PNP-Spendenaktion
Verheerende Dürre in Kenia: Wo der Klimawandel Leben kostet

27.11.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

Staubiger Sand, soweit das Auge reicht: Der Kadaver einer verendeten Kuh liegt am Rand der Siedlung Shantaabaq in der Region Garissa. In den weiten Ebenen Kenias im Osten und Norden des Landes an der Grenze zu Somalia, Äthiopien und Südsudan hat es mehrere Jahre in Folge viel zu wenig geregnet. Mensch und Tier leiden unter der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten. −Fotos: Eva Fischl/Philipp Hedemann

Der Nordosten Kenias wird gerade von einer verheerenden Dürre heimgesucht. Die Kinder leiden doppelt: unter Hunger und den Folgen der Corona-Pandemie. Für sie leuchtet heuer "Ein Licht im Advent".

Kenia. Das klingt nach Safari und Traumstränden am türkisblauen Indischen Ozean. Schwer bringt man diese Bilder im Kopf mit der Wirklichkeit in den großen Ebenen im Nordosten des Landes zusammen. Dort in den Nomadengebieten an der Grenze zu Somalia, Äthiopien und Südsudan sorgt die größte Dürre seit Jahrzehnten für ein Massensterben unter den Viehherden, die Bevölkerung steht am Rande einer Hungersnot.

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Die Region Garissa zählt zu den ärmsten und unterentwickeltsten Bezirken des Landes. Die meisten Familien leben von ihren Viehherden: Rinder, Schafe, Ziegen und Kamele. Dadaab, zeitweise mit über 500000 Bewohnern das größte Flüchtlingslager der Welt, liegt nur 100 Kilometer von der Bezirkshauptstadt Garissa entfernt. Immer wieder verübte die radikal-muslimische Al-Shabaab-Miliz aus Somalia in der Region Anschläge mit Dutzenden Toten.

Viehhirte (67): "So etwas habe ich noch nie erlebt"

Doch die größte Angst, die die Menschen derzeit in Garissa umtreibt, heißt nicht Terror, sondern Dürre. Im Dorf Shantaabaq liegen an jeder Ecke Kadaver von verendeten Tieren. Viehhirte Adan Budul Kher (67) ist Trockenperioden gewohnt. "Aber so etwas habe ich noch nie erlebt", erzählt er. 30 seiner 110 Kühe hatte er Ende Oktober bereits verloren, die meisten sind so schwach, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können. "Gerade habe ich mein letztes kräftiges Tier verkauft. Mit dem Geld versuche ich, den Rest der Herde zu retten. Vom Vieh hängt alles ab. Manche im Dorf haben kein einziges Tier mehr."

Mittlerweile hat sich die Lage in der Region Garissa weiter zugespitzt. "Immer mehr Tiere sterben", berichtet Dennis Githieya, ein Mitarbeiter des UN-Kinderhilfswerks Unicef in Kenia. "Es wird immer schlimmer."

In dem Landstrich, 40 Kilometer südlich des Äquators, regnet es normalerweise im Frühjahr und im Spätherbst kräftig. Dann saugen sich die Böden voll mit Wasser, die Brunnen und Tränken füllen sich, Gräser, Büsche und Bäume treiben aus und bieten genug Nahrung für Mensch und Tier. Doch auf den Kreislauf der Natur ist kein Verlass mehr. "In dieser Region zeigen sich die Folgen des Klimawandels auf brutale Weise", sagt Ingenieur Faisal Yabow, im Bezirk Garissa für die staatliche Wasserversorgung zuständig. "Die Regenzeiten werden immer kürzer, unergiebiger und unzuverlässiger. Das verschlechtert die Qualität des Grundwassers, und die Böden sind so hart, dass sie kein Wasser aufnehmen können. Regnet es, kommt es gleich zu Überflutungen." Angesichts der unzähligen Tierkadaver drohe dann der Ausbruch von Cholera.

Für die Viehhirten und ihre Familien geht es bereits jetzt ums blanke Überleben. Mit den sterbenden Tieren brechen ihnen Einkommen und Nahrungsgrundlage weg. Ihre Kinder, die sonst viel Ziegen-, Kuh- oder Kamelmilch trinken, hungern. Auch in den Städten wächst die Not, ständig steigende Lebensmittelpreise lassen Mütter verzweifeln.

Im Krankenhaus in Garissa – zuständig für mehr als zwei Millionen Menschen – kümmert sich Dr. Ambrose Misori um schwer mangelernährte und besonders kranke Kinder, wenn diese es überhaupt in die Klinik schaffen. "Wir wissen nicht, wie viele Kinder da draußen gerade sterben", sagt der erfahrene Kinderarzt. "Heute hatten wir eigentlich eine Gruppe Kinder mit Diabetes erwartet, die Insulin benötigen. Aber sie sind nicht gekommen. Mit dem Vieh stirbt den Menschen auch ihr Transportmittel weg." Dr. Misori ahnt: "Wir stehen am Beginn einer riesigen Katastrophe."

"Wissen nicht, wie viele Kinder da draußen sterben"

Viele Kinder leiden doppelt – unter Hunger und den Folgen der Corona-Pandemie. Weil es den Kollaps seines Gesundheitssystems befürchtete, verhängte Kenia einen strengen Lockdown, die Schulen waren monatelang geschlossen. Für viele Kinder und Jugendliche eine Katastrophe: Denn Schule heißt in Ostafrika nicht nur Lernen, sondern auch eine warme Mahlzeit täglich und Fürsorge durch Lehrer und Sozialarbeiter. Während des Lockdowns mussten viele Kinder arbeiten, damit ihre Familien über die Runden kommen. Manche kehrten nicht mehr in die Schule zurück. Vielmehr wurden Teenager-Mädchen aus der Not heraus in Kinderehen gezwungen. Ohne die soziale Kontrolle durch die Schule wurden vermutlich auch deutlich mehr Mädchen an den Genitalien verstümmelt, obwohl dies in Kenia seit 2011 offiziell verboten ist.

Tausende Kinder drohen in den Dürregebieten Kenias gerade durchs Raster zu fallen. Ihnen ist heuer die Weihnachtsaktion der Passauer Neuen Presse in Zusammenarbeit mit Unicef gewidmet. Das UN-Kinderhilfswerk finanziert in Kenia unter anderem solarbetriebene Brunnen und stellt in den Dürregebieten 10000 Liter fassende Wasserspeicher zur Verfügung, die von Tanklastwagen befüllt werden, erklärt Unicef-Mitarbeiter Dennis Githieya.

Unicef hilft der Regierung auch dabei, hungernde Kinder ausfindig zu machen, und versorgt sie mit Aufbaumilch und einer nahrhaften Erdnusspaste. Mit 94 Euro kann Unicef zum Beispiel 300 Päckchen davon anschaffen, rechnet die Hilfsorganisation vor. Zehn unternährte Kinder erhalten so einen Monat lang die oft überlebenswichtige Spezialnahrung.

Doch Unicefs wichtigste Aufgabe ist es, die Bildungschancen der Kinder in den Nomadengebieten zu verbessern. Das A und O sei es jetzt, die Kinder zurück in die Schulen zu bringen und sie dort zu halten, sagt Dennis Githieya. Denn die künftigen Herausforderungen sind groß. Nur eine solide Schulbildung wird ihnen helfen, sich an die durch den Klimawandel härter werdenden Lebensbedingungen anzupassen. Die nächste Dürre kommt bestimmt.