Berchtesgadener Land
Syrer mit zehn Flüchtlingen im Auto

30.01.2022 | Stand 21.09.2023, 4:38 Uhr
Hannes Höfer

−Foto: dpa

Seine Frau und die zwei Kinder leben seit vier Jahren in einem nordsyrischen Lager. Der 40-jährige Familienvater ist seit sechs Jahren in Deutschland. Das Angebot, mit einer Schleuserfahrt von Wien nach Deutschland Freiheit für seine Familie zu erreichen, nahm der Syrer im August vergangenen Jahres an. Doch am Grenzübergang am Kleinen Walserberg an der Bundesstraße 21 im Berchtesgadener Land war Schluss. Wegen versuchten Einschleusens stand der Mann nun vor dem Laufener Schöffengericht. Das schickte ihn für 20 Monate hinter Gitter.

In dieses kurdische Lager seien seine Familie und andere gekommen, weil man ihnen die Unterstützung der Terrororganisation Islamischer Staat unterstellt habe, schilderte der Angeklagte. Dort wieder rauszukommen, sei nur mit professionellen Helfern möglich. Eine solche "Hilfe" habe man ihm angeboten, als er jedoch die 5000 Euro nicht hatte aufbringen können, habe man ihm den "Job" als Fahrer vorgeschlagen.

Den alten rostigen Mercedes Vito hatte er von einem Mann in Siegen bekommen, von dem der Angeklagte behauptete, er sei der größte Schleuser in der Bundesrepublik und allein für 50 Prozent aller Schleusungen verantwortlich. In Wien hätte er eigentlich fünf Flüchtlinge aufnehmen sollen, doch plötzlich wären zehn Menschen aus verschiedenen Gruppen am Auto gestanden. Er habe sich wohl telefonisch darüber beschwert, sei aber dennoch losgefahren. Und war trotz vorausfahrendem Spähfahrzeug in die Kontrolle bei Bad Reichenhall geraten. Dort am Grenzübergang sagte er zunächst das, was alle ertappten Schleuser sagen: "Ich habe die Fahrgäste zufällig an der Tankstelle getroffen und wollte nur helfen." Keiner der syrischen Staatsbürger, die zwischen 400 und 1200 Euro für die Fahrt hinterlegen mussten, verfügte über die notwendigen Papiere. Die Chats und WhatsApp-Nachrichten auf dem Mobiltelefon waren von der Bundespolizei in Rosenheim ausgewertet worden. Vom Vorsitzenden Richter Martin Forster gefragt, ob man etwas über "die große Nummer" in Siegen wisse, antwortete der 44-jährige Beamte: "Das höre ich zum ersten Mal." Allerdings habe eine Frau aus Siegen drei Tage nach dem Aufgriff den Mercedes als vermisst gemeldet. Der Angeklagte berichtete, dass dieser Drahtzieher aus Siegen schon einmal in Laufen festgenommen worden sei. Einer der Geschleusten, ein 38-jähriger Lehrer aus Idlib, schilderte, dass der Fahrer und Angeklagte sichtlich überrascht über die große Zahl an Fahrgästen gewesen sei, von denen mindestens zwei ohne Sicherheitsgurt auskommen mussten. Eine 22-jährige Mathematiklehrerin war nach dem Aufgriff nach Österreich abgeschoben worden, ist aber zwischenzeitlich wieder nach Deutschland eingereist.

Der angeklagte Syrer ist kein unbeschriebenes Blatt. Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hatte er 200 Euro zu zahlen, wegen Betrugs 500 Euro und wegen gewerbsmäßigen Betrugs war eine zehnmonatige Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Es ging um Versicherungsbetrug mit der sogenannten Autobumser-Masche. Ein weiteres Verfahren in Saarbrücken war im Hinblick auf dieses Laufener Verfahren vorläufig eingestellt worden. "Es bleiben Fragen", fasste Staatsanwalt Nils Wewer seine Sichtweise zusammen, wenngleich er das Tatmotiv "Familie" zugunsten des Angeklagten werten mochte. Weil der Mann aber strafrechtlich mehrfach auffällig geworden war, beantragte Wewer zwei Jahre und acht Monate, die gar nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden könnten.

"Er hat Namen genannt und ein volles Geständnis abgelegt", würdigte Rechtsanwalt Udo Krause das Verhalten seines Mandanten. Es sei verständlich, dass er alles versucht habe, seine Familie aus dem Lager zu holen. Allein bei zwei nichtangeschnallten Insassen könne man nicht – wie die Anklage – von einer das Leben gefährdenden Behandlung sprechen. Der Verteidiger hielt die zunächst vereinbarten fünf Fahrgäste für glaubhaft, "aber er hat dem Drängen schließlich nachgegeben". Krause erachtete 16 Monate für ausreichend, und weil sein Mandant mit der fünfmonatigen U-Haft bereits einen "ordentlichen Denkzettel" erhalten habe, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.

Auch die drei Richter mochten davon ausgehen, "dass seine Geschichte im Kern wahr ist." So wahr wie die Vorstrafen. Erst im Februar 2016 in Deutschland angekommen, geschah die erste Tat im November 2016. Selbst eine Bewährung habe kein Umdenken gebracht. "Fehlende Regelakzeptanz" attestierte Forster dem Syrer, dessen aktueller dreijähriger Aufenthaltstitel im Oktober endet. Mit einer unbedingten Freiheitsstrafe könne der Mann lernen, "dass Gesetze auch für ihn gelten". Das Urteil über 20 Monate ist noch nicht rechtskräftig.