Thassos – unbekannte Perle in der Ägäis

01.06.2018 | Stand 20.09.2023, 2:08 Uhr

Flache Küste, bergiges Innere: Zwei Stunden braucht man, um die Insel mit dem Auto zu umrunden. Man darf sich aber auch gerne mehr Zeit lassen – etwa für diesen Ausblick an der Westküste.

Die nördlichste der griechischen Ägäis-Inseln ist kaum bekannt und nur mit der Fähre erreichbar: zu Besuch auf Thassos.

Die Autofahrer werfen ihre Motoren an, Berufspendler packen ihre Tasche, Urlauber ziehen ihren Rollkoffer zum Ausgang, Schwangere halten ihre Untersuchungsunterlagen in Händen – und dann öffnet sich auch schon die große Metall-Luke der Fähre. Ankunft auf Thassos. Links und rechts Strände mit türkisfarbenem Wasser, im Landesinneren hoch aufragendes Gebirge. Am Hafen lehnen ein paar Taxifahrer an ihren Autos und warten auf einen Einsatz. Eile haben sie nicht.

Eile hat hier niemand. Die Hektik hat man am Festland zurückgelassen. Das Schiff, die einzige Möglichkeit, um Thassos zu erreichen, garantiert nicht nur den Bewohnern Besuche im Festland-krankenhaus oder größere Erledigungen – es sorgt im Gegenzug auch dafür, dass die nördlichste griechische Insel ein Geheimtipp bleibt. Für diejenigen, die die kurze Fährüberfahrt von Kavala nicht scheuen. "Eine einzige Ampel gibt es auf der Insel", erzählt Birgit Manolaki. Und selbst die ist milde gestimmt – "sie blinkt nur orange", sagt Manolaki, eine gebürtige Deutsche, die sich vor über 30 Jahren zunächst in einen Thassiten und dann in die Insel verliebte und seither hier lebt.

Der Käse kommt frisch aus den Bergen"Ruhe, schöne Strände, ein bisschen Wandern und gutes Essen" – das sind in den Augen der Auswanderin die Gründe, warum Urlauber auf die Ägäis-Insel kommen. Tatsächlich kann man für ein paar Euro in bester Strandlage gefüllte Weinblätter, gegrillten Tintenfisch, fantastisches Zaziki und mit Honig verfeinerten Feta-Käse genießen. Der Käse wird zum Teil direkt auf der Insel hergestellt. Giannis Kiriakoudis etwa hält 180 Schafe und 300 Ziegen. Den Familienbetrieb in den Bergen hat er von seinen Eltern übernommen. Seinen Käse, eine Art Feta aus einem Gemisch aus Schafs- und Ziegenmilch, verkauft er bislang nur im kleinen Stil: direkt ab Hof, vereinzelt auch an Tavernen auf der Insel. "Den besonderen Geschmack", so erzählt der 35-Jährige, "erhält der Käse durch die vielen Kräuter, die meine Tiere hier in den Bergen finden." Würzig und schön kühl ist der Käse eine Wohltat in der heißen Mittagssonne.

Aber reicht der Käse-Verkauf zum Leben? "Nein, wir müssen noch dazuverdienen", sagt Kiriakoudis. Diese Antwort sollten wir in den kommenden Tagen noch öfter hören. Womit die Einkünfte aufgebessert werden? "Wir bauen Oliven an und verkaufen sie für die Öl-Produktion. Außerdem haben wir Bienen – und stellen Honig her." Die Bienen-Kästen, in bunten Farben gestrichen, sieht man vielfach auf den Wiesen stehen, wenn man über die kleine Insel fährt.

Verfahren kann man sich nicht: Es gibt nur eine Straße rund um das Eiland – den "Inselring". In zwei Stunden hat man die 14000 Einwohner zählende Insel umrundet. Vorbei geht es an blühenden Mohn-Wiesen, Feigen hängen groß und reif an den Bäumen, der Jasmin duftet. Weiter oben an den Hängen sind noch die Spuren des großen Waldbrandes zu erkennen, der 2016 über Thassos fegte und das Gesicht der Insel an vielen Orten verändert hat. Quer durch das Eiland gibt es keine Straßenverbindung. Nur geübte Wanderer können sich das bergige Insel-Innere erarbeiten, gar den 1204 Meter hohen Ipsárion erklimmen. An den Inselrändern reihen sich die kleinen Ortschaften.

Im Dorf Panagía sitzen die Bewohner gerade beim Mittagessen. Eine Handvoll Tavernen, ein Supermarkt, zwei Souvenirläden – das ist der Dorfplatz. Vor dem ältesten Kafenion sitzt Alekos Kotsikelis auf einem der blauen Stühle. Mehrere Jahre lebte er in Deutschland. Als sein Vater das Café dann aufgeben wollte, überlegte er nicht lange: "Ich komme sofort", sagte er seinem Vater am Telefon, brach seine Zelte in Deutschland ab und kam zurück auf die Insel.

Auf seiner Kafenion-Terrasse sitzen nun ältere Herren, die Gesichter sonnengebräunt, weißes Haar, den Gehstock am Stuhl angelehnt. Die Gläser vor ihnen sind längst leer getrunken. An der Hausmauer hängt ein Foto der griechischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im Jahr 2004. Die Griechen holten damals den Pokal. Das Land feierte. 14 Jahre ist das her. Das Foto ist mittlerweile verblasst von der Sonne.

Das könnte man symbolhaft verstehen, zumindest wenn man Café-Betreiber Kotsikelis beim Erzählen zuhört. "In den letzten Jahren hat sich viel verschlechtert", sagt der 73-Jährige. Die Sache mit der EU und dem Euro. "Fast alles ist dadurch schwieriger geworden." Die hohen Steuern würden viele Geschäftsleute zur Aufgabe zwingen. Die Preise seien gestiegen, man könne sich fast nichts mehr leisten. Früher sei noch viel Gewinn abgesprungen, aber heute würde durch die Abgaben kaum mehr etwas übrig bleiben. "Schau doch", sagt Kotsikelis und deutet auf die älteren Herren an seinen Tischen. "Die Kunden kaufen sich einen griechischen Kaffee für einen Euro. Damit bleiben sie dann den ganzen Nachmittag sitzen und ratschen – wie soll ich davon leben?" Viele Griechen würden sich deshalb zu ihrem Hauptjob etwas dazu verdienen. Womit? Die Antwort kennen wir: "Bienen und Oliven."

Dennoch, da ist sich Kotsikelis sicher: "Auf Thassos geht es uns noch vergleichsweise gut." In den großen Orten auf dem Festland, wohin auch viele junge Thassiten zum Studieren gehen, da spüre man die Krise viel deutlicher. Hier auf der Insel müsse man eben versuchen, in der Hauptsaison so viel Geld zu verdienen, dass man damit auch über den Winter reicht. Da kommt dem Gastronom gelegen, dass in den vergangenen ein, zwei Jahren immer mehr Urlauber nach Thassos wollten.

Vor allem junge Urlauber zieht es dann an ein geologisches Schauspiel, das die Natur der Insel geschenkt hat: Gióla, ein Naturschwimmbecken, das inmitten von Felsen liegt und ans Meer grenzt. Wie schon die ganze Insel, so muss man sich auch Gióla erst erarbeiten: Über staubige Stichstraßen und Fußwege geht es zu dem Naturbecken.

Nachts muss schon mal die Notfähre ranDer Insel tut es gut, dass sie nicht stark überlaufen ist: An den Stränden findet man immer ein einsames Plätzchen, die Tavernen sind nicht überfüllt, die Preise sind fair, die Ausgrabungsstätten sind frei zugänglich, auf dem Inselring ist kaum Verkehr. "Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, von hier wegzugehen", sagt die deutsche Auswanderin Birgit Manolaki. Dass sie für manche Erledigungen die Insel verlassen müssen, daran haben sich die Thassiten längst gewöhnt. Auch Schwangere müssen für die Entbindung ins Krankenhaus aufs Festland. Auf Thassos gibt es nur eine kleine Krankenstation. Wenn es plötzlich eilt, wird nachts der Bereitschafts-Seemann aus dem Bett geklingelt und bringt die werdende Mutter per Notfähre nach Kavala. Auch die nächste Universität liegt auf dem Festland. Genauso die großen Diskotheken und Shopping-Center. Die Thassiten lächeln dazu selbstbewusst. Sie haben dafür etwas anderes – "das gemütlichere Leben".

INFORMATIONEN

Thassos ist die nördlichste bewohnte Insel der makedonischen Ägäis. In der Antike war sie wegen ihrer Goldminen und wegen ihres Marmors berühmt.

ANREISEN

Ab München fliegt Condor direkt in rund zwei Stunden nach Kavala. Nur wenige Minuten Fahrzeit sind es vom Airport zum Fährhafen. Die Überfahrt nach Thassos dauert etwa 40 Minuten.

ÜBERNACHTEN

Neue Anlage im Bungalow-Stil, mit mehreren Pools und direkt am Meer: Alea Hotel & Suites in Prinos. Bei Dertour gibt es sieben Übernachtungen inklusive Halbpension ab 266 Euro pro Person.

Mittelgroßes Haus mit drei neuen Suiten und sehr guter Küche: Agorastos in Kinira.

TIPPS

Limenas: Sehenswert sind die Überreste der Akropolis und des antiken Theaters oberhalb der Inselhauptstadt Limenas. Im archäologischen Museum von Limenas gibt es eine stattliche Anzahl von Fundstücken der Insel.

Bootstour: Verschiedene Anbieter tuckern die Küste entlang – und bereiten Grillfleisch an Bord zu.

Einkaufen: Oliven, Honig, Kleidung, Gemüse – jeden Montag ist Markt in Prínos.

Ausflug: Wer eine größere Stadt besuchen möchte, nimmt die Fähre nach Kavala. Die einfache Fahrt kostet 5,50 Euro, die Fähre verkehrt mehrmals am Tag zwischen Festland und Thassos.

www.visitgreece.com.

www.dertour.de

PNP-Redakteurin Jennifer Jahns erkundete Thassos auf Einladung von Dertour.