Würzburg
Jung hält Vorwürfe um "rituellen Missbrauch" für plausibel

16.06.2021 | Stand 20.09.2023, 22:24 Uhr
Der Würzburger Bischof Franz Jung bei einem Pressegespräch. −Foto: Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/archivbild

Der Würzburger Bischof Franz Jung hält den Vorwurf des "rituellen Missbrauchs" in einem Kinderheim, in dem Erlöserschwestern arbeiteten, für plausibel. Das gründete vor allem auf "Informationen der Missbrauchsbeauftragten der Diözese Würzburg und auf persönlichen Gesprächen des Bischofs mit der Betroffenen", sagte der Sprecher der Diözese Würzburg, Bernhard Schweßinger, am Mittwoch. Zuvor hatte die "Main-Post" berichtet.

Vergangene Woche wurden Vorwürfe von Übergriffen durch Geistliche und Nonnen im ARD-Politikmagazin "report München" in dem Heim in Würzburg bekannt, die vor etwa 40 und über 50 Jahren passiert sein sollen. Nonnen der Kongregation Schwestern des Erlösers waren bis Mitte der 90er in dem Heim tätig.

Als rituellen Missbrauch bezeichnet man schwere sexuelle, physische und emotionale Übergriffe, die "mit wiederkehrenden Symboliken, gleichförmigen Handlungen und kultisch-rituellen Vollzügen" einhergehen, wie eine Kommission des Bundestages 1998 definierte.

In dem Fernsehbeitrag berichtet eine 61-Jährige, die als Sechsjährige für mehrere Monate in der Einrichtung lebte: "Ich lag hier als Kind auf einer Matratze und hier standen vier Männer. Ein Priester, der fotografiert hat, mit Blitz, hier dieser Typ im Bischofsgewand und zwei andere noch, auch Priester."

Ein anderer Betroffener sagte, dass er schwer körperlich misshandelt worden sei. Eine Nonne bestätigte gegenüber "report München" einen sexuellen Missbrauch an dem Jungen sowie "körperliche Züchtigung". Sowohl der Orden der Erlöserschwestern als auch das Bistum Würzburg haben Aufarbeitungskommissionen angekündigt. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen 2019 in beiden Fällen wegen Verjährung eingestellt.

Man arbeite mit Hochdruck an der Kommission, sagte eine Sprecherin der Erlöserschwestern am Mittwoch. "Wir nehmen die Aussagen von Betroffenen sehr ernst und gehen jedem Vorwurf detailliert nach." "Rituellen Missbrauch" durch Geistliche halte die Kongregation auf der Basis der vorliegenden Unterlagen und auf Aussagen noch lebender Ordensschwestern jedoch für nicht plausibel.

Ordensschwestern hätten berichtet, dass in dem Heim keine Geistlichen lebten, angestellt oder seelsorgerisch für Kinder zuständig waren, schreibt die "Main-Post" und beruft sich auf Aussagen der Kongregation. "Daher ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass Geistliche mit den Kindern Kontakt hatten oder gar nachts ins Heim gekommen sein sollen. Die Geistlichen hatten keinen Schlüssel für das Gebäude", wird die Sprecherin der Erlöserschwestern zitiert.

"Was Bischof Jung intern geprüft hat, wissen wir nicht", sagte die Sprecherin der Erlöserschwestern auf Anfrage. Die Kongregation habe Bischof Jung Ende Mai um ein Gespräch gebeten. Das Bistum erklärte, Gespräche zur Klärung der Vorwürfe seien mit den Schwestern geplant.

Der Therapeut Jörg Jaegers hat Betroffene von rituellem Missbrauch behandelt und hält auch ein Netzwerk zwischen Schwestern und Geistlichen für möglich. Ob es Verbindungen von Würzburger Heimkindern nach Oberammergau gibt, müsse noch geprüft werden. "Es gibt aber Hinweise aus dem Betroffenenkreis", sagte Jaegers der "Main-Post".

Die Staatsanwaltschaft München II hatte im Februar nach Missbrauchsvorwürfen in zwei früheren Kinderheimen in Oberammergau und Feldafing in Oberbayern Vorermittlungen eingeleitet. Im Raum stehen Vorwürfe der Gewalt, des sexuellen Missbrauchs und der Zwangsprostitution in den 1960er und 1970er Jahre. Das Heim in Oberammergau wurde damals von Nonnen geleitet, deren Orden schon wegen Missbrauchsvorwürfen in Speyer in die Schlagzeilen geraten war.

Vorwürfe gegen Frauen seien dem Therapeuten Jaegers zufolge immer noch ein Tabu. "Aber Betroffene erzählen von Ordensschwestern, die sie ebenso missbraucht hätten wie Mönche und Priester. Und oft seien sie gemeinsam daran beteiligt gewesen. Oder von Schwestern, die es wussten und billigten."

© dpa-infocom, dpa:210616-99-19641/3