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Lebensmittelpreise in Kenia steigen: Wenn Suppe nur aus Wasser besteht

02.12.2021 | Stand 21.09.2023, 0:13 Uhr
Philipp Hedemann

Ernährungsexpertin Habiba Mohamed vermisst die kleine Zamzam im Medina Gesundheitszentrum in Garissa. Bei dem Mädchen machen sich langsam erste Erfolge bemerkbar. Dank der kalorienreichen Erdnusspaste, die sie von Unicef regelmäßig im Gesundheitszentrum erhält, nimmt sie endlich zu. −Fotos: Hedemann

Weil ihre Mutter nicht genug Essen für Ibrahim (2) und Zamzam (3) hat, erhalten sie von Unicef Spezialnahrung für unterernährte Kinder. Die Corona-Krise hat Lebensmittel in Kenia für arme Menschen unbezahlbar gemacht.

Wenn ihre Kinder vor Hunger mal wieder weinen und nicht einschlafen können, sammelt Nunay Müll und ein paar Holzstückchen zusammen und entzündet ein kleines Feuer. In einem verbeulten Topf erhitzt sie dann Wasser und tut so, als würde sie kochen. Doch das Wasser ist die einzige Zutat ihrer Suppe. Sie lässt es so lange kochen, bis ihre Kinder mit knurrendem Magen eingeschlafen sind. Ihren Töchtern und Söhnen zu sagen, dass sie wieder einmal nichts zu essen für sie hat, bringt sie nicht übers Herz. Nunay ist eine von Tausenden Müttern in der Region Garissa, deren Kinder so stark mangelernährt sind, dass sie von Unicef mit Spezialnahrung unterstützt werden müssen – bisher geht die kenianische Regierung von gut 8100 Kindern aus, die Zahl dürfte noch steigen.

Mit sorgenvoller Miene stellt Ernährungsexpertin Habiba Mohamed Nunays Sohn Ibrahim auf die Waage. Mit zweieinhalb Jahren wiegt er gerade mal 9,5 Kilo. Normal wären in diesem Alter mindestens 13 Kilo. Als nächstes wird seine Schwester Zamzam gewogen. Mit dreieinhalb Jahren bringt sie es auf 12,2 Kilo. Gesunde Mädchen in ihrem Alter wiegen rund 15 Kilo. Seit zwei Monaten sind die beiden jüngsten von fünf Geschwistern im ambulanten Programm für unterernährte Kinder im Medina Gesundheitszentrum in Garissa. Alle zwei Wochen werden sie hier von Habiba Mohamed gewogen und gemessen, außerdem misst die Ernährungsexpertin mit einem speziellen Maßband den Umfang der Oberarme der unterernährten Kinder. Weil die Werte der Geschwister kritisch sind, erhält die alleinerziehende Mutter für ihre unterernährten Kinder jeweils einen hochkalorischen Riegel aus Erdnusspaste pro Tag. Die therapeutische Spezialnahrung soll ihnen helfen, Gewicht zuzulegen und Kraft und Energie zu bekommen.

Vater setzte sich vor einem Jahr mit der Viehherde ab

Während Zamzam seit der Teilnahme am Ernährungsprogramm schon leicht zugenommen hat, zeigt die Gewichtskurve bei Ibrahim sogar leicht nach unten. Noch kann der Zweijährige ambulant behandelt werden, aber sollte er nicht sehr bald endlich an Gewicht zulegen, muss Habiba Mohamed ihn möglicherweise zur stationären Behandlung für besonders stark unterernährte Kinder an das Bezirkskrankenhaus von Garissa überweisen.

"Auf jeden Fall lassen wir Euch nicht im Stich", sagt Habiba Mohamed zu Nunay. Die 32-jährige Ernährungsexpertin, die mit dem dritten Kind schwanger ist, ist für Nunay nicht nur medizinische Ratgeberin, sondern auch tröstende Stütze. Einen Mann, der ihr hilft, Essen für die Kinder zu besorgen, und der die Sorgen mit ihr teilt, hat die 30-Jährige nicht mehr. Vor einem Jahr verließ der Nomade die fünffache Mutter. Alle Tiere und die älteste Tochter, die ihm beim Hüten helfen und schon bald einen möglichst hohen Brautpreis einbringen soll, nahm er mit. Weil ihr Mann sie oft geschlagen hat, macht Nunay sich jetzt große Sorgen um ihre Älteste. "Er hat sich nie erkundigt, wie es seinen vier jüngsten Kindern und mir geht und ob wir überhaupt noch leben", sagt Nunay und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Völlig auf sich alleingestellt, machte sie sich damals mit ihren Kindern zu Fuß auf den Weg in die rund 50 Kilometer entfernte Bezirkshauptstadt Garissa. Ibrahim und Zamzam, ihre beiden Jüngsten, hat sie bei Temperaturen bis 40 Grad auf dem schattenlosen Marsch durch die ausgedörrte Savanne dabei fast die gesamte Zeit getragen. In Garissa fand sie mit ihren Kindern in einer aus Ästen und Lehm errichteten winzigen Hütte Unterschlupf.

Wenn es gut läuft, bleiben ihr am Tag 40 Cent

Als sie noch mit ihrem Mann und den Kamelen, Ziegen, Schafen und Rindern auf der Suche nach Wasser und Futter durchs ausgetrocknete Land zog, konnte sie ihren Kindern fast jeden Tag Milch geben, Ibrahim und Zamzam hat sie gestillt. Doch weil sie selbst kaum noch satt wird und sie sich große Sorgen um ihre Kinder macht, gibt ihre Brust schon lange keine Milch mehr, und Tiere zum Melken hat sie nicht mehr.

Jetzt kauft Nunay täglich drei Liter Milch im Geschäft. Auch wenn ihre Kinder sie anflehen, ihnen etwas davon abzugeben, bleibt Nunay hart. Sie teilt die Milch in kleinere Portionen auf und verkauft sie am Straßenrand. Wenn es gut läuft, bleiben ihr an einem Tag 50 Kenianische Schilling, umgerechnet rund 40 Cent. Läuft es schlecht, dürfen ihre Kinder am Ende des Tages doch ein bisschen Milch trinken.

"Viele gucken nur noch nach ihrer eigenen Familie"

Auch in Kenia ist es unmöglich, vier Kinder und eine Mutter mit 40 Cent satt zu kriegen. Mittagessen haben Nunays Kinder schon lange nicht mehr bekommen, abends reicht es meist für etwas Reis mit Bohnen oder Injera, einem Fladenbrot aus gegorenem Hirseteig. Richtig satt werden die Kinder fast nie, Nunay isst oft gar nichts.

Wenn die Kinder vor Hunger mal wieder laut weinen, teilt manchmal ein mitfühlender Nachbar sein Essen mit der hungernden Familie. "Aber seit durch Corona die Lebensmittelpreise gestiegen sind und viele Angst haben, sich anzustecken, gucken viele nur noch nach sich und ihrer eigenen Familie", sagt Nunay. Immer öfter kocht sie deshalb Wassersuppe und hofft, dass ihre Kinder erschöpft eingeschlafen sind, bevor die Flammen unter dem verbeulten Topf erloschen sind.