Passauer Premiere
Ich, das Ungeziefer: Sigi Zimmerschieds "Heil – vom Koma zum Amok" + Video

10.04.2019 | Stand 19.09.2023, 23:07 Uhr

"Alle zwei Jahre ein neuen Programm – ihr könnt euch nicht immer nur auf mich verlassen!", sagt ein wutentbrannt resignierter Sigi Heil alias Sigi Zimmerschied im Scharfrichterhaus. Sein Spiel mit Fiktion und eigener Biografie ist frappierend und wirft Rätsel auf. Fotografen waren in Passau nicht zugelassen, am Ende forderte Zimmerschied das Publikum jedoch zum Fotografieren und Filmen auf. Ein Video sehen Sie hier inm Online-Artikel. −Foto: rmr

Ein halbes Jahr nach seinem 65. Geburtstag und neun Wochen nach der Premiere in München spielte Kabarettist Sigi Zimmerschied am Dienstagabend sein neues Stück "Heil – vom Koma zum Amok" zum ersten Mal in seiner Heimat – und lieferte seinen Gästen viel Stoff zum Grübeln. Wie meint er das, wenn er am Ende sagt: "In der Welt des Humors regiert der Mob. Ihr könnt euch nicht immer nur auf mich verlassen! . . . Das ist Sterbehilfe, was ich hier mache . . . Es ist absolut sinnlos . . ."



Seltsamerweise aber fällt die Koketterie über Sinn und Ende des Schuftens auf der Bühne zusammen mit der Frage, die sich bei der Premiere schon zur Pause aufdrängt: Wie lange und wie oft kann und will ein Schauspieler eine derartige allabendliche Energieleistung abrufen, die Mittvierziger schon an die Grenzen führen würde? Der Furor und die Wut einer Zimmerschied-Figur wie Sigi Heil – der Töten zum Beruf gemacht hat und die Schädlingsbekämpfung nicht allein aufs Tierreich begrenzt sehen will, der sich ("Oh Scharia hilf!") den Islamisten anbietet als "Ungläubigenbeseitiger im Raum Passau", der zwecks Steinigung seine Kontakte zum Granitwerk Kusser spielen lässt, der seine Einsamkeit am 65. Geburtstag so lange mit "Lusenhex" bekämpft, bis sich die Gäste halluzinatorisch einstellen – das lässt sich nicht kraftsparend "spielen". Die Emotionen müssen körperlich und seelisch empfunden und durchlebt sein, damit sie so wirken wie sie wirken: gewaltig und wahrhaftig.

Dem Publikum rückt er im Finale, als sein Komasaufen in einen Amoklauf im Scharfrichterhaus umschlägt, auf die Pelle, bis es mitschwitzt: "Wie heißt du? . . . Alfred . . . Da werden die Leut sagen: Der unschuldige Alfred! Ja, warum denn der? Wer hat denn den Alfred so zugerichtet?" Im Stile eines Christchurch-Täters will er das angekündigte Schlachten fotografieren, filmen und verbreiten lassen: "Aufstehen! Smartphone raus! Die Leute brauchen das, das ist ein Grundnahrungsmittel geworden!" Das Volk gehorcht. Was für ein grausiger Moment, was für ein großes Theater, das den Kleinkunstkonsumenten in die Rolle des Terrorgaffers zwingt. . .

•Weitere Auftritte im Scharfrichter: 11., 21., 13. April, 7., 8., 14., 15., 29. Juni, 6., 13., 20., 27. Juli, 8., 9., 29. November. Zudem 5.10. Burghausen, 16.11. Frauenau, 22.11. Bad Reichenhall, 23.11. Braunau.