Wanderzirkus Boldini wieder unterwegs

Die Zirkusfamilie Frank, die ihr Winterquartier in Armutsham bei Heiligkreuz hat, musste wegen Corona lange pausieren

24.08.2020 | Stand 21.09.2023, 3:47 Uhr

Philipp Frank präsentiert stolz seine eleganten Araberhengste und führt damit die Arbeit seines Vaters fort. Die Zirkusbesucher wurden in angemessenem Abstand um die Manege herum platziert. −Fotos: Limmer

Heiligkreuz/Rohrdorf. "Manege frei, der Spaß kann beginnen!", so kündigt Nina Frank vom Zirkus Boldini schon seit Jahren den Beginn der Zirkusvorstellungen an. In diesem Jahr ist einiges anders als sonst. "Wir haben heute alle sehr großes Lampenfieber – mehr als sonst nach der Winterpause", gesteht Philipp Frank, der Kopf der kleinen Zirkusfamilie, die die vorstellungsfreie Zeit immer in Armutsham bei Heiligkreuz verbringt. Dieses Mal dauerte die "Winterpause" corona-bedingt neun Monate. Jetzt hat es die Familie gewagt, wieder auf Reisen zu gehen. Sie hat Sack und Pack und die Tiere verladen und ihre Zelte in Rohrdorf (Landkreis Rosenheim) aufgestellt.

"Jetzt sind wir wieder unterwegs", sagt Nina Frank und freut sich. Die 56-Jährige hat die vergangenen Wochen damit verbracht, die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zu verfolgen, das Hygienekonzept zu erarbeiten, Aufführungsanfragen an Gemeinden zu versenden und Plakate drucken zu lassen. Alle im kleinen Wanderzirkus haben dem Start entgegengefiebert. "Denn Reisen liegt uns im Blut", erklärt Nina Frank.

Tiere sind nicht mehr an Applaus gewöhnt Untätig waren die Franks in der Zwangspause dennoch nicht. Nina Selma, Peter, Danny und Chiara haben sich neue Kunststücke ausgedacht, daran gefeilt, und Philipp Frank hat mit den Tieren, den Kamelen, Pferden und Hunden, trainiert. "Viele der Tiere haben schon lange keinen Applaus mehr gehört. Eine Manege haben wir auf der Wiese in Armutsham aufgebaut, doch das Publikum mit Applaus und Musik fehlte," berichtet der 60-Jährige.

Am Samstagnachmittag sollte sich das ändern. Trotz strömenden Regens sind etwa 100 Kinder, Eltern und Großeltern ins Zirkuszelt auf den alten Sportplatz in Rohrdorf gekommen, um die erste Aufführung zu sehen. Um die Sicherheits- und Hygieneregeln im Zirkuszelt mit 22 Metern Durchmessern umzusetzen, waren die Stühle in ausreichendem Abstand um die Manege herum platziert und Sperrsitze ausgewiesen worden. Die Besucher durften das Gelände nur mit Mund-Nase-Schutz betreten und mussten sich nach dem Kauf der Eintrittkarte in eine Registrierungsliste eintragen sowie die Hände desinfizieren. Alle haben sich ohne Diskussion daran gehalten.

Als die Scheinwerfer erstrahlen und die Zirkusmusik erklingt, ist dann irgendwie alles wie vor Corona-Zeiten: Philipp Frank präsentiert stolz die Kamele, die ihre Nasen ins Rampenlicht strecken, und führt seine vier eleganten Araberhengste in die Manege. Nina Selma (30 Jahre) lässt sich mit dem Vertikalseil unter das acht Meter hohe Zirkusdach ziehen und balanciert anmutig auf dem glänzenden Drahtseil. Chiara (19 Jahre) zeigt scheinbar mühelos ihre neue Netzakrobatik und lächelt auf die Besucher herab. Danny (14 Jahre), der neben seinem Training auch noch über die Zirkusfernschule Homeschooling betreiben muss, auch in den Ferien, tritt zusammen mit Papa Philipp als Clowns Peppino und Beppo auf, um auf der "Trampelpete" ein Stück aus "Rigatoni" zu spielen. Zudem hat er von Philipp Frank die Hundenummer übernommen. Peter (23 Jahre) hat die Jonglage-Nummern wie etwa die tanzenden Teller und fliegenden Löffel perfektioniert. Vor Jahren noch zeigte diese Philipp Frank. Nur Mindy (25 Jahre) blickt sehnsuchtsvoll in die Runde. Sie hatte vor Kurzem eine Operation am Fuß und fällt noch bis Ende des Jahres in der Manege aus. Sie ist jetzt für Eintritt, Musik und Licht zuständig.

In der Pause dürfen die Zirkusbesucher einen Blick auf die mitgeführten Tiere werfen – natürlich mit Abstand zu den anderen Besuchern. "Wir haben nicht alle Tiere auf die Reise mitgenommen", erklärt Nina Frank. Ziegen, Alpakas & Co. sind auf dem Hof in Armutsham geblieben. Dort kümmert sich Gerhard Frank, der Bruder von Philipp Frank, um die Tiere.

Noch sind die Zeiten unsicher, darüber sind sich die Franks im Klaren. Sie hoffen, dass das Wetter mitmacht und sie bis Ende November unterwegs sein und Aufführungen anbieten können. "Wir haben aber auch schon wieder Absagen erhalten", berichtet Nina Frank ernüchtert. Doch die Artistenfamilie mit einer 300-jährigen Zirkustradition will nicht aufgeben. "Wir werden es schaffen – solange wir Besucher haben, die unsere Arbeit mit Applaus belohnen. Applaus ist der Motor unserer Arbeit. Wir können uns nichts anderes vorstellen", sagen Philipp und Nina Frank.

Wie es im September weitergeht, weiß keiner In ihrer ersten Vorstellung bekommen die Franks dann auch sehr viel Applaus. "Besonders gefreut hat uns, dass so viele Zuschauer gekommen sind", sagt Philipp Frank. Mit so einem Zuspruch habe er nicht gerechnet. "Auch das Wetter hat uns in die Karten gespielt. Es war kein Badetag", ergänzt Nina Frank. Kaum ist die Vorstellung zu Ende, schlüpft Philipp Frank aus seinem Frack. "Ich hab’ noch einen Termin, um Futter für die Tiere abzuholen."

Am kommenden Wochenende wird der Zirkus Boldini in Bad Aibling auf der Festwiese zu Gast sein. Aufführungen sind von Freitag, 28. August, bis Sonntag, 30. August, jeweils ab 15 Uhr und am Dienstag, 1. September, ab 17 Uhr. Wohin die Reise danach gehen wird, weiß noch keiner. Rückmeldungen von Gemeinden und Städten lassen noch auf sich warten. "Sollte es die Situation erfordern, können wir sofort die Zelte abbrechen und zurück nach Heiligkreuz. Dass wir diesen Platz mit vielen netten Nachbarn gefunden haben, bedeutet uns sehr viel. Es ist fast wie eine neue Heimat und gibt Sicherheit", sagt Philipp Frank.