Chef der Freilichtmuseen Massing und Finsterau
Wozu brauchen wir alte Häuser und Höfe, Timm Miersch?

15.11.2021 | Stand 21.09.2023, 5:08 Uhr

Gelernt hat er Zimmermann: Timm Miersch bildete sich fort zum Techniker für Baudenkmalpflege und Altbauerhaltung und schließlich zum Museumsleiter. Über 23 Jahren lang arbeitete er in Nordrhein-Westfalen als Gebäuderestaurator im Freilichtmuseum Detmold, seit 1. Oktober wirkt er in Massing im Rottal. −Foto: Bezirk Niederbayern/Marcus Dörner

Freilich lässt es sich wunderbar Hochzeit feiern oder Musik genießen inmitten der schmucken historischen Bauten. Der tiefere Sinn der Niederbayerischen Freilichtmuseen in Massing und Finsterau aber geht weit darüber hinaus. Sie sind auch Orte der Forschung und des Lernens. Die Häuser und Höfe helfen zu verstehen, wie unsere Vorfahren gelebt haben, welche Sorgen sie hatten – und welche Lösungen sie fanden. Timm Miersch, seit 1. Oktober neuer Leiter, stellt sich in der Region vor.

Herr Miersch, wie haben Sie Ihre Familie überzeugt, dass es eine gute Idee ist, nicht mehr in Lippe in Nordrhein-Westfalen, sondern in Niederbayern zu leben?
Timm Miersch: Na ja, die ganze Familie habe ich noch nicht überzeugt – bisher nur meine Frau. Die Kinder sind ja schon groß und wohnen nicht mehr zu Hause, die fanden das irgendwie ungewöhnlich, aber nicht schlimm. Und der freudige Teil ist, dass meine Enkel in Burghausen leben!

Darf man fragen, welchen Wohnort Sie gewählt haben?
Miersch: Ich wohne jetzt in Massing und kann zu Fuß zur Arbeit ins Museum gehen.

Sie sprechen fließendes Nicht-Bairisch – ist das Thema am neuen Arbeitsplatz?
Miersch: Ich hab’ mir angewöhnt, deutlich nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Die Leute nehmen es mir auch nicht übel. Ich werde nicht probieren, Niederbairisch zu lernen, das wäre unauthentisch. Außerdem müsste ich zweimal Niederbairisch lernen, es ist ja doch ein ziemlicher Unterschied zwischen der Sprache in Massing und der im "Woid". Ich habe deutliche Probleme, den Wirt von Finsterau zu verstehen, aber der weiß das auch, und so geht das schon! Ansonsten habe ich, um mich vorzubereiten, ganz viel Bayerisches Fernsehen geguckt. Man staunt ja, wie schnell man sich reinhört.

Angetreten sind Sie am 1. Oktober. Wie war der Empfang?
Miersch: Das war absolut herzlich und gleich mit dem ersten Termin verknüpft – weil es sich Christian Thiel als 1. Bürgermeister von Massing nicht nehmen ließ, mich am ersten Tag gleich persönlich zu begrüßen. Es war sehr nett und gut, der Empfang hat mir eine Menge Anspannung genommen.

Sie kommen an, sehen sich um und stellen fest: Was läuft bereits super in Massing und Finsterau?
Miersch: Das wusste ich auch schon, bevor ich mich überhaupt beworben hatte. Was hier wirklich super läuft, sind die Depots. Wir haben die Depotarbeit der Niederbayerischen Freilichtmuseen in meinem Studium "Museumsmanagement und -kommunikation" an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin behandelt. Das klang von außen schon toll, jetzt erlebe ich selbst, auf welch hohem Niveau da gearbeitet wird. Davon kann man als Museumsleiter nur träumen. Die Professionalität, die hier herrscht, wenn ein Objekt reinkommt. Dass es eine Schleuse gibt, dass das sofort in der Datenbank erfasst und fotografiert wird. Der Umgang ist oberstes Niveau, und das wird natürlich auf alle Fälle beibehalten und gepflegt!

Noch ein Punkt?
Miersch: Ja, die Publikationen und die Vokabulare. Da hat man sich z.B. mit einem Handwerk beschäftigt, und dann wurden alle Werkzeuge und wichtigen Begriffe des Handwerks eingetragen, auch die mundartlichen Begriffe, wenn man sie wusste. Das ist absolute Basisarbeit für die gesamte Museumswelt, die ich absolut großartig finde und auf alle Fälle weiterführen möchte. Da beneiden uns größere Häuser, dass wir so was hinkriegen.

Warum haben Sie sich beworben auf die Stelle – was sind die großen Aufgaben, die Sie hier reizen?
Miersch: Da muss ich etwas aus dem Nähkästchen erzählen. Im Prinzip war es ein bisschen Trotz: Wir hatten an der Uni ein Seminar, in dem jeder eine Bewerbung geschrieben hat. Die Kommilitonen sollten denjenigen anhand der Bewerbung erkennen. Meine Bewerbung ist total zerrissen worden, auch weil ich aufgrund meines Alters ultraschnell "enttarnt" war. Es hieß, so kann man sich nicht bewerben! Ich habe abends mit meiner Frau telefoniert, sie sagte, wenn du der Meinung bist, das ist gut, dann schick es einfach ab! Ich habe es abgeschickt und wurde eingeladen. Ich hätte nie gedacht, dass das klappt, aber dafür habe ich das Studium gemacht und mein ganzes Leben hingearbeitet. Wenn das Leben kommt und sagt, ich hab hier was für dich, dann muss man auch ja sagen!

Welche konkreten Aufgaben finden Sie nun reizvoll?
Miersch: Ich komme ja aus der Baudenkmalpflege, ich habe ganz klassisch Zimmermann gelernt und den Techniker für Baudenkmalpflege und Altbauerhaltung gemacht. Das ist ein Job, in dem man immer wieder an Grenzen stößt – weil der normale Bauherr natürlich am Ende in so einem Objekt leben möchte. Der hat andere Bedürfnisse als die Menschen, die da vor 100, 250 oder 500 Jahren drin gelebt haben. Und dieser Spagat war irgendwann sehr unerträglich, darum habe ich mich für die museale Schiene entschieden.

Wozu brauchen wir Museen mit alten Häusern und Höfen?
Miersch: Ich wollte immer für die Leute fassbar machen, was manches aus der Geschichte überhaupt heißt: Warum fangen Menschen an, Revolution zu machen? Wie haben die überhaupt gelebt? Ich hatte das Glück, genau in so einem Museum zu landen, das sich mit der Sozialgeschichte parallel zu den Häusern beschäftigt. Das hat mich die letzten 25 Jahre geprägt. Und genau da werde ich hier weitermachen: die Häuser als Zeugnisse zu bewahren, und zwar so, wie sie früher waren, bevor man angefangen hat, sie umzubauen. Die Originalität der Häuser ist eine Brücke zum Verständnis der Menschen: Wie haben sie gelebt? Was haben sie für Sorgen gehabt? Wie haben sie auch überlebt? Das reizt mich, und das werde ich auf alle Fälle in Massing und Finsterau machen. Das wird auch schon gemacht, ich möchte nur darauf achten, dass wir vielleicht noch mehr ältere Alltagskultur darstellen. Das sind die großen Herausforderungen.

Was wäre so eine Alltagskultur?
Miersch: Wir haben ein Haus hier, das wird im Zeitschnitt 1900 dargestellt. Das ist sehr interessant, und ich hätte gerne noch einen weiteren Zeitschnitt, der den Vormärz oder die Zeit um die bürgerliche Revolution in Deutschland 1848 beleuchtet: Kurz vorher hatte man Napoleon aus Deutschland rausgeschmissen. Warum gründet sich Österreich? Was bedeutet das hier in Niederbayern? Warum gehen Menschen gerade in der Zeit aus Niederbayern nach Amerika? Diese ganze Geschichte ist bisher wenig erfahrbar. Oder die Reichseinigung der 1870er Jahre: Bayern kommt zum Deutschen Reich, die Industrialisierung mit ihren massiven Folgen. Darauf habe ich große Lust. Ich merke, dass ich für vieles andere auch zuständig bin, und hoffe, dass ich Volontäre bekomme, die mit mir diese Arbeit machen können.

Das lässt sich alles anhand der vorhandenen Architektur in den beiden Museen zeigen?
Miersch: Ja, am Anfang steht da immer ein Haus – und dann kommen viele Dinge drumherum wie Brauchtum und Einrichtung. Wie wurde mit Geburt und Tod umgegangen. Wie geht man damit um, dass man zehn Kinder hat, aber der Hof nur für zwei reicht? Das sind ganz elementare Fragen, die man an den Geschichten der Häuser festmachen kann.

In Finsterau ist das Paul-Friedl-Haus großes Thema – wie geht es dort weiter?
Miersch: Der Bauantrag ist durch, die Fundamentplatte ist fertig und winterfest. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit den Rohbau geschlossen haben.

Viele Leute in der Region wissen nicht, wer dieser Paul Friedl war – können Sie es schon erklären?
Miersch: Ich gebe ehrlich zu, ich habe von ihm noch nichts gelesen, aber er liegt schon auf meinem Nachttisch. Er ist ein sehr volksnaher Literat aus der Region. Wichtig ist, zu zeigen, dass Literaten im Bayerischen Wald gelebt haben, und in welchen Verhältnis Paul Friedl zur Literatur der Region inklusive des Böhmerwaldes stand.

In Massing ist das private Museum der Künstlerin Berta Hummel geschlossen, der Zweckverband Niederbayerische Freilichtmuseen hat entschieden, es ins Museum Massing zu integrieren. Wann öffnet das Museum?
Miersch: (lacht) Schöne Frage. Wir sind in Planungsphase null, so heißt das im Baujargon. Das bedeutet, wir schauen, wo genau kann der Bau stehen, was brauchen wir alles, wie muss der Grundriss gestaltet werden? Wir werden nach jetzigem Stand Berta Hummel auch nicht ins Museum holen, sondern zum Museum. Daneben gibt es noch das Mammutprojekt, die ganze Sammlung wissenschaftlich zu erschließen. Wir werden versuchen, darzustellen, dass Berta Hummel eine unterschätzte Künstlerin ist, die in anderen Zeiten ganz andere Möglichkeiten gehabt hätte, sich zu entfalten.

Ihr Vorvorgänger Martin Ortmeier ist überraschend in den Ruhestand getreten, Vorgänger Volker Herrmann musste Ende der Probezeit gehen – sind Sie nervös?
Miersch: Man macht sich so seine Gedanken, ja. Ich habe allerdings eine Menge Kommilitonen, die ihre Probezeit nicht überstanden haben, das ist ganz normal. Ich mach’ mir da keinen Kopf und hoffe, dass meine Dienstherren es dann positiv bewerten, was ich hier mache.

Raimund Meisenberger



•Info zu den Freilichtmuseen Massing und Finsterau online auf www.freilichtmuseum.de