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Haßelmann über Abwehrschirm: „Es wird einen Härtefallfonds geben“

13.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:39 Uhr

Britta Haßelmann ist Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. −Foto: Kappeler, dpa

Von Thomas Vitzthum

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, hat über den 200-Milliarden-Abwehrschirm hinaus weitere Hilfe für bedürftige Unternehmen und Verbraucher zugesagt.



Frau Haßelmann, ein Monat Entlastung, das ist alles, was sich die Menschen für diese Heizperiode laut den Vorschlägen der Gaskommission erwarten können. Ist das nicht zu wenig?
Britta Haßelmann: Die technische Umsetzung der Gaspreisbremse wird kompliziert, das haben alle gewusst. Die Experten-Kommission hat erklärt, dass dies nicht vor März möglich sein wird. Umso wichtiger ist es deshalb, den Menschen jetzt in einem ersten Schritt kurzfristig mit der Übernahme einer Abschlagszahlung Anfang Dezember zu helfen. Wir werden jetzt als Fraktion und in der Ampel die Vorschläge der Kommission prüfen und die Umsetzung beraten.

Die Hilfe entspricht in der Höhe dem September-Abschlag. Der Rabatt muss versteuert werden. Die Last einer vollen Heizperiode bleibt doch fast dieselbe?
Haßelmann: Die Übernahme der Abschlagszahlung ist eine schnelle und wirksame Hilfe. Aber nicht die einzige Maßnahme, mit der wir die Menschen unterstützen. Wir haben in den vergangenen Monaten bereits zwei Entlastungspakete in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen. Diese Hilfe kommt auch an. Und wir wissen, dass das nicht ausreicht. Deshalb verhandeln wir mit den Ländern über das dritte Paket.

Das Entlastungspaket 3 soll ein Volumen von 65 Milliarden Euro haben. Es wurde vor dem Abwehrschirm beschlossen. Ist es noch aktuell?
Haßelmann: Die Beratungen mit den Ländern laufen noch. Zusätzlich legen wir mit Blick auf die Energiepreise mit dem Vorschlag der Gaskommission nach. Vorschläge zur Energiepreissenkung werden hier sicher aufgehen. Wir entlasten und unterstützen in dieser Krise nach Kräften und steuern an der einen oder anderen Stelle immer wieder nach.

Mittelstand und Handwerk sollen auch erst ab März von der Gaspreisbremse profitieren. Die Industrie ab Januar. Ist das fair?
Haßelmann: Mittelstand und Handwerk, die kommunalen Krankenhäuser und sozialen Einrichtungen brauchen genauso Unterstützung wie die Großindustrie. Das ist klar, das ist vereinbart. Es muss aber technisch auch umsetzbar sein. Darüber werden wir diskutieren. Die Übernahme des Abschlags ist für ein energieintensives Handwerksunternehmen nicht nichts. Bis die Hilfen stehen, werden das Energiekostendämpfungsprogramm und die KfW-Förderungen fortgeführt. Es wird einen Fonds für Härtefälle geben. Und wenn das nicht reicht, steuern wir nach. Hilfsprogramme aus der Corona-Pandemie können da eine gute Vorlage sein.

Auf Ihrem Parteitag am Wochenende in Bonn wird ein Antrag verhandelt, der Friedensverhandlungen mit Russland fordert. Wie stehen Sie dazu?
Haßelmann: Ich bin überzeugt, dass auf dem Parteitag ein klares Signal zur Unterstützung der Ukraine geben wird: wirtschaftlich, humanitär und mit Waffen. Friedensverhandlungen sind in weiter Ferne. Aktuell bombardiert Russland willkürlich ukrainische Städte. Putin ist der Aggressor. Wir müssen der Ukraine noch mehr helfen.

Wie?
Haßelmann: Unsere Haltung ist klar: Wir müssen prüfen, was wir tun können. Das betrifft humanitäre Hilfe, Sanktionen und auch Waffenlieferungen. Wir stimmen uns mit unseren Bündnispartnern ab und schauen, wo wir noch mehr machen können. Auch beim Wiederaufbau. Das unterstützt die Breite meiner Partei.

In Bonn wird auch über die Notfallreserve der AKWs abgestimmt. Was lässt Sie eigentlich annehmen, dass wir die Reaktoren im Winter 2024 nicht mehr zum Erhalt der Netzstabilität brauchen?
Haßelmann: Netzstabilität ist das entscheidende Stichwort. Um die zu gewährleisten sollen die zwei süddeutschen Reaktoren bis 15. April als Einsatzreserve dienen. Dass die FDP dies nun verhindert, ist unverantwortlich. Im Winter 2023/24 werden wir die AKWs für die Netzstabilität nicht mehr benötigen. Wir werden dann einige Schritte weiter sein. Die gesetzlichen Grundlagen für die anderen Rahmenbedingungen haben wir in den vergangenen Wochen gelegt: Netzausbau, Energieeinsparung und Effizienz, Lastmanagement und vor allem dem Ausbau der Erneuerbaren. In einem Jahr ist viel möglich. Wir sehen in Frankreich: Atomenergie hat keine Zukunft. Dort müssen wir derzeit mit Energielieferungen helfen, weil fast die Hälfte aller Reaktoren kaputt ist oder aus anderen Gründen vom Netz genommen werden mussten.