Seeon
Wie der Paraglider Florian Schroll aus Seeon dem Alltag entgleitet

28.06.2020 | Stand 21.09.2023, 1:07 Uhr
Dominik Zgela

Der Seeoner Florian Schroll teilt seine Liebe zur Heimat und Natur und entführt Erlebnissuchende aus dem Alltag. −Foto: privat

Wer erinnert sich nicht gerne daran, wie man in seiner Kindheit oft kleine Abenteuer durchlebt hat und die gesammelten Eindrücke zu etwas Großem und Wunderbarem gedeihen ließ. Die erste Fahrrad-Tour in einen unbekannten Ortsteil, den ersten Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Freibad oder das erste Mal Zelten im Garten eines Freundes, dabei den Sternenhimmel betrachten und die nächtliche Geräuschkulisse auskundschaften.

Im Erwachsenendasein und Berufsleben angekommen, scheinen ähnliche Erlebnisse oft zu schwinden und werden oftmals nicht wirklich wahrgenommen. Dabei ist es ebenso möglich, dem täglichen Ablauf zu entfliehen und kurze, intensive und spontane Abenteuer erneut zu erleben. Diese Erlebnisse werden heutzutage als Mikroabenteuer bezeichnet.

Einer dieser Mikroabenteurer ist der Seeoner Florian Schroll, der mit seinem Gleitschirm, auch Paraglider genannt, von einem zum nächsten Abenteuer fliegt. Dabei erinnert er sich an seine Kindheit zurück: "Als kleiner Schuljunge habe ich viel Zeit am Zaun des Flughafens München-Riem verbracht und den Flugzeugen beim Starten und Landen zugesehen. Das hat meine Fantasie beflügelt, und ich träumte vom Fliegen. Heute erlebe ich dieses wohlbesonnene Gefühl dank meinem Hobby Paragliding wieder."

So ist der Sportler oft am Himmel zwischen den Chiemgauer Alpen und dem Chiemsee zu sehen, wo er die kurze und intensive Zeit in der Luft nutzt, um einen anderen Blick auf das Leben zu bekommen. Zu Beginn erlebte er die kleinen Ausbrüche für sich, mittlerweile bietet der ausgebildete Pilot dieses Mikroerlebnis auch Interessierten an. Doch wegen der Pandemie setzte er seine Tandem-Passagier-Flüge aus. Somit rückte sein Kindheitstraum in den Vordergrund, wie Schroll betont: "Ich habe den Leerlauf genutzt, um mir einen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Den Flug aus den bayerischen Alpen bis nach Hause vor die eigene Haustür in Seeon."

Hier ein Video von Schrolls Flug von der Hochries in Richtung Seeon:



Am 7. Mai plante der Profi den knapp 40 Kilometer weiten Flug und studierte einen Tag zuvor die Wetter- und Windverhältnisse. Am Vormittag des nächsten Tages ging es voll ausgerüstet auf dem Hochries los. "Es war ein sonniger Tag, und vom Hochries aus flog ich ostwärts über die sattgrünen Hofalmen in Richtung Frasdorf. Bei der Autobahn A8 musste ich feststellen, dass ich viel an Höhe verloren habe, und ich hatte das Gefühl, dass es nur noch bis Prien reichen sollte", erzählt Schroll.

Er hielt nun Ausschau nach dahingleitenden Vögeln, um daraus ein Zeichen für eine Zelle mit guter Thermik zu erkennen. Statt Vögeln nahm der Chiemgauer einen durch Aufwind emporsteigenden Güllegeruch in der Luft wahr. Sein Gleitschirm schoss ihn wieder in die Höhe. "Ich war wieder im Rennen und konnte den wunderbaren Ausblick über den Dächern von Prien und dem prachtvollen Herrenchiemsee gewinnen. Zudem die blau schimmernde Eggstätter-Hemhofer Seenplatte, umhüllt vom bunten Grün der Wälder und Wiesen. Dank der beeindruckenden Höhe war nun der Flug nach Gstadt möglich, so weit wie nie zuvor."

Hierbei betont Schroll, dass diese Distanz für viele Paraglider kein Kunststück sei. Insbesondere bei jenen, die eine "Höher, Schneller, Weiter"-Kultur pflegen und diese wie im Wettbewerb ausleben. Dem Trend entkoppelt sich der erlebnissuchende Flieger und widmet seine Zeit, um die Heimat zu genießen und somit auch Neues zu entdecken.

"Ab Gstadt konnte ich schon einen tollen Blick auf die Gemeinde Seeon-Seebruck erhaschen. Jedoch galt es, ab dem Punkt mit defensiver Flugtaktik jede kleine Thermik zu nutzen", erinnert sich Schroll. Denn bis kurz vor Seebruck kämpfte der Seeoner mit einer Arbeitshöhe von 300 Metern über dem Grund. Erst ein aufkreuzender Gras-Silagehäcksler konnte ihm wieder Aufschub verleihen, so dass sich der Flieger auf knapp 2000 Meter Höhe katapultieren ließ.

Nun hieß es nur noch vor die Haustür zu kommen, wie Schroll sich erinnert: "Ich flog nun weiter über Truchtlaching in Richtung Seeon und war wie gefesselt. Rechts von mir die aus dem Chiemsee wild schlängelnde Alz und links die Ruhe des Seeoner Sees." Doch die Ruhe hielt kurz, denn sein Steigmesser meldete sich mit einem Dauerton. Es ging fünf Meter pro Sekunde abwärts, und alles sah danach aus, dass der Seeoner sein Erlebnis kurz vor dem Ziel beenden muss. Doch dann kam eine letzte Thermikblase, welche ihn über die restlichen Kilometer rettete. Florian Schroll hat es geschafft, er landet vor seiner Haustür in Seeon, und dank seines Jubelschreis "Dahoam" hat es die ganze Nachbarschaft auch mitbekommen.

Florian Schroll nutzte die Gunst der Stunde und verwirklichte seinen kleinen Traum. Sein Mikroerlebnis katapultierte ihn in ein zweistündiges Abenteuer. Bald könnte er dieses Wieder-Kind-Sein-Gefühl mit anderen Alltags-Ausbrechern teilen dürfen.