Der Provokateur
Regisseur Frank Castorf wird 70 Jahre alt

16.07.2021 | Stand 20.09.2023, 1:23 Uhr
Julia Kilian

Kunst muss man aushalten können, meint Regisseur Frank Castorf. −Foto: dpa

Kunstblut und Kartoffelsalat. Wenn beides zusammentrifft, landet man in der Theaterszene schnell bei seinem Namen. Frank Castorf, der frühere Leiter der Berliner Volksbühne, wird heute 70 Jahre alt. Die Theatergeschichte hat er maßgeblich geprägt. Aber was genau macht die Faszination aus? Und warum, um Himmels Willen, sind Castorfs Aufführungen immer so lang?

Die "New York Times" hat seinen Stil gerade beschrieben. Als Theatergast wisse man, was man bei Castorf zu erwarten habe. Castorf nimmt Klassiker auseinander und mischt sie mit anderen Texten, lässt seine Schauspieler gewaltige Passagen in den Zuschauerraum brüllen. Er bietet eine Performance in Marathonlänge. Die Inszenierungen können gut fünf, sechs Stunden sein. Oder länger.

Als Publikum kann man sich dem wie im Rausch hingeben. Man wird konfrontiert mit einer großen Überforderung, die spätestens ab Stunde drei etwas in einem auslöst. Dass Castorf die Texte verfremdet und mit anderen Werken mischt, brachte ihm den Ruf des "Stückezertrümmerers" ein. Und auch mal Ärger mit einem Verlag.

Castorf ist ein fast unauffälliger Typ mit grauen Haaren. In Bayreuth provozierte er mal lange Buh-Rufe (15 Minuten, so heißt es), mal viel Zustimmung. In einem YouTube-Video bekommt man einen Einblick in seine Arbeitsweise. Es zeigt Teile eines Konzeptionsgesprächs zu "Der haarige Affe" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Castorf sitzt an einem Tisch. Hinter ihm stehen ein paar Plastikflaschen, vor ihm liegen Bücher. Er redet über Poeten und Theatergeschichte, über die Wohlgefälligkeit der bürgerlichen Gesellschaft und King Kong, über authentisches Weinen und forcierte Theatralik. "Wenn es noch peinlicher als peinlich ist, dann entsteht Kunst", sagt er. "Dit’ muss man bloß aushalten."

Geboren wurde Castorf 1951 in Ost-Berlin. Nach seinem Studium der Theaterwissenschaften arbeitete er zum Beispiel in Senftenberg und Anklam. Später inszenierte er auch in Westdeutschland. 1992 wurde er dann zum Intendanten der Berliner Volksbühne und sein Haus schon kurz darauf zum Theater des Jahres gekürt. Als einer der ersten arbeitete er mit Videokameras. Damals eine ziemliche Sensation. Castorf leitete die Volksbühne 25 Jahre lang. Mittlerweile hat er sich mittlerweile an anderen Häusern ausgetobt. Er inszenierte zum Beispiel am Berliner Ensemble.

In der Feuilleton-Debatte wird Castorfs Arbeit beschrieben als enorm vitales, hoch musikalisches Schauspielertheater, das gerade nach den überstandenen Epidemiewellen die ganze Kraft der Live-Performance erlebbar mache – "und dabei unter Einsatz von herrlichstem Boulevard (der Kartoffelsalattanz!) und knausgardhaftem SMS-Gewitter schlicht überwältigt". "Frank Castorf wird also 70?", schreibt der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese,. "Bei Bob Dylan heißt das ,Never ending Tour‘... Herzlichen Glückwunsch!"

Julia Kilian