Freyung-Grafenau
"Eine Katastrophe für die Grenz-Landkreise"

Landrat Gruber kritisiert Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz heftig

04.03.2021 | Stand 21.09.2023, 22:01 Uhr

Die Grenzlage – hier der Übergang Philippsreut – wird für den Landkreis Freyung-Grafenau zum Problem. Denn entlang der tschechischen Grenze sind die Inzidenzzahlen höher, was wiederum Lockerungen verhindert. −Archiv: Meyer

Vor knapp zwei Wochen hatten sich acht bayerische Grenzlandräte − unter ihnen Freyung-Grafenaus Landrat Sebastian Gruber – mit einem Forderungskatalog an Ministerpräsident Markus Söder und Kanzlerin Angela Merkel gewandt. Sie mahnten: Die Grenzregion dürfe bei möglichen Lockerungen nicht "hinten runterfallen". Wenn man im Grenzgebiet später als anderswo Schulen, Einzelhandel etc. öffnen dürfe, würde man als "großer Verlierer" darstellen.

Nun, nach der neuen Bund-Länder-Konferenz, scheint ihre Befürchtung eingetreten zu sein. Lockerungen sind an die Inzidenz gekoppelt, die im Grenzraum schwerer zu senken ist als anderswo. Die Konsequenz: In weiten Teilen Deutschlands werden Einzelhandel, Schulen, Museen usw. schrittweise öffnen, in Freyung-Grafenau mit einer Inzidenz über 100 aber nicht.

Freyung-Grafenaus Landrat Sebastian Gruber kritisiert deshalb das Ergebnis Ministerpräsidentenkonferenz scharf und wählt deutliche Worte. "Der Grenzraum wurde bei den weiteren Schritten vollkommen außer Acht gelassen. Der vorgegebene Rahmen des Bundes und die Konkretisierungen des Freistaats bedeuten für die Grenz-Landkreise: Wir verharren im status quo und wir befinden uns in einem Dauer-Lockdown. Durch Öffnungen in Abhängigkeit der Inzidenz gibt es nun eine Eingruppierung in gute und in schlechte Regionen. Das ist eine Katastrophe für die Grenz-Landkreise!"

Gruber weiter: "Wir haben im Grenzraum eine Sonder-Situation, die Sonder-Maßnahmen erfordert. Wir brauchen ein Sonderprogramm Grenzlandkreise. Darauf haben wir in den vergangenen Wochen mehrmals aufmerksam gemacht. Die Grenz-Landräte haben dazu mehrere Punkte vorgeschlagen. Wir wurden zwar freundlich gehört, aber - mit Ausnahme von 1000 zusätzlichen Impfdosen - ist davon bis dato nichts berücksichtigt worden."

Es gehe nicht um blindes Öffnen, so Gruber. Es gehe auch nicht darum, bei hoher Inzidenz zu den gleichen Rahmenbedingungen zu öffnen, wie in anderen Regionen. "Um hohe Inzidenzen zu kompensieren, braucht es eine Sonder-Strategie für die Grenzregion bei der Immunisierung, bei den Testkonzepten, bei den Zugangsmöglichkeiten zum Einzelhandel, zur Gastronomie, bei den Grenzpendlern. Testen muss generell und viel mehr ein Anreiz sein, um bestimmte Dinge wieder zu ermöglichen - in der Schule, im Einzelhandel, in der Gastronomie", so Gruber. Die jetzige Öffnungs-Matrix beinhalte weder die Berücksichtigung der Grenzregionen noch faire Rahmenbedingungen.

Landrat Gruber nennt zwei Beispiele, welche Folgen die jetzige Situation haben werde: So sei die Vergleichbarkeit von Bildungschancen und Abschlüssen nicht mehr gewährleistet. Neben den Abschlüssen werde die psychische Belastung für die gesamte Schulfamilie von Woche zu Woche größer. Und: "Die Menschen werden nach wochenlangen Entbehrungen konsumfreudig sein und einkaufen wollen, ja teilweise müssen. Es ergibt sich also ein Einkaufstourismus, konzentriert in bestimmten Regionen, Schlangen vor Geschäften, erhöhte Frequenz im öffentlichen Raum. Die Menschen werden ihre Einkaufsbedürfnisse im geöffneten Einzelhandel aber nicht im Heimat-Landkreis erledigen können. Die Einzelhändler haben volle Lager und bleiben auf den Waren sitzen, mit vielen weiteren Folgen. Kaufkraft geht verloren."

Gruber bekräftigt in der Pressemitteilung außerdem, dass es ihm nicht um kurzfristige, schnelle und unüberlegte Öffnungen gehe. "Sondern in erster Linie darum, dass Aufenthaltsqualität, Leben und Nahversorgung in unseren Städten, Märkten und Gemeinden nicht verschwindet. Unsere kleinen Ortskerne zeichnet in der Regel ein Mix aus Einzelhandel, Gastronomie, Dienstleistung und gesellschaftlichem sowie kulturellem Leben aus."

Die Pandemie an sich sei laut Gruber eine Bewährungsprobe für die gesamte Gesellschaft. "Sie stellt aber auch und gerade die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vor eine Zerreißprobe. Mit dem jetzigen Vorgehen befindet sich die Grenzregion leider dort, wo sie schon einmal war: Mit dem Rücken zur Wand."

Auch MdL Manfred Eibl kritisiert die Beschlüsse von Bund und Ländern. Er sieht die Grenzregion ebenfalls als "klaren Verlierer". "Als Grenzlandkreise werden wir höhere Inzidenzwerte aufweisen als andere Regionen. Das liegt nicht am Verhalten der hier Ansässigen. Aber Sie sind automatisch benachteiligt, weil durch den erhöhten Inzidenzwert die Öffnungsschritte ausbleiben werden."

Eibl: "Nur eine umfassende und intensive Test- und Impfstrategie in den Grenzregionen kann Abhilfe schaffen. Sonst bleiben wir abgehängt. Ein Dauer-Lockdown trifft auch den Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie und Tourismus in nicht hinnehmbarer Weise."
Es dürfe nicht nur auf die Inzidenz geschaut werden. "Ich fordere ganz klar gleiche Chancen auf Lockerungen für alle Bürger in Bayern."

− anm/pnp