Wo Müll und Marc sich treffen
Pinakothek der Moderne mixt Heutiges mit Klassischer Moderne

Volles Risiko fährt die Pinakothek der Moderne mit ihrer Neupräsentation der Kunst der Klassischen Moderne

12.10.2020 | Stand 21.09.2023, 2:06 Uhr
Joachim Goetz

Picasso trifft auf Kunst unseres 21. Jahrhunderts: Die Pinakothek kombiniert Werke der Klassischen Moderne wie das Gemälde "Der Maler und sein Modell" von 1963 mit Arbeiten von Aaron Curry, rechts sein "Malfunction Man" von 2009. −Foto: Margarita Platis, Staatsgemäldesammlungen

Die Schau in den 13 Sälen im ersten Obergeschoss der Pinakothek der Moderne in München "Au Rendez-Vous des Amis" (Beim Treffen der Freunde) ist keine x-beliebige Ausstellung. Hier wird die heroische Zeit europäisch geprägter Kunst-Revolutionen – heute Klassische Moderne genannt – von einem staatlichen Museum sammlungstechnisch abgehandelt. Das ist ein Statement, keine lapidare Meinungsäußerung. Selbst wenn das Museum of Modern Art in New York mit seiner Neu-Präsentation nach dem Umbau vor einem Jahr das Muster dieser neuen Idee vorgab.

Was bringt dieseneue Nachbarschaft?Mit der Sammlung Goetz hat man sich in München nun einen temporären Partner ins Haus geholt, der die in der Sammlung fehlenden Zeitgenossen beisteuert. Was freilich ganz praktisch ist: Das Privatmuseum ist wegen Renovierung derzeit geschlossen, die Arbeiten mussten nicht von weit her rangekarrt werden und sind fürs Erste auch mal aufgeräumt.

So werden nun also Nolde, Picasso und die Surrealisten im Kontext mit Heutigem (oder zumindest Gestrigem) präsentiert. Was aber verspricht man sich von diesem Dialog, von der Konfrontation, vom freundlichen Miteinander, der Nachbarschaft?

Ist das erhellend, wenn man in Saal 11 neben Josef Albers’ zeitlos klassische Quadratbilder "Hommage to the Square" (etwa "Salute" von 1967 oder "Ritardando" von 1958) die faszinierenden Teppiche "A-Z Carpet Bed" (1995) von Andrea Zittel legt? Oder auf einem Ständer daneben ihre faszinierenden Kleider zeigt, die sich wie Stoff gewordene Gemälde von Piet Mondrian anfühlen, dem sie auch gewidmet sind?

Die Kuratoren (Oliver Kase von der Pinakothek und Karsten Löckemann von der Sammlung Goetz) wollten freilich mehr: etwa die von männlichen weißen Europäern geprägte klassische Moderne etwas auffrischen. Frauen, People of Color, gerne nicht-europäisch, kommen da gerade recht. So wurden also im Bauhaus-Saal zudem Oskar Schlemmer, Friedrich Vordemberge-Gildewart oder László Moholy-Nagy mit Takesada Matsutani, Tomma Abts, Rosemarie Trockel oder Katja Struntz künstlerisch verpartnert. Allein – so erscheint die Auswahl der Künstler in diesem Raum nicht gerade zwingend, vielleicht sogar beliebig. Macht aber nichts. Man möchte ja zeigen, dass in geometrische Kompositionen gebrachte Farben und Materialien zu vielen Zeiten und an vielen Orten auf dem Globus zu finden sind.

Langatmig erklärt mit aufgeplusterten Schrifttafeln wird da nichts. Kein überflüssiges Kunsthistoriker-Sprech. Die Werke sollen zusammen klingen, den Betrachter anregen – und vor allem die gewohnte Sichtweise auf die allseits bekannten Kategorien wie Surrealismus, Kubismus, Dadaismus durchbrechen.

Gut gelingt dies, wenn man etwa den Expressionisten Kirchner und Heckel, die sich ja von den in kaiserlich deutschen Völkerkundemuseen gezeigten ozeanischen und afrikanischen Plastiken kolonialistisch inspirieren ließen, eine moderne Kork-Plastik oder eine Collage der 1962 in Karatschi geborenen Pakistanerin Huma Bhabha gegenüberstellt. Oder wenn Louise Bourgeois die lebenslustige Boy Group der Brücke-Maler mit einer anzüglichen Doppelfigur aus Stoff, Titel: "Couple" (2003), der Bronze-Skulptur "Woman with a secret" (1947/49) oder gar mit einem halben Mann aus Bronze ("arched figure" von 1993) aufmischt.

So werden doch einige Ziele erreicht: Die ziemlich Flachware-lastige Sammlung des Museums wird skulptural aufgemöbelt, das inzwischen als zweifelhaft eingestufte Frauenbild von einigen der Brücke-Jungs pointiert kommentiert – und gleichzeitig auch die Tradition der figurativen Kunst ins 21. Jahrhundert verlängert.

Auch gut, wie etwa Franz Marcs spätes Ölgemälde "Tirol" (1914), in dem sich die spirituell aufgeladene Abstraktion im lediglich zu erahnenden Bild einer Madonna erkennen lässt, mit der riesigen Collage "Adieu Interessant (yellow)" des 1967 in Israel geborenen dänischen Künstlers Tal R nicht nur farblich auseinander setzt. Tal R, der seit 2005 an der Akademie in Düsseldorf unterrichtet und von dem auch ein originalgroßes grün lackiertes Heckenstück im Raum steht, komponiert seine Werke größtenteils aus Wohlstandsmüll – Bonbon- und Silberpapiere, Flaschen, alte Schuhe, Bierdosen, Hüte, Gemüse und allerlei Weggeworfenes.

Ähnlich schön die Konfrontation von Picassos Frauenporträts, Fernande Olivier und Dora Maar, mit den spielerisch dekonstruktivistischen Skulpturen des 1972 geborenen Aaron Curry und den Gemälden von Tobias Pils. Kubismus – ganz egal, ob analytisch, synthetisch oder in den 60er Jahren wieder aufgegriffen – ist bis heute eine inspirierende Quelle für bildnerisches Schaffen.

Ein Highlight ist Raum 12 mit dem Titel "Fabrik". Zu sehen sind etwa Fotografien von Albert Renger-Patzsch, darunter die Spinnereimaschinen-Fabrik Schubert & Salzer in Ingolstadt. Daneben drei großformatige Bilder von Carl Grossberg – "Laderampe", "Fabrikgelände", "weiße Tanks der Harburger Ölwerke". Dazu Franz Radziwills "Inselbrücke in Wilhelmshaven" (1934) und die "Muschelkalkmühle in Varelerhafen" (1937).

Die Realität ist im Museum angekommenDieser Faszination des aufkeimenden Industriezeitalters aus den 30er Jahren werden Fotografien von Stan Douglas aus dem Detroit der 90er Jahre gegenübergestellt. Zu sehen: die erschreckenden Auswirkungen des wirtschaftlichen, städtebaulichen, sozialen und kulturellen Verfalls dieser ehemals prosperierenden Stadt.

Auch die skulpturalen Experimente von Fischli/Weiss mit "Fabrik" von 1986 oder Manfred Pernice weisen in diese Richtung. So erinnern die 1997 aus diversen Holzbrettern mit Farbe und Lack zu ästhetisch überzeugenden Gebilden zusammengezimmerten Plastiken von Pernice nicht zuletzt an primitive Behausungen von Obdachlosen oder Slumhütten.

Womit dann auch die schnöde Realität im Museum angelangt wäre.

Joachim Goetz



•"Au Rendez-Vous des Amis. Klassische Moderne im Dialog mit Gegenwartskunst aus der Sammlung Goetz", bis 28. März 2021 in der Pinakothek der Moderne, München, Barerstr. 40, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr