Vom Arme-Leute-Essen zur Mühlviertler Spezialität

08.11.2013 | Stand 08.11.2013, 11:40 Uhr

Helmut Rachinger kocht im Mühltalhof bevorzugt mit regionalen Zutaten. Kartoffeln aus dem Mühlviertel kommen ihm daher auch immer mal wieder unters Messer.

"Das Mühlviertel ist vom Ursprung her ein Erdäpfelboden." Heute kann Franz Hauder das mit Stolz sagen. Früher, da haben die Mühlviertler vielleicht neidisch auf die andere Regionen Österreichs geschaut, die mit Wein oder Obst reichlich gesegnet sind. Heute kann die Kartoffel in der gleichen Liga mitspielen. Schließlich verkaufen Franz Hauder und seine Kollegen von der Erzeugergemeinschaft "Mühlviertler Granitland-Erdäpfel" nicht irgendwelche Kartoffeln. Die 15 Landwirte erzeugen auf 35 Hektar Anbaufläche Delikatessen namens Ditta, Anuschka und Rote Laura. Erdäpfel, die Tradition haben im Mühlviertel, nach Mühlviertel schmecken und bio sind.

Wer zwischen Donau und Böhmerwald, irgendwo im Einzugsgebiet der ruhig dahinfließenden Mühl, mit den Einheimischen ins Gespräch über Essen kommt, stößt zwangsläufig auf ein traditionelles Gericht: Mühlviertler Leinölerdäpfel. Es ist ein einfaches Gericht mit wenig Zutaten − und war lange Zeit eher verpönt. Schließlich gibt es in Supermärkten und Restaurants exotische Delikatessen aus aller Welt zu kaufen − wieso sollte man sich da eine schlichte Kartoffelmahlzeit zubereiten? Je mehr aber die Gesellschaft sich wieder auf den Ursprung besinnt, auf Traditionen und Authentizität, desto beliebter werden im Mühlviertel auch die Erdäpfel.

Dazu tragen Franz Hauder und seine Mitstreiter bei: Sie verkaufen ihre Kartoffeln in Kartons mit Löchern und wiederverschließbarer Klappe. Die Optik der Verpackung soll überzeugen, nicht die der Kartoffeln: "Man soll essen, was gut schmeckt und nicht, was gut ausschaut", sagt Hauder in Hinblick auf die meist makellosen, aber nicht immer gesunden industriellen Nahrungsmittel.

"Dass Erdäpfel gut aussehen und maschinell schnell zu bearbeiten sind, das ist für die Industrie wichtig", sagt auch Friedrich Lackner jun. Für ihn ist das nicht entscheidend: Ernte und Weiterverarbeitung geschehen händisch bei den Lackners in Walding. Auf ihrem Hof verkaufen die Landwirte insgesamt zehn Sorten. "Die alte Sorte Binte gibt es im Geschäft gar nicht, wir bauen die noch an", erzählt Friedrich Lackner. Ob Annabelle, Christa, Toska oder Belina: Die Kartoffelsorten lagern bei den Lackners im alten, selbst gegrabenen Stollen unterm Berg aus Sand, Lehm und Flins − so gibt es das ganze Jahr über Nachschub für die Kunden, die am Hof einkaufen. Und für Helmut Rachinger, Küchenchef im Genießerhotel Mühltalhof in Neufelden. Auch er holt sich bei Friedrich Lackner die Zutaten für seine Kreationen: "Für mich ist es wichtig, dass es das ganze Jahr über gleich gute Qualität gibt", sagt Helmut Rachinger. Seinen Gästen setzt er allerdings keine Mühlviertler Leinölerdäpfel vor, das wäre dann doch zu einfach. Dafür schätzt Friedrich Lackner das Gericht umso mehr: "Es gibt bei uns fast kein Mittagessen ohne Kartoffeln", sagt der Landwirt.

Ein Traumpaar: Leinöl und ErdäpfelDie Vielfalt an möglichen Gerichten ist groß genug: Erdäpfelschädel − eine Art Auflauf −, Reibernudeln und Maultaschen gehören dazu. Und natürlich die Mühlviertler Leinölerdäpfel, die die beiden typischen regionalen Produkte in einem Rezept verbinden. Genauso wie der Mühlviertler Boden ein "Erdäpfelboden" ist, so bietet er auch perfekte Bedingungen für den Anbau von Flachs.

"Flachs mag karge Böden", erklärt Regina Schürz. Seit 22 Jahren arbeitet sie in der Leinölmühle in Haslach und kann viel über die Geschichte erzählen, auch wenn die großen Zeiten längst vorbei sind. Flachs wurde jahrhundertelang von den Webereien im Mühlviertel zu Textilien verarbeitet, der Leinsamen war da nur ein Nebenprodukt − aber eines, aus dem ergiebig Öl gepresst werden kann. Heute gibt es keine florierenden Webereien mehr und auch die 600 Jahre alte Mühlviertler Leinölmühle in Haslach ist die letzte, die der Region geblieben ist.

Neben Leinöl wird heute Hanföl, Mohnöl, Distelöl, Rapsöl oder Sesamöl gepresst. Und an gesundheitsbewusste Genießer verkauft: "Leinöl hat einen hohen Gehalt an dreifach ungesättigten Fettsäuren und Omega-3-Fettsäuren", erklärt Regina Schürz. Allerdings ist das Öl extrem empfindlich − selbst im Kühlschrank hält es nur drei Monate, erhitzt werden darf es nicht. Dass diese Vorsichtsmaßnahmen früher als unnötiger Luxus betrachtet wurden, hat vielleicht dazu beigetragen, dass das Arme-Leute-Essen Leinölerdäpfel nicht den besten Ruf hatte − wer hätte denn damals nach drei Monaten schon das Öl einfach weggeschüttet? Stattdessen wurde das ranzige Öl aufgebraucht − geschmeckt hat es nicht mehr.

Heute wird das feine Öl wieder wertgeschätzt − auch von Küchenchef Helmut Rachinger. Statt Leinölerdäpfeln gibt es bei ihm ein ganzes Erdäpfel-Menü: mit Erdäpfel-Zitronenpüree zur Lachsforelle und Erdäpfel-Maultaschen mit Minze. Helmut Rachinger verwendet für seine ausgezeichneten Kochkünste gerne Zutaten direkt aus der Nachbarschaft. Wie gut, dass da das Mühlviertel genug zu bieten hat.

INFO Essen und Übernachten: Genießerhotel Mühltalhof, Unternberg 6, 4120 Neufelden, Österreich,  0043/(0)7282/6258, www.muehltalhof.at.

 Besichtigen und Einkaufen: Mühlviertler Ölmühle, Stahlmühle 1−2, 4170 Haslach, Österreich,  0043/(0)7289/71216, www.oelmuehle-haslach.at. Ab-Hof-Verkauf der Familie Lackner, Mursberg 27, 4111 Walding, Österreich,  0043/(0)7234/82748, www.lackner-echt-lecker.at. Erzeugergemeinschaft Mühlviertler Granitland-Erdäpfel unter www.granitlanderdaepfel.at.

REZEPTDie Inhaber der Mühlviertler Ölmühle in Haslach haben ein traditionelles Rezept für die Mühlviertler Leinölerdäpfel notiert: Für vier Personen kocht man etwa ein Kilo Kartoffeln mit der Schale, schält sie und schneidet sie blättrig. In etwa 250 Millilitern heißer Milch verrührt man dann die Kartoffeln zu dickem Brei, verfeinert mit Sauerrahm, würzt mit Salz und eventuell Pfeffer und mengt zum Schluss etwa 125 Milliliter Leinöl dazu und serviert dann auch noch mit einem Schuss Leinöl. Als Hauptspeise mit Brot oder Salat oder auch als Beilage.

Karin Polz, Reiseredakteurin der Passauer Neuen Presse, reiste auf Einladung des Genießerhotels Mühltalhof.