Kritik aus der Opposition
Kohle, Wasser, Wind: So sieht Söders grüne Zukunft für Bayern aus

21.07.2021 | Stand 21.09.2023, 4:56 Uhr

Ein Hochwasser-TÜV soll künftig das Überschwemmungsrisiko in Bayerns Kommunen bewerten.

Ministerpräsident Markus Söder legt neue Eckpunkte für mehr Klimaschutz in Bayern vor – und greift dabei tief ins grüne Füllhorn.

Die Regierungserklärung können Sie hier im Video sehen und im Liveticker nachlesen.


Eigentlich steht Bayern beim Klimaschutz gar nicht so schlecht da, findet Ministerpräsident Markus Söder (CSU). "Beispielsweise beim CO2-Verbrauch: Bayern hat drei Viertel weniger CO2-Verbrauch als der Bund", sagte Söder. Zudem sei Bayern "Spitze bei erneuerbaren Energien – wir sind deutscher Meister bei der Sonne, der Photovoltaik", mit doppelt so viel installierter Leistung wie im grün-regierten Baden-Württemberg und sechsmal so viel wie in Hessen oder Rheinland-Pfalz.



"Wir sind führend bei der Geothermie, führend bei der Wasserkraft – 63 Prozent der erzeugten Wasserkraft in Deutschland kommt aus Bayern", so Söder. Und selbst beim Wind liege Bayern auf Platz acht – vor Baden-Württemberg auf Platz elf. Zudem sei Bayern "führend bei den natürlichen CO2-Speichern" und "Waldland Nummer eins in Deutschland". Bei den Hochmooren liege der Freistaat auf Platz zwei, und die bayerische Landwirtschaft habe geradezu Modellcharakter in Deutschland. "Bei den Öko-Bauern liegen wir mit 28 Prozent auf Platz eins."

Unter Verweis auf das Extremwetter der zurückliegenden Tage mahnt er gleichwohl: "Jeder muss es jetzt sehen: Das Klima ändert sich rasant." 2018 sei das wärmste Jahr seit 139 Jahren gewesen, 2019 sei es neunmal in Folge zu warm gewesen, "seit 2011 ist es in Bayern zu trocken", das Land befinde sich "im Klima-Stress", so Söder. In den zurückliegenden 70 Jahren sei die Durchschnittstemperatur um zwei Grad gestiegen, die Hitzetage nähmen zu, die Frost- und Schneetage ab.

50 Maßnahmen in fünf zentralen Sektoren

Das zeige sich besonders in den Alpen, die "ein Brennglas des Klimawandels" seien: Die bayerischen Gletscher gebe es in zehn Jahren nicht mehr, jede Minute schmelzen 500 Liter. Die Folge: Der Permafrost verschwinde, Steinschläge und Abgänge nähmen zu. Daher müssten die bereits begonnenen Klimaschutz-Maßnahmen schneller umgesetzt und zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, forderte Söder gestern in seiner Regierungserklärung im Landtag. "Wir brauchen einen Klima-Ruck", so der weiß-blaue Regierungschef.

Eine Milliarde Euro im kommenden Jahr und insgesamt 22 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040 will Söder einsetzen, um die bayerischen Klimaziele zu erreichen. Die lauten: Klimaneutralität des Freistaats bis 2040, Klimaneutralität der Staatsregierung bereits bis 2023, Reduktion der Treibhausemissionen um 65 Prozent bis zum Jahr 2030. Das sei "ein sehr ambitioniertes Ziel", findet Söder. Zumal Klimaschutz "kein Eliteprojekt werden" und Klimaschutz und Wohlstand nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. "Ich möchte einen Sprung in die Zukunft – nicht einen Schritt zurück in die Steinzeit."

Und er wolle nicht Ideologien folgen, sondern der Wissenschaft, die Chancen der Innovationen nutzen statt mit Verboten arbeiten. "Leitplanken ja – aber keine Stoppschilder", sagte Söder.
Konkret sieht sein Klimaprogramm 50 Maßnahmen in fünf zentralen Sektoren vor: Erneuerbare Energien, natürliche CO2-Speicher, Klima-Bauen und Klima-Architektur, smarte und nachhaltige Mobilität sowie moderne Klimaforschung und Clean-Tech (saubere Technologien).

Kohleausstieg:

Was erneuerbare Energien betrifft, will Söder "nach der Bundestagswahl einen Neustart wagen". Unter anderem müsse geprüft werden, ob der Kohleausstieg nicht schneller gehe – 2030 statt 2038, so Söder. Und weil er keinen Blackout in Bayern riskieren wolle, gehe es nicht ohne Stromleitungen. Deshalb solle es hier beschleunigte Genehmigungen geben – durch 45 Prozent mehr Planungskapazitäten.

Photovoltaik:

Was das Thema Photovoltaik (PV) angehe, wolle er auf staatlichen Dächer eine Vervierfachung der PV-Anlagen, 1300 statt 340, und eine Verdoppelung des 10.000-Häuser-Programms, also 40.000 Förderungen privater PV-Speicher im kommenden Jahr. Zudem solle es entlang von Autobahnen, an Lärmschutzwänden, Einhausungen, auf Fahrbahnbelägen, Parkplätzen und derlei Infrastruktur eine PV-Offensive geben. Und auch in der Landwirtschaft gehe noch mehr, findet Söder, und spricht von Agri-Photovoltaik – einer Kombination von Landwirtschaft und Solarparks. Für Söder allerdings auch klar: Für Neubauten solle es künftig eine PV-Pflicht geben.

Geothermie:

Riesiges Potenzial sieht der bayerische Regierungschef auch in der Geothermie. "Bayern sitzt auf einer Wärmflasche", sagte Söder – und meinte das geologische Molassebecken. Dies gelte es mehr zu nutzen. Bis 2050 ließen sich 25 Prozent des bayerischen Wärmebedarfs alleine dadurch decken.

Windkraft:

Weiter problematisch sieht Regierungschef Söder das Thema Windkraft. Zwar erwartet er mindestens 500 neue Anlagen, aber eine komplette Abkehr von der 10-H-Regel (Abstand entspricht zehnfacher Höhe) will er nicht – lediglich eine Reform und den Abbau von Genehmigungshindernissen. Vor allem im Staatswald sieht er hier mehr Potenzial als bisher. Zugleich wies Söder darauf hin, dass die Frontlinie in Sachen Windkraft selbst zwischen den Klimaschützern und Artenschützern verlaufe.

Natürliche Speicher:

Als natürliche CO2-Speicher sollen Moore, Wald und Wasser mehr in den Fokus rücken. Durch Sanierung beziehungsweise Wiedervernässung von 55.000 Hektar Moorflächen soll die CO2-Speicherung verbessert werden, ebenso im Wald durch Verdoppelung des Waldumbaus und der Erstaufforstung. In der Landwirtschaft will Söder ein Programm für Humuserhalt und -aufbau.

Wasser:

Besonders in den Fokus nahm Söder das Thema Wasser – davon habe Bayern "manchmal zu wenig, manchmal zu viel". Eine Anspielung darauf, dass Bayerns Wälder im Allgemeinen und Teile Frankens im Besonderen seit Jahren unter erheblicher Trockenheit leiden, derzeit aber Sturzfluten für Katastrophensituationen sorgten.

Beim Hochwasserschutz brauche es einen Hochwasser-TÜV und insgesamt ein "neues Wasserlenkungsmanagement": Um den schonenderen Umgang mit Wasser zu forcieren, will Söder einen "Wasser-Cent" – fünf Euro im Jahr, die ins Thema Wasser reinvestiert würden. Derlei, so Söder, gebe es in 13 von 16 Bundesländern.

Holzbau:

Angekündigt hat Söder zudem eine Holzbau-Offensive. Demnach soll der Staat mit Holz bauen, wo immer es möglich ist. Bis zum Jahr 2030 sollen 50 kommunale Holzbau-Vorhaben pro Jahr gefördert werden, für mehrgeschossiges Bauen mit Holz sogar 400 Vorhaben pro Jahr. So soll die Holzbauquote auf 20 Prozent gesteigert werden. Zudem soll es beim staatlichen Hochbau grundsätzlich Klimafassaden geben. Zudem soll auf staatlichen Flächen "Urban Farming" (Lebensmittelproduktion im städtischen Ballungsgebiet) vorangetrieben werden, für "Urban Gardening" sollen Demonstrationsgärten in über 40 bayerischen Städten gefördert werden. Vorangetrieben werden sollen zudem "City Greening", also Stadtbegrünung, und "Indoor Farm", eine Modellfarm zur Gemüseproduktion.

Mobilität:

Was Mobilität angeht, so zeigte sich Söder überzeugt, dass der Verbrennungsmotor bereits deutlich vor 2030 keine Rolle mehr spiele: "Bayern ist Elektromobilitätsland", mit enormen Zuwachsraten bei zugelassenen Elektrofahrzeugen. 70.000 Ladesäulen will Söder bis zum Jahr 2030 – zehnmal so viele wie heute. Zudem geplant: Eine Ladesäulen-Offensive an Behörden, insgesamt 1500, die zu 100 Prozent mit Ökostrom betrieben werden.

Smart und nachhaltig soll Mobilität in Bayern aber auch durch den ÖPNV im Allgemeinen und der Bahn im Besonderen werden: 850 Kilometer sollen elektrifiziert und stillgelegte Nebenstrecken reaktiviert werden. Und: Im Rahmen einer Bahn-Offensive sollen Diesel-Loks mit grünem Treibstoff betrieben werden – bis 2030 soll es eine Verdoppelung von drei auf sechs Strecken geben (bisher geplant: Fränkisches Seenland, Augsburg, Chiemgaubahn).

Ziel ist zudem bis 2040, dass alle Busse und Bahnen in Bayern grün angetrieben werden. Bereits bis 2030 solle es eine Verzehnfachung der Klimabusse auf 400 neue jährlich geben. Und auch das Thema Rad will Söder vorantreiben – durch (aufgeständerte) Schnellradwege, die Förderung für Radwege zwischen Kommunen, neue Radwege auch ohne Bezug zu bestehenden Straßen und ein Jobrad-Modell für staatliche Beschäftigte.

Forschung und saubere Technologie:

Weil Söder nach eigenem Bekunden wissenschaftsbasiert unterwegs sein will, sollen moderne Klimaforschung und Clean-Tech in Bayern gestärkt werden. Beim Thema Wasserstoff etwa setzt Söder auf sechs bayerische Projekte mit europäischer Dimension sowie das Technologie-Anwenderzentrum Wasserstoff in Pfeffenhausen zwischen Landshut und Ingolstadt. Und im Übrigen, so Söder, solle nicht das Fliegen verteufelt werden – wenn man auf synthetische Kraftstoffe setze, ließe sich derlei klimaneutral betreiben. Sein Ziel: Bau einer weltweit einzigartigen Demonstrationsanlage in Bayern, die bis 2030 insgesamt 35000 Tonnen produzieren kann.

Kritische Reaktionen der Opposition

Der Fraktionschef der Landtags-Grünen, Ludwig Hartmann, erklärte, er habe in Söders Rede "wenig Neues gehört". Bäume zu umarmen reiche nicht, "machen statt reden ist das Gebot der Stunde", mahnte er. AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner befand, Söder sei "geistig vergrünt", und SPD-Fraktionschef Florian von Brunn attestierte Söder, "Absichtserklärungen retten nicht das Klima". FDP-Fraktionschef Martin Hagen schließlich sagte: "Ein Bundesland im Alleingang bis 2040 klimaneutral zu machen ist reine Symbolpolitik ohne jeden Effekt auf das globale Klima", die Regierungserklärung "dient ausschließlich der Profilierung des bayerischen Ministerpräsidenten".