"Das ist Schwachsinn"
Wasserkraftwerk Salzach: BUND-Chefin schießt gegen CSU-Politik

18.09.2022 | Stand 19.09.2022, 12:23 Uhr

Eine Demonstration für eine freifließende Salzach und gegen ein weiteres Wasserkraftwerk in dem Fluss hat am Samstag bereits zum zehnten Mal stattgefunden. −Foto: Archiv PNP, 2021

Immer wieder schnappt Ilse Englmaier nach Luft, so sehr muss sich die BUND-Naturschutz-Vorsitzende der Ortsgruppe Tittmoning während des Gesprächs mit der Heimatzeitung ärgern. Seit über einem Jahrzehnt setzt sich die Biologin und Naturschützerin für eine freie Salzach und gegen ein Wasserkraftwerk im Tittmoninger Becken ein – zwischenzeitlich auch erfolgreich, bis die Debatte auch durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine neu entflammte.

Die von Behörden anerkannte Spezialistin für den südostbayerischen Raum in Fragen des Reptilien- und Amphibienschutzes argumentiert hierbei nicht nur mit einem Verstoß gegen geltendes EU-Recht, sondern mit dem Verweis auf aus ihrer Sicht falschen Zahlen zum Energiepotenzial und den Schaden für das Ökosystem Salzach.



Frau Englmaier, Sie stehen seit über elf Jahren im erbitterten Widerstand zu Wasserkraft-Plänen in der Salzach, speziell im Becken in Tittmoning. Befürworter des Kraftwerks sehen darin sture Grünen-Ideologie. Erneuerbare Energien ist doch ein Kernthema des Bund Naturschutz, was ist also falsch an dem Projekt?
Ilse Englmeier: Das ist keine Ideologie, das ist gesunder Menschenverstand und Ahnung von der Materie. Ein Wasserkraftwerk, gerade im Tittmoninger Becken, ist wirtschaftlich völlig uninteressant, stört das Öko-System eines Flusses, der sich sowieso schon in einem schlechten Zustand befinden – und würde nicht zuletzt mindestens gegen geltendes, europäisches Recht verstoßen.



Unwirtschaftlich? CSU-Staatsministerin Michaela Kaniber sprach im August bei einer Veranstaltung in Bad Reichenhall von 50000 Haushalten, die mit dem Strom eines Kraftwerks im Tittmoninger Becken abgedeckt werden könnten.
Englmaier: Ganz ehrlich, ich würde mich schämen, wenn ich mit einer so vollkommen falschen Zahl an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Diese Aussage ist nichts anderes als "Fake News", wie es heutzutage ja heißt.

Warum? Als Grundlage für diese Aussage dient die auch von Landrat Siegfried Walch kolportierten 100 Gigawattstunden, die ein solches Kraftwerk an Potenzial aufweisen soll.
Englmaier: Auch diese Zahl ist schlicht falsch. Sie beruht auf einer damals schon schön gerechneten Beurteilung von vor zehn Jahren – und zwar für gesamt drei Wasserkraftwerke im Tittmoninger Becken. Diese sind ja schon lange vom Tisch, aus guten Gründen. Der Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass drei Kraftwerke 365 Tage im Jahr unter Volllast laufen. Das ist natürlich vollkommen unrealistisch und deswegen auch eine absolute Frechheit, öffentlich diese Zahl von 100 Gigawattstunden überhaupt in den Mund zu nehmen.

Sondern?
Englmaier: Die Wahrheit ist, wir sprechen heute nur noch von einem Kraftwerk. Wenn ich mich mit der Materie beschäftigt habe und rechnen kann, komme ich – unter theoretischen Idealbedingungen, bei 30 Gigawattstunden raus.

Warum haben die "Idealbedingungen" aus Ihrer Sicht nichts mit der Realität zu tun?
Englmaier: Es wird von einer durchschnittlichen Abflussmenge von 250 Kubikliter Wasser pro Sekunde ausgegangen, die an jedem Tag im Jahr fließen müssen, um die 20 Turbinen anzutreiben. Dass das nicht der Fall ist, kann man an den Pegelständen ablesen, die für jeden im Internet zugänglich sind. Fakt ist, dass wir diese Wassermengen nur von etwa April bis August, maximal September, zusammenbekommen. In dieser Zeit brauchen wir nicht einmal diesen Strom, weil wir hier schon genügend aus Photovoltaik und sonstigen erneuerbaren Energien gewinnen. Wann wir ihn brauchen könnten, wäre der Winter, nur führt da die Salzach schon seit Jahren viel zu wenig Wasser und es wird immer weniger. Bereits 2014 hatte die Salzburg AG Probleme, die Stadt Traunstein mit der vereinbarten Menge Strom zu beliefern, aufgrund des Niedrigwassers.



Darüber erschien auch erst ein Artikel in der Heimatzeitung unter der Überschrift "Die Flüsse haben Durst"
Englmaier: Richtig. Und dazu kommt, dass die Gletscher abschmelzen, es weniger schneit. Hinzukommen die immer häufiger auftretenden Starkregenereignisse in Kombination mit extrem langen Trockenphasen. Schwallartig kommt das Wasser daher, der Boden ist so ausgedorrt, dass er es nicht mehr aufnehmen kann. Das heißt: auch die Hochwasserereignisse an der Salzach werden wohl weiter zunehmen. Bei Hochwasser lässt sich jedoch kein Kraftwerk anständig betreiben, weil dann die Schotten dicht gemacht werden müssen.

Die Wasserkraft gilt von allen erneuerbaren Energien als die mit dem höchsten Eingriff ins Ökosystem. Können Sie das genauer erläutern im Kontext der Salzach?
Englmaier: Damit die Turbinen angetrieben werden können, muss aufgestaut werden, um eine größere Strömung zu erreichen. Bei Fließgewässern habe ich eine permanente Strömung, dadurch einen höheren Sauerstoffgehalt, eine andere Morphologie des Gewässers und so weiter. Wenn ich da ein Querbauwerk reinbaue, bedeutet das, dass das durch die Strömung mitgeführte Sediment nicht mehr weiter fließen kann und sich absetzt. Das bringt letztlich das komplette Ökosystem völlig durcheinander.

Das Landratsamt spricht jedoch von einem Konzept "das auf den Sanierungsmaßnahmen aufsetzt". Was stimmt denn nun?
Englmaier: Das ist Schwachsinn – und das habe ich auch schwarz auf weiß. Die Sanierungsmaßnahmen passieren auf Flusskilometer 23 bis 26, die diskutierte Solschwelle liegt im Bereich Kilometer 40. Ein Kraftwerk würde viele positive Maßnahmen des Wasserwirtschaftsamts wieder zunichte machen. Hinzu kommt, dass die im April der Ständigen Wasserkommission vorgelegten Untersuchungsergebnisse eindeutig besagen: Es sind keine weiteren Maßnahmen zur Abbremsung der Salzach nötig.
Interview: Ralf Enzensberger