Erste Siegerin seit Luise Kinseher 1999
Warum Lucy van Kuhl das Scharfrichterbeil verdient hat

06.12.2019 | Stand 21.09.2023, 6:16 Uhr

Einer Künstlerin, die mit so einer Lust auf der Bühne arbeitet, hört man gerne zu – auch wenn die Jury moniert, sie müsse bei ihren Inhalten noch zulegen: Sängerin und Pianistin Lucy van Kuhl gewinnt als dritte Solistin überhaupt seit 1983 das Scharfrichterbeil 2019. −Fotos: Toni Scholz

Das Passauer Scharfrichterbeil gewinnen zuletzt mehr und mehr Poetry-Slam-Literaten, Comedians und eben Musiker wie Jo Strauss 2014, Norbert Bürger 2016 – und Lucy van Kuhl 2019. Die 1983 zur Welt gekommene Kölnerin, mit bürgerlichem Namen Corinna Fuhrmann, sah die Jury in der Vorauswahl von 60 Bewerbungen unter den top sechs. Am Abend der Finalisten rockt sie die Bühne und das Publikum wie kein anderer Kandidat.



Strahlend, mit direktem, selbstbewusst funkelndem Blick ins Publikum setzt sich die Frau ans Klavier und beginnt ihr Kurzprogramm, das von phänomenaler Bühnenpräsenz, Professionalität und Lust am Entertainment geprägt ist. Nach drei mühsamen Beiträgen vor der Pause zündet’s im Saal, endlich wird hellauf gelacht und gejubelt. Eine Erlösung schier. Würde das Beil per Applaus vergeben, Lucy van Kuhl wäre Champion mit weitem Vorsprung.

Eine Fotostrecke zum Scharfrichterbeil 2019 sehen hier im digitalen Feuilleton.

Und dennoch muss sich die Beilgewinnerin – übrigens die erste Solo-Siegerin seit Luise Kinseher 1999 und die dritte Frau überhaupt seit der Gründung 1983 – auch Unmutsbekundungen anhören nach dem Votum der Jury für sie. Der Grund: Sie leistet sich eine banale Stilübung, den Song "Samson" übers Liebesleben von Koffern; "Bist du bereit für eine Samsonite" ist darin noch die beste Zeile.



Ihre anderen Songs – alle versammelt auf dem im April 2019 auf Konstantin Weckers Label Sturm und Klang veröffentlichten Album "Dazwischen", das es gestern noch kurioserweise für 59 Cent auf Amazon zu kaufen gab, sind von erlesenerem Schlage. Im 20er-Jahre-Schlagercharme lehrt "Dafür hab ich auch bezahlt!", wie Gertrud ganz elegant ihren Willi entsorgt: "Eine Kreuzfahrt, die ist lustig, eine Kreuzfahrt, die ist schön. Und sie ist auch viel diskreter als ne Wanne mit ’nem Föhn". In "Küsse ohne Kaviar" sehnt sich ein Mensch nach Wärme und Zärtlichkeit – und sitzt doch einem einst Geliebten gegenüber, der nur noch in Gourmet-Völlerei Befriedigung findet. Und "Zu viel Auswahl" erzählt vom Elend des Entscheidenmüssens, beim Laptopkauf, Dutzenden Gerichten im Asia-Imbiss, bei der Partnerwahl. Das wandelt auf Georg Kreislers Spuren und gefällt im Scharfrichterpublikum nicht jedem. Doch einer Kölnerin Jahrgang ’83 vorzuwerfen, sie habe nicht das thematische Gewicht und nicht die Wut eines Sigi Zimmerschied, das wäre schon ziemlich absurd.
Den ausführlichen Bericht lesen Sie am 6. Dezember im Feuilleton der Passauer Neuen Presse (Online-Kiosk) oder kostenlos im PNP Plusportal.