Ort des Bebens „keine Überraschung“
Erdbeben in der Türkei und Syrien: So schätzt ein bayerischer Experte die Lage ein

06.02.2023 | Stand 17.09.2023, 3:41 Uhr

Unzählige Helfer suchen derzeit nach Überlebenden unter den Trümmerteilen in der Türkei und in Syrien. Die Wetterlage und die hohe Zahl an Nachbeben erschweren den Rettungseinheiten allerdings die Suche, sagt der bayerische Experte Joachim Wassermann. −Foto: dpa

Mehrere schwere Erdbeben haben am Montag die Türkei und Syrien erschüttert. Dabei war der Ort des Bebens „keine Überraschung“, sagt ein Experte vom Erdbebendienst Bayern. Er erklärt, warum eine frühe Warnung dennoch fast unmöglich ist.





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Es ist noch nachts, als die Erde in der Türkei an der Grenze zu Syrien das erste Mal bebt. In den folgenden Stunden kommt es zu weiteren Eruptionen. Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf mehr als 4200 gestiegen, rund 16.000 Menschen wurden in der Türkei und in Syrien nach bisherigen Informationen verletzt. Die Menschen überraschte das Beben teilweise noch im Schlaf – auch weil es keine Warnungen zuvor gab. Warum?

„Ein Erdbeben ist die Folge von Spannungen im Untergrund, welche sich über Jahrzehnte langsam aufladen und innerhalb weniger Sekunden bis Minuten ruckartig entladen“, erklärt Joachim Wassermann vom Erdbebendienst Bayern mit Sitz in Fürstenfeldbruck auf Anfrage der Mediengruppe Bayern. Betrachte man nun die Länge und Tiefenlage der „seismogenen Zonen“, dann müsste entlang Tausender Kilometer der Ist-Zustand der Spannung bekannt sein, um durch Vorwärtssimulation eine Prognose zu erhalten. „Das ist derzeit – und wahrscheinlich immer – eine technische Unmöglichkeit“, sagt Wassermann.



Ort des Erdbebens keine Überraschung, die Größe aber schon



Frühwarnungen – also Warnungen nachdem ein Erdbeben ausgelöst wurde – machen dann nur Sinn, so der Experte, wenn das Epizentrum weit genug vom Beobachter entfernt liegt und das Erdbeben auch groß ist und auch noch einen Tsunami generiert. Statistisch können Seismologen vor gewissen Gebieten warnen. So gibt die globale Gefährdungskarte an wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass innerhalb von 50 Jahren eine Erschütterung einen gesetzten Schwellwert überschreitet. Denn die Messung von Erdbeben bzw. auch deren Ausbleiben geben den Experten aber Hinweise darauf, in welchem Gebiet es wahrscheinlicher ist, dass Erdbeben auftreten. „Insofern“, folgert Joachim Wassermann, „ist der Ort des aktuellen Erdbebens durchaus keine Überraschung – die Größe ist allerdings schon außergewöhnlich.“

Dem Katastrophendienst Afad zufolge hatte das Hauptbeben am Morgen mit Epizentrum im südtürkischen Kahramanmaras eine Stärke von 7,7. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie in Istanbul die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939.

Dass solch starken Beben in Bayern auftreten, „ist selbst in den schlimmsten Szenarien nicht enthalten, da wir weit von aktiven Plattengrenzen entfernt wohnen“, erklärt Joachim Wassermann. Davon unbenommen könne allerdings nahezu überall auf der Erde ein Beben der Stärke 6,0 bis 6,9 stattfinden. „Die Wahrscheinlichkeit hier in Bayern ist dafür allerdings sehr gering.“

Erdbebengebiete besonders in Franken, bei Eichstätt und an Alpen



Insgesamt ereignen sich nach Angaben des Experten in Bayern jährlich im Schnitt etwa 200 Erdbeben, die überwiegende Anzahl bleibt aber weit unter der Fühlbarkeitsschwelle für Menschen. Nur etwa fünf Erdbeben sind stark genug, dass sie von Anwohnern verspürt werden können, Schadensereignisse, wie Putzrisse im Gebäude, sind nochmals seltener, so der Experte. Am häufigsten treten solche Erschütterung in Bayern im nordöstlichen Franken, bei Eichstätt und entlang des gesamten Alpenbogens auf. „Das liegt schlicht an der Tektonik, die hier für einen Spannungsaufbau verantwortlich ist“, erklärt Joachim Wassermann.

Falls es zu einem Erdbeben kommt, hat der Experte klare Verhaltenstipps: „Ruhig bleiben, einen Türstock oder einen großen festen Tisch suchen und sich darunter stellen, kauern“, erklärt Wassermann. In keinem Fall sollte man bei mehrgeschossigen Häusern ins Freie rennen, weil hier Trümmerteile von oben auf den Boden fallen könnten.

Chance Überlebende zu finden, „noch relativ gesehen groß“



Die Erdbebengebiete in der Türkei und in Syrien sind derzeit übersät von solchen Trümmern. Da sich noch Menschen darunter befinden, kann schweres Bergungsgerät nur bedingt oder eingeschränkt eingesetzt werden, sagt Joachim Wassermann. Zudem erschweren die Wetterlage und die hohe Zahl an Nachbeben den Rettungseinheiten die Suche nach Verschütteten. Diese könne deshalb noch mehrere Tage andauern.

Die Chancen, Überlebende zu finden, schätzt Experte Joachim Wassermann noch gut ein: „Sofern es sich um ein ‚modernes‘ Haus mit Betondecken handelt, sind diese noch relativ gesehen groß, da diese Decken oft Hohlräume bilden und so Platz zum Überleben“, erklärt er. „Alte Lehmziegelhäuser ‚zerbröseln‘ förmlich und bieten nur wenig Platz zum Überleben.“

− dpa