Dekanat Passau
Ausgetretene Christen zurückholen – Kritik an der Dekanatssynode

Der Protestant Rainer Sebastian fordert mehr Streitkultur in der evangelischen Kirche

17.03.2024 | Stand 17.03.2024, 5:00 Uhr

Rainer Sebastian fordert mehr Beachtung für die Themen Kirchenaustritt und Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche. − Fotos: Rammer

Auch in der evangelischen Kirche wird mit den Füßen abgestimmt – viele Gläubige treten aus. Letzte verlässliche Zahlen stammen aus dem März 2023. Demnach kehrten 48542 Menschen im Jahr 2022 der evangelischen Kirche den Rücken. Die Entwicklung dauert an. Das treibt Rainer Sebastian einerseits Tränen der Verzweiflung, andererseits aber auch der Wut in die Augen.

Der Vilshofener Unternehmer ist Mitglied der evangelischen Gemeinde Vilshofen/Eging am See, Lektor und Mitglied der Dekanatssynode. Der 49-jährige stark ehrenamtlich engagierte Protestant weiß um den Zustand seiner Kirche und schildert ein für ihn überaus emotionales Ereignis. Er war dabei, als die Christuskapelle in Büchlberg im Landkreis Passau entwidmet wurde. „Da wurden die sakralen Gegenstände entfernt. Regionalbischof Klaus Stiegler sagte, ,nun ist es keine Kirche mehr‘. Es war furchtbar, ich habe weinen müssen,“ schildert Sebastian eine für ihn hochdramatische Situation.

„Ich kann mich mit dem Exodus nicht abfinden“



Er will sich mit dem Exodus aus den Kirchen nicht abfinden. Deshalb stellte er bei der Dekanatssynode im Oktober vergangenen Jahres einen Antrag. Dieser lautete schlicht und einfach: „Die Pfarrerinnen und Pfarrer sollen mit den Ausgetretenen sprechen.“ Sein Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Und damit will Sebastian sich nicht abfinden. Vor allem die Argumente, die dagegen vorgebracht wurden, kann er nicht akzeptieren. Da habe es geheißen, den Pfarrern fehle die Zeit, die Pfarrämter erhielten keine zeitnahen Informationen über die Austritte, die gerade Ausgetretenen seien sehr schwierig. Letztlich hieß es, die Ehrenamtlichen müssten das machen, was Sebastian als „grotesk“ bezeichnet. Damit, dass der Pressesprecher des Dekanats seinen Antrag als „nicht relevant“ bezeichnete und deshalb nicht der Öffentlichkeit mitteilte, kann er sich ebenfalls nicht abfinden. Letzterer, Hubert Mauch, teilte auf Nachfrage mit, er habe das „nicht relevant“ rein auf die Presse hin bezogen, die Sache selbst sei sehr wohl relevant.

„Wir sitzen doch alle im selben Boot“, meint Sebastian gegenüber der Redaktion. „Es zeigt doch den ganzen Irrsinn der Situation in unserer Kirche, das keiner mit denen, die gehen, reden will. Es wird einfach hingenommen, man ergibt sich kampflos in die Situation.“ Die Pfarrer würden sich oft in Stabszellen in München oder Nürnberg oder für ausländische Projekte aufreiben. Dabei gehörten sie in die Gemeinden und sollten dort sich der Problematik widmen. Und von den Kommunen gebe es sehr wohl die Daten der Ausgetretenen.

Dekan Wilde: „Thema brennt uns auf den Nägeln“



„Mit einem ,Seid nett zueinander kommen‘ wir nicht weiter.“ Bei der Synode, so Sebastian, der auch Bezirksvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CSU Niederbayern ist, weiter, habe man am Ende beschwichtigt und ihm bescheinigt, man sei „wachgerüttelt“ worden und werde was tun. „Nach fast einem halben Jahr stelle ich fest: Es ist nichts passiert, kein Anruf, keine Nachfrage. Das akzeptiere ich nicht.“ Es brauche den Dissens, den Diskurs, die Auseinandersetzung. „Wir müssen uns mehr streiten, das macht uns Protestanten doch aus.“

Dekan Jochen Wilde widerspricht: „Das Thema brennt uns als Hauptverantwortlichen auf den Nägeln.“ Aber, so der Dekan weiter, die Synode sei für einen derartigen Antrag nicht zuständig, da die Dienstordnung nicht in deren Bereich falle. Weil das Thema so wichtig sei, sei habe er trotzdem darüber diskutieren lassen. Es sei aber Sache der Kirchenvorstände in den Gemeinden, sich mit dem Thema beschäftigen und ein Konzept vorzulegen. Sollten sie beschließen, dass die Pfarrer einen Teil ihrer Arbeitszeit aufwenden, um mit den Ausgetretenen zu reden, dann müsse ihnen klar sein, dass sie andere Dinge nicht mehr machen können. Wilde verweist auf eine Studie in drei fränkischen Dekanaten, die ergeben habe, dass alles, was man bei Austritten im Nachhinein mache, kontraproduktiv und abgesehen von Einzelfällen nicht zielführend sei. Seine Meinung: „Das beste Mittel, Austritte zu verhindern, besteht darin so gute Arbeit zu leisten, dass es erst gar nicht zu Austritten kommt.“ Für Rainer Sebastian ist das eine weitere fadenscheinige Aussage: „Ich weiß von meinem Alltag als Unternehmer, dass man verlorene Kunden sehr wohl reaktivieren kann, warum sollte das in der gemeinde nicht klappen. Wir müssen mehr Aufnehmen, Mitnehmen, Umarmen praktizieren statt Misstrauen.“

Der Vilshofener will unbequem bleiben. Bei der nächsten Dekanatssynode am 14. April will er einen Antrag zum Thema Missbrauch einbringen. Der Landesbischof habe nach der misslungenen Präsentation des Missbrauchsgutachten der Evangelischen Kirche gesagt, in Bayern würde man nicht der erste sein, die alle Personalakten durchgingen. „Dann werden wir es halt in Passau sein, die das machen, so Sebastian. Dampf machen bei dem Thema will freilich auch Dekan Wilde. Während die Landeskirche Schutzkonzepte bis Ende 2024 verlangt, möchte er, dass in seinen Gemeinden ein solches Konzept schon bis zu Sommer vorliegt.