Mit neuem Herzen auferstanden

28.07.2018 | Stand 20.09.2023, 2:08 Uhr

Der beste Blick auf Pittsburgh bietet sich von Mount Washington aus. Eine Standseilbahn fährt Besucher auf den Berg. Von dort können sie die Flüsse, Brücken und die Sportstadien bestaunen. Die Stadt hat in den letzten 30 Jahren den Wandel von der Stahl- zur grünen City vollzogen. − Fotos: de Silva

Als Stahlstadt gestürzt und von Tausenden Einwohnern verlassen, hat sich Pittsburgh neu erfunden – und zieht heute mit Bildung und High-Tech-Firmen viele junge Menschen an. Von Donald Trumps Abkehr vom Klimaabkommen hält man absolut gar nichts.

Aus hohen Schloten qualmte über hundert Jahre lang dicker Rauch über Pittsburgh. Hier – im amerikanischen Pendant zum Ruhrgebiet – schlug das stählerne Herz der USA. Als 1986 jedoch das letzte von einst über 60 Stahlwerken schließen musste, lag die Stadt im Westen Pennsylvanias am Boden. 64 Prozent der Arbeitsplätze waren seit Beginn der Stahlkrise in den 1970er Jahren verloren gegangen. Die US-Industrie konnte mit den Preisen am Weltmarkt nicht mehr konkurrieren. 500000 Einwohner verließen die einst so stolze "City of Steel" und ihren Rostgürtel auf der Suche nach neuen Jobs. Zurück blieben leere Häuser, Geschäfte ohne Kunden, Restaurants ohne Gäste, Schulen ohne Kinder. Eine Geisterstadt. Tristesse pur.

Dabei war Pittsburgh im frühen 20. Jahrhundert die industrielle Hauptstadt der USA. An der Börse wurde mehr Umsatz gemacht als an der New Yorker Wall Street. Die Flüsse Allegheny und Monongahela River, die im Zentrum der Stadt als Ohio River zusammenfließen, machten die Stadt zum Goldenen Dreieck mit Zugang zum Atlantik. Aus den nahen Bergen wurde Kohle zum Befeuern der Hochöfen per Schiff angeliefert und der aus den reichen Eisenerzvorkommen der Gegend produzierte Stahl zu den Abnehmern in aller Welt transportiert. Bodenschätze und gute Lage waren in der Krise aber nichts wert.

Zentrum für Robotik, Medizin und grüne EnergieDoch Pittsburgh hat sich neu erfunden. In rund 30 Jahren hat die gefallene Stahlmetropole es geschafft, wie Phoenix aus der Asche aufzuerstehen, Abschied von alten Industrien zu nehmen und sich ein junges, grünes, digitales Herz zuzulegen. In den USA gilt sie als Musterbeispiel für gelungenen Strukturwandel. Wiedergeboren als Zentrum für neue Technologien, Robotik und Digitales haben Pittsburghs Politiker aus früheren Fehlern gelernt.

Musste die Stadtverwaltung noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits mittags die Straßenlaternen anzünden, weil die Luft vom Kohlenstaub schwarz war, macht die Stadt heute mit sauberem Wasser, guter Luft und energieneutralen Gebäuden wie dem Frick Environmental Center von sich reden. Litten viele Anwohner früher an den Umweltsünden des unregulierten Industriemolochs, haben sich nun viele Unternehmen angesiedelt, die grüne Energien entwickeln, medizinische Forschung betreiben. Die hochmodernen Unikliniken finden landesweit Patienten.

Schmutzige Jobs in Stahl- und Kohlewerken, wie von US-Präsident Donald Trump propagiert, wollen die gut qualifizierten Pittsburgher nicht zurück. Die Arbeitslosigkeit in der 305000-Einwohner-Stadt beträgt 3,5 Prozent. Als der demokratische Bürgermeister Bill Peduto nach Trumps Kündigung des Pariser Klimaabkommens bekundete, seine Stadt werde weiter am CO2-Ziel des Vertrags festhalten, fügte er hinzu, dass 2016 bei der Präsidentschaftswahl 80 Prozent der wahlberechtigten Bürger Pittsburghs Hillary Clinton gewählt hätten.

In Rankings der Wirtschaftsmagazine "Forbes" und "Economist" wurde Pittsburgh in den letzten Jahren zu einer der lebenswertesten Städte Nordamerikas gekürt. Mit fünf aus dem In- und Ausland frequentierten Universitäten und Niederlassungen von High-Tech-Firmen wie Google, Amazon und Uber, die um die Absolventen der Hochschulen buhlen, bietet die Stadt Studenten wie Berufsanfängern beste Startmöglichkeiten.

Noch dazu zu günstigen Lebenshaltungskosten. "Wem New York zu teuer ist, der findet heutzutage in Pittsburgh günstigen Wohnraum und kann sich abends auch das Ausgehen leisten", bestätigt PR-Assistentin Julia Millman. Im Emil’s, einem Traditions-Lokal, hat sie sich einen Backfisch-Burger für sieben Dollar bestellt. Große Portionen sind Standard – allein der Fisch wiegt ein Pfund. Im Cinderland gibt’s nach der Uni ein Pils für vier Dollar. In der Garage unter der Bar brauen Paul Schneider und Will Tippens exklusiv für die Gäste jedes Jahr sechs bis sieben Hektoliter Bier. Malz, Hopfen und Gerste dazu werden aus Bayern importiert.

Altes Stahlwerk inspiriert zu Graffiti und Guerilla-Kunst Mit den jungen Leute kam nach der Jahrtausendwende nicht nur Neues, auch Altes wurde wiederbelebt. Verwaiste Kinos, Theater und Häuser wurden aufpoliert, verfallene Eisengießereien zu Industriedenkmälern umgewidmet. Ron Barff, Sohn eines Stahlarbeiters, bietet mit der Organisation "Rivers of Steel" Führungen durch die Ruine der Carrie Furnaces an, um "die Identität Pittsburghs zu erhalten". Jugendliche, die sich einst verbotenerweise Zutritt zu der abgesperrten Industriebrache verschafften, haben das auch getan und aus herumliegenden Materialien wie Blechen und Stahlseilen ein überdimensionales Reh geformt. Das Carrie Deer ist das populärste Guerilla-Kunstwerk in Pittsburgh. Die Ästhetik rostigen Eisens inspiriert Fotografen, aber auch Musiker, Tänzer und Modedesigner. Vor den Stahlkesseln gibt es im Sommer Open-Air-Events wie Rockkonzerte und Modeschauen. Pittsburghs Graffiti-Künstler nutzen die alten Mauern im Stahlwerk, um ihre Botschaften zu sprayen, aber auch die Brandschutzwände im Strip Distrikt, dem bunten Ausgeh-Viertel mit Clubs, Cafès, Souvenirshops und fliegenden Händlern, zieren riesige Street-Art-Gemälde.

Mit der überall sichtbaren Kunst liegt Pittsburgh in der Tradition des bekanntesten Sohnes der Stadt – der Pop-Art-Ikone Andy Warhol (1928 – 1987). Dem hier geborenen Kind polnischer Einwanderer zu Ehren hat die Stadt das weltweit größte Museum für einen einzelnen Künstler errichtet. Über sieben Stockwerke und mit 4000 Kunstwerken wird sein Werdegang präsentiert. Neben den berühmten Pop-Art-Portraits vieler Hollywoodstars und der Serie mit Campbell-Dosensuppen sind auch unbekannte Werke Warhols sowie alle Videoinstallationen zu sehen.
Eine Ikone der britischen Jugendliteratur kommt dem Besucher in den Sinn, wenn er auf die Cathedral of Learning zuschreitet. Der 42-stöckige Turm der Universität von Pittsburgh, obwohl schon 1936 eröffnet, erinnert an das Zauberinternat Hogwarts aus den Harry-Potter-Filmen. Die über drei Etagen offene Halle dient den Studenten als Lesesaal. Von der Gewölbedecke hängen riesige Kronleuchter herab und wie Schulleiter Albus Dumbledore wandelt im wallenden Gewand Maxine Bruhns (94) durch die Hörsäle. Sie ist seit 53 Jahren Direktorin der internationalen Klassenzimmer, die im Stile vieler Länder – darunter Österreich, Israel,Amerikanisches Hogwarts und eine deutsche Seilbahn Japan – eingerichtet sind. Im deutschen Klassenzimmer erinnern in Stein gemeißelte Namenszüge an Komponisten wie Bach und Beethoven und Bleiglasfenster an die Märchen der Gebrüder Grimm.

Überall in Pittsburgh und dem Umland finden sich die Spuren europäischer Einwanderer. Vom deutschen Ingenieur Samuel Deischer konstruiert fährt seit 1877 die Standseilbahn "Duquesne Incline" Touristen auf den Mount Washington. Von der Aussichtsplattform am Berg bietet sich ein spektakulärer Blick auf die Stadt mit ihren Flüssen, den Sportstadien der Pittsburgh Pirates, Penguins und Steelers, Hochhäusern und Hügeln mit viktorianischen Villen sowie den 446 Brücken.

Kein Wunder, dass Pittsburgh in den Batman-Filmen Kulisse für Gotham City war oder dem Tanzepos Flashdance Arm-und-Reich-Kontraste bot. Den beeindruckenden Reichtum an Kultur verdankt Pittsburgh den Industriellen des 19. Jahrhunderts. Die Geschäfte von Eisenbahn-Unternehmer Henry Clay Frick, Ketchup-Tycoon Henry John Heinz und Banker Andrew Mellon liefen so gut, dass sie versuchten, sich als Stifter immer größerer Museen, Parks und Konzerthäuser zu übertrumpfen. Andrew Carnegie, der als bettelarmer Einwanderer mit 12 Jahren aus Schottland kam, wurde zu einem der reichsten Männer der Welt. Im Bild der Stadt hat sich der Stahlbaron mit einem Kunst- und Naturkundemuseum verewigt. Sein Geschäftspartner Henry Phipps jr. stiftete den Botanischen Garten, in dem seine Arbeiter am Wochenende zwischen Bäumen und Blumen frische Luft tanken konnten.

INFORMATIONEN

Pittsburgh liegt im Bundesstaat Pennsylvania im Nordosten der USA.

ANREISEN

Condor bietet drei Mal die Woche von Frankfurt Direktflüge nach Pittsburgh.

ÜBERNACHTEN
Im Distrikt Hotel Pittsburgh (4 Sterne) residiert man ganz modern in einem früheren Veteranenhospital.

AUSFLUGSTIPPS

Mit Harmony und Saxonburg gibt es im Umland von deutschen Auswanderern gegründete Dörfer, die in Heimatmuseen präsentieren, welche technischen Ideen die Neubürger damals mit in die USA gebracht haben. In Butler County kann man im Morain State Park Kanu fahren und Stand Up Paddeln.

www.visitpittsburgh.com

www. visitbutlercounty.com

PNP-Redakteurin Christine de Silva reiste auf Einladung von Visit Pittsburgh in die Geburtsstadt von Pop-Art-Ikone Andy Warhol.