Umstrittener Polder
IG bei Podiumsdiskussion in Osterhofen: "Mit Sinn und Verstand fluten"

06.07.2022 | Stand 20.09.2023, 6:31 Uhr

Die grüne Linie zeigt den geplanten Hochwasserschutz. Die blauen Areale decken Gebiete ab, die möglicherweise geflutet werden. −Foto: WIGES

Der Polder Ruckasing-Endlau und Künzing sorgt für erhitzte Gemüter. Wieder war er Thema bei einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Osterhofen.

"Städtebau ist Trumpf, dafür wird unsere Heimat zum Sumpf", hieß es am Dienstagabend auf einem der Plakate vor der Osterhofener Stadthalle. Der Polder Ruckasing-Endlau und Künzing sorgt für erhitzte Gemüter. Die Pläne von Wasserwirtschaftsamt und Wasserbaulicher Infrastrukturgesellschaft WIGES sehen einen offenen Polder vor. Die "IG gleicher Hochwasserschutz für alle" will einen gesteuerten Polder. Bei einer Podiumsdiskussion stellten beide Seiten ihre Argumente und Planungen in der fast voll besetzten Stadthalle vor. Die Stadt richtete die Veranstaltung aus, OZ-Redaktionsleiterin Gabi Schwarzbözl übernahm die Moderation.

"Wir wollen die Möglichkeit, zuzusperren", so Andrea Scheday von der IG. "Sie dürfen uns fluten, aber mit Sinn und Verstand." Werde das entsprechende Areal geflutet, handle es sich um eine Fläche vergleichbar mit der des Tegernsees, argumentierte Josef Kühmeier (IG): "Uns wird die Chance genommen, dass wir keinen Tegernsee im Polder haben." Jeder kenne das Hochwasser-Risiko, aber dieser Bereich sei niemals so überflutet gewesen. Andrea Scheday sagte: "Wir werden zum Überschwemmungsgebiet gemacht." Würden die Deiche Oberstrom brechen, würde ein 100-jährliches Hochwasser hier gar nicht ankommen.

"Gefahr, dass Leute in die Irre geleitet werden"

WIGES-Geschäftsführer Dr.-Ing. Markus Schmautz meinte dazu: "Ich sehe eine Gefahr, dass Leute in die Irre geleitet werden, weil sie meinen, es wird schlechter bei ihnen." Das sei bei niemandem im Polder der Fall: "Alle erhalten eine Verbesserung." Das größte Problem sei derzeit ein Deichbruch – und der sei künftig ausgeschlossen. "Dieser Raum hatte 2013 Glück, aber die Bewohner mussten auf einen Deichbruch oben hoffen." Auch das sei dann nicht mehr der Fall, denn die "Kappung des Scheitels trifft durch Hochwasserrückhalteräume ein".

Siegfried Ratzinger vom Wasserwirtschaftsamt ging weiter auf das 100-jährliche Hochwasser ein. Nur weil ein solches noch niemand im Raum erlebt habe, treffe es dennoch statistisch gesehen alle 100 Jahre ein. Ob der Deich bei einem 200- oder 500-jährlichen Hochwasser halte, so Markus Schmautz (WIGES), sei nicht gesagt. Er stellte aber die Frage in den Raum: "Was passiert heute, wenn ein 200-jährliches Hochwasser kommt?"

"Kein Fakt, dass der Deich bricht"

Prof. Dr.-Ing. habil. Hans Helmut Bernhart, der im Auftrag der IG ein Gutachten erstellt hat, stimmte zu: "Es wird besser im Vergleich zum Deichbruchszenario." Von genau diesem Szenario will die IG allerdings nicht ausgehen. "Es ist kein Fakt, dass der Deich bricht", sagte Josef Kühmeier.

Derzeit wären laut WIGES-Berechnungen im Fall eines 100-jährlichen Hochwassers 2385 Gebäude, darunter 755 Wohngebäude, betroffen. Nach dem Ausbau würden 727 Wohngebäude den vollwertigen HQ100-Schutz erhalten. 28 Wohngebäude wären weiterhin betroffen, die Überschwemmung könne in manchen Bereichen aber geringer ausfallen. Andrea Scheday (IG) findet: "Für mein Haus ist es egal, ob es acht oder 50 Zentimeter unter Wasser steht." Bei ihr und ihren Mitstreitern werde geflutet, damit andere zu 100 Prozent geschützt sind. Markus Schmautz erklärte: "Nicht jeder wird den HQ100-Schutz bekommen." Das sei nicht nur hier so.

Andere Optionen zum Objektschutz geprüft

Ob die 28 Wohnhäuser anderweitig geschützt werden könnten, hat sich die WIGES angesehen, so Schmautz. Weil die Anwesen auf Hochpunkten gebaut und das Gelände, auf dem man einen zusätzlichen Schutz errichten könnte, tiefer liegt, sei das keine Option – es wäre eine zwei Meter hohe Mauer nötig: "Das schaut furchtbar aus und ist viel zu teuer." Ein individueller Objektschutz sei möglich, in dem Fall sei die Kostenübernahme aber Individualaufgabe der Besitzer. Die gewonnen Erkenntnisse habe die WIGES veröffentlicht.

Wieso aber ist ein gesteuerter Polder keine Möglichkeit?, ist die Frage der IG. Dr.-Ing. Katharina Maier (WIGES) erklärte, dass eben die Gründe, die für einen offenen Polder sprechen, gegen einen gesteuerten sprechen würden. Die Planung unterliege dem gesetzlichen Gebot der Wiederherstellung und Erhaltung von Rückhalteflächen – mit dem aktuellen Plan könne diesem am besten entsprochen werden. Hinzu kommt, dass bei einem offenen Polder ein erhöhtes Risiko für Unterlieger vermieden wird. Auch das Nutzen-Kosten-Verhältnis spiele eine Rolle – bei einem geschlossen Polder sei das "wesentlich schlechter". In dem Zusammenhang fragte Josef Kühmeier: "Wer priorisiert diese Ziele? Und warum?" Siegfried Ratzinger stellte bei der Priorisierung die Gefährlichkeit der Situation heraus. Man wolle vermeiden, dass schlagartig eine Flutwelle kommt.

70 Kilometer Flusslänge betrachten

Eines ist der IG besonders ein Dorn im Auge: Prof. Bernhart errechnete im Zuge seines Gutachtens, dass sich die Donauwelle durch einen offenen Polder um zehn Kubikmeter pro Sekunde verkleinert. Für die IG macht das kaum einen Unterschied zum geschlossenen Polder. Markus Schmautz (WIGES) stimmt zu: "Das ist sehr wenig." Die zehn Kubikmeter pro Sekunde dürfe man aber nicht einzeln betrachten. Es gehe um 70 Kilometern Flusslänge. "Jede Maßnahme für sich ist klein, in Summe kommt aber mehr dabei heraus." Zudem handle es sich um eine "vermeidbare Erhöhung": Für die Unterlieger dürfe sich die Situation nicht verschlechtern, ansonsten sei das Vorhaben nicht genehmigungsfähig. Die Passauer und Österreicher hätten bereits Einsprüche gegen die geplante Maßnahme eingelegt.

Bezüglich der Kosten für den geplanten offenen Polder ist sich die IG sicher, "dass viele Kosten nicht eingerechnet wurden." Denn: Pleinting und Künzing bräuchten einen zusätzlichen Hochwasserschutz und der sei nicht berücksichtigt. Markus Schmautz bezog sich hierbei wieder auf das Nutzen-Kosten-Verhältnis. Bei einem Hochwasserschutz nur für Künzing seien die Kosten für die Baumaßnahmen höher als der Nutzen. Laut Siegfried Ratzinger liegen die Kosten bei rund 10 Millionen Euro. Es sei möglich, dass der Schutz in zehn bis 15 Jahren noch gebaut wird. Das Wasserwirtschaftsamt habe der Gemeinde deshalb Flächen zur Verfügung gestellt, um sicherzugehen, dass diese nicht bebaut werden.

Weiterhin erkundigte sich die IG danach, wie sich die geplante Maßnahme auf das Baurecht in den Gemeinden auswirken würde. Ratzinger erklärte, dass dieses angepasst werde – die Kommunen dürften in den Bereichen, die durch die Maßnahme einen HQ100-Schutz erhalten, auch bauen.

− cls