Fridolfing
Wikipedia macht aus Strom-Pionier einen Nazi

09.06.2020 | Stand 20.09.2023, 21:09 Uhr

Alois Rehrl (1827 bis 1900) hat im Jahr 1893 den Strom nach Fridolfing gebracht – sechs Jahre vor der Landeshauptstadt München. Vor allem deswegen wurde dem Landtagsabgeordneten in der Gemeinde eine Straße gewidmet. −Foto: Archiv Heimatbuch Fridolfing

Wikipedia ist eine der größten Errungenschaften der Internet-Generation. Eine kostenlose und für jeden zugängliche Enzyklopädie – unglaublich. Problematisch wird häufig nur, wenn es um seriöse Quellenangaben geht, da prinzipiell jeder auf der Webseite publizieren oder bestehende Artikel ergänzen kann. Falsche Behauptungen, ob bewusst oder versehentlich, gibt es zuhauf. Wie auch im Fall der Alois-Rehrl-Straße in Fridolfing. Sie ist dem Pioniergeist und Landtagsabgeordneten Alois Rehrl (1827 bis 1900) gewidmet – und nicht, wie auf Wikipedia zu lesen, dem NSDAP-Mitglied und Freund Heinrich Himmlers, welcher zufällig den selben Namen trug.

"Wir haben schon versucht, den Sachverhalt in Wikipedia zu berichtigen beziehungsweise klarer darzustellen. Leider kann in Wikipedia jeder beliebig Artikel verändern", schreibt die Gemeindeverwaltung Fridolfing auf Nachfrage der Heimatzeitung. Auch hier ist man sich des Problems also bewusst. Bürgermeister Hans Schild verweist außerdem auf das äußerst akribisch von Dr. Matthias Blankenauer verfasste Heimatbuch der Gemeinde.
Im Kapitel "Fridolfing bekommt elektrisches Licht" hat Blankenauer die Chronologie der Elektrifizierung niedergeschrieben. "Am 13. Juni 1849 übernahm Alois Rehrl (geboren 1827) die Obermühle in Fridolfing (Landwirtschaft, Mühle und Säge), die sein Vater 1832 für ihn erworben hatte", heißt es darin. 1889 wurde die Säge umgebaut und modernisiert, zwei Jahre später errichtete Rehrl für das gesamte Anwesen ein Elektrizitätswerk.

Ab da an wurde der Betrieb beleuchtet, sehr zur Bewunderung der Fridolfinger Bürger. 1893 war es dann soweit: Alois Rehrl legte sein zuvor gekauftes Mühlenanwesen in Dietwies still und ließ dort ebenso ein Elektrizitätswerk einbauen. "Die Kapazität des E-Werkes reichte für die Stromversorgung des ganzen Dorfes", schrieb Blankenauer. Rehrl, der zudem von 1877 bis 1881 Abgeordneter des Bayerischen Landtags war, ist es also zu verdanken, dass das Dorf früh in den Genuss der damals äußerst modernen Elektrifizierung kam – sogar sechs Jahre vor der Landeshauptstadt München. Ihm also eine Straße zu widmen, ist durchaus nachvollziehbar.
Ein Foto des Straßenschilds befindet sich auf Wikipedia. Die Bildunterschrift: "Straße in Fridolfing (Landkreis Traunstein), benannt nach dem SS-Angehörigen und ehemaligen Arbeitgeber von Heinrich Himmler, Alois Rehrl." Eine herbe Verwechslung. Dem Heimatbuch und anderen Quellen ist nicht einmal zu entnehmen, dass der erst 1890 geborene Alois Rehrl überhaupt eine verwandtschaftliche Beziehung zu dem Strom-Pionier hatte.

Eine freundschaftliche Beziehung hingegen pflegte er tatsächlich zu dem späteren SS-Führer Heinrich Himmler. Dessen Familie verbrachte ihren Urlaub des Öfteren in Fridolfing, woraus sich der Kontakt zu den Rehrls ergab. Ab dem 1. September 1920 absolvierte Heinrich Himmler während seines Landwirtschaftsstudiums ein einjähriges Praktikum auf dem Rehrlhof in Strohhof.

Auch danach wurde der Kontakt gepflegt, Himmler schaute immer wieder bei den Rehrls vorbei. Und Alois Rehrl schien so etwas wie ein Mentor für den jungen Himmler zu werden, wie verschiedenen Quellen zu entnehmen ist. Es wurde gemeinsam gejagt, auf den Berg gegangen oder Weihnachten gefeiert. Himmler soll im örtlichen Gesangs- und auch im Alpenverein Mitglied gewesen sein. Rehrl hingegen wird 1933 Mitglied der NSDAP, später auch der SS – und ist damit in Fridolfing sicher nicht der einzige gewesen, ganz im Gegenteil. Später, im Jahr 1943, hilft Himmler seinem alten Freund, als dieser einen verstorbenen langjährigen Säger im Betrieb beklagen musste. Laut dem Buch "Orte des Terrors" von Wolfgang Benz und Barbara Distel, schickte Himmler ihm als Ersatz den seit 1937 als "Bibelforscher" in Buchenwald und Dachau inhaftierten Schreiner Arno Salomon.

Vom 23. November 1943 bis 30. Mai 1944 wurde Salomon offiziell als KZ-Häftling "in das Außenlager Fridolfing" abkommandiert. Der Begriff "Außenlager" wurde von Himmler wohl nur aus organisatorischen Gründen verwendet, um eine Überstellung überhaupt möglich zu machen. Dass es Salomon in Fridolfing gut gegangen sein musste, zeigt auch, dass er nach seiner Freilassung noch ein weiteres Jahr auf dem Hof arbeitete, um das Kriegsende abzuwarten. Ein freier Mann wurde er, weil sich Rehrl dafür stark gemacht hatte.

Nachdem zwei Söhne von Rehrl im Krieg gefallen waren, schickte Himmler vier weibliche Häftlinge zu ihm nach Fridolfing – alles Zeugen Jehovas. Gewaltmaßnahmen waren keine bekannt, eine besondere Bewachung erfolgte nicht. Im Buch "Orte des Terrors" steht dazu, dass die "Häftlinge" sich im Spruchkammerverfahren für ihren Arbeitgeber Rehrl ausgesprochen hatten, weswegen er nur als "Minderbelasteter" eingestuft wurde.