und Kollegen mit ihren lebensrettenden Maßnahmen oft nur an den Symptomen rumdoktern. Die Ursachen müssen mit verbesserter Bildung, Landwirtschaft und Hygiene in den Dörfern bekämpft werden. Die Welthungerhilfe und ihr lokaler Partner in Sierra Leone – MoPADA (Bewegung für Frieden und Entwicklung) – setzen mit ihrer Initiative der „Nutrition Smart CommUNITYs“ genau dort an. Eines der Ziele der Hilfsorganisation ist es, dass Safinah Bockires Station für unterernährte Babys eines Tages geschlossen werden kann.