Traunstein/Berchtesgadener Land
Freie Wähler nominieren erstmals Bundestags-Direktkandidatin

Andrea Wittmann tritt an – Premiere nicht unumstritten

16.03.2021 | Stand 21.09.2023, 21:48 Uhr
Markus Müller

Andrea Wittmann aus Truchtlaching soll für die Kreisvereinigungen der Freien Wähler Traunstein und Berchtesgadener Land als Direktkandidatin für den Bundestag ins Rennen gehen. Die Bundestagswahl ist am 26. September. Das Bild zeigt sie bei ihrer Bewerbungsrede in der FW-Bundeswahlkreisversammlung in Seeon. −Foto: Müller

Andrea Wittmann aus Truchtlaching will am 26. September für die Freien Wähler (FW) in den Bundestag einziehen. Die FW-Kreisvereinigungen Traunstein und Berchtesgadener Land nominierten die 48-jährige dreifache Mutter, Touristikfachwirtin und bekannte Musikerin am Montagabend mit 11:1 Stimmen als Direktkandidatin für den Bundestagswahlkreis Traunstein 225, der die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land umfasst.

Es ist das erste Mal, dass die hiesigen Freien Wähler einen eigenen Wahlkreisbewerber für eine Bundestagswahl nominiert haben. Die Aufstellungsversammlung fand coronabedingt im kleinen Kreis unter Einhaltung der geltenden Corona-Hygieneregeln in der Brauerei "Camba Bavaria" in Seeon statt.

"Mit Andrea Wittmann haben wir eine optimale Kandidatin gefunden – sie ist hier zuhause, sehr engagiert und hat einen hohen Bekanntheitsgrad", freute sich der Traunsteiner Kreisvereinigungs-Vorsitzende Hans Stoiber und gratulierte ihr zur Nominierung. Man sei froh, dass sie die Kandidatur auf sich nehme – wohlwissend, dass der Wahlkampf kein Honigschlecken werde. "Ich fürchte nichts", warf Wittmann mit einem Schmunzeln ein und bedankte sich für das Vertrauen. "Unterstützt sie, sie wird ihr Bestes geben, und wir werden viel Positives daraus ziehen", so Stoiber. Als Wahlleiter fungierte der Grabenstätter Gemeinderat Dr. Martin Brunnhuber. Der Wahlvorschlag muss nun noch eingereicht und von der Kreiswahlbehörde abgesegnet werden.

"Das Feld nicht anderen überlassen"

"Es wäre verantwortungslos, bei einer so wichtigen Wahl das Feld anderen zu überlassen", betonte Wittmann in ihrer Bewerbungsrede mit Blick auf die politischen Parteien am rechten und linken äußeren Rand. Deswegen habe sie sich entschlossen, "bei der Bundestagswahl für uns Freie Wähler anzutreten, der Partei aus der Mitte mit gesundem Menschenverstand". Laut Wittmann, die 2020 den Einzug in den Traunsteiner Kreistag verpasste, werde es Zeit, dass der Handel, vor allem Einzelhändler, Gastronomie, Hotels, Dienstleister und die Kultur wieder belebt werden. "Kunst und Kultur sind kein Luxus, sondern notwendige Nahrung für die Seele. Ohne Kunst und Kultur verroht der Mensch", so die passionierte Kirchenmusikerin.

Wenn man sich die Prognosen der kommunalen Haushalte anschaue, komme man zu der Einschätzung, dass die Corona-Krise erst 2022 und ’23 so richtig durchschlagen werde. Derzeit sei nicht absehbar, ob am Ende die wirtschaftlichen oder die gesellschaftlichen Schäden schwerer wiegen werden, so Wittmann. Angesichts des in Deutschland voranschreitenden demografischen Wandels brach sie eine Lanze für die Pflegeberufe, die attraktiver gemacht werden müssten. Christliche Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung und Gerechtigkeit sind ihr ganz wichtig. Abschließend wünschte sie sich, dass "ich uns gut vertrete, etwas bewirken kann und dass ihr mich draußen mit unterstützt. Ihr Kommunalpolitiker seid die Experten vor Ort."

"Wir haben einst die Kreisvereinigung der Freien Wähler Traunstein gegründet, weil wir eine Beteiligung an Bundestagwahlen verhindern wollten", hatte der stellvertretende Traunsteiner Kreistagsfraktionsvorsitzende der Freien und Unabhängigen Wähler, Dr. Lothar Seissiger, vor der Nominierung kritische Töne angeschlagen. Es könne und dürfe nicht sein, dass die Freien Wähler Bayern auf Bundesebene kandidieren. "Wir haben da im Kreisverband eine andere politische Überzeugung", stellte Seissiger klar. Seine Kritik richte sich aber ausdrücklich nicht gegen die "ehrenwerte Kandidatin Wittmann", die er persönlich kenne und sehr schätze.

Engagement im Bund? Zeiten haben sich geändert

"Wir Freien Wähler müssen auf jeder politischer Ebene eine Kontaktperson und einen Ansprechpartner haben, um Projekte besser umsetzen zu können", betonte hingegen der junge Berchtesgadener Kreisrat Daniel Längst. Gerade die jungen Leute würden es nicht verstehen, warum man bei Kommunal-, Bezirks- und Landtagswahlen antrete, aber nicht bei Bundestagswahlen. Es gelte, die Erfolge nun auch auf Bundesebene zu übertragen.

"Die Zeiten haben sich geändert", meinte auch der Vorsitzende der Kreisvereinigung Berchtesgadener Land, Dietrich Nowak, in Bezug auf Sessigers Wortmeldung. Er freue sich, dass "wir eine Direktkandidatin aus unserer Mitte gefunden haben – was Besseres als Andrea Wittmann hätte uns gar nicht passieren können".

Auch der stellvertretende Berchtesgadener Landrat und stellvertretende FW-Bezirksvorsitzende Michael Koller freute sich über Wittmanns Nominierung. Man müsse nun auch nicht mehr fürchten, einen Kandidaten "von außen" vorgesetzt zu bekommen. Gerade die erfolgreiche Landtagswahl in Rheinland-Pfalz sei für die Freien Wähler "ein gutes Signal, diesen Schwung müssen wir mitnehmen", so Koller.

Man habe heutzutage in der Politik Probleme, junge Leute zu motivieren, deswegen müsse man "auf allen Ebenen sichtbar und mit eigenen Kandidaten präsent sein, Flagge zeigen und sich einmischen", sagte der stellvertretende Ortsvorsitzende der Freien Wähler Traunreut, Sepp Blank. Zu sagen "wir halten uns da raus", sei sicherlich der verkehrte Weg.

"Wir haben bisher immer einen vernünftigen Spagat geschafft und werden das auch jetzt wieder hinkriegen", meinte Stoiber in Bezug auf die unterschiedlichen Auffassungen des FW-Kreisverbandes Traunstein und der FW-Kreisvereinigung Traunstein zur Bundestagswahl. Dass es bei den Freien Wählern unterschiedliche Meinungen und kontroverse Diskussionen gebe, sei gut und wichtig für eine funktionierende Demokratie. Die Stimmenverluste der etablierten, großen Parteien seien auch auf Bundesebene eine Chance für die Freien Wähler, betonte Stoiber.

ZUR PERSON

Andrea Wittmann absolvierte von 1989 bis ’92 eine Ausbildung in der Tourist-Information in Seebruck und machte ihren Abschluss zur Reiseverkehrskauffrau. Während einer weiteren beruflichen Station in einem Reisebüro in Ruhpolding machte sie eine Weiterbildung zur Touristikfachwirtin bei der IHK München, die sie 1995 erfolgreich abschloss. Von 1995 bis 2021 arbeitete sie dann als Angestellte im Kultur- und Bildungszentrum Kloster Seeon und war dort zuständig für Kongressmanagement, Organisation von Events und Incentives, Controlling, Kultur-, Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit. Seit 2014 ist sie für die Firmen Braukon und Camba Bavaria in Seeon tätig.

Ihr fünfjähriges Kirchenmusikstudium an der Universität Mozarteum Salzburg schloss Wittmann 2002 mit dem 1. Diplom (B-Prüfung) ab. Seit ihrem zwölften Lebensjahr gestaltet sie an Wochenenden mit viel Herzblut Gottesdienste. Kirchenmusikerin im Pfarrverband Seeon-Seebruck-Truchtlaching ist Wittmann seit 1998. Nach eigenen Angaben war sie schon immer politisch interessiert. Den Einzug in den Traunsteiner Kreistag verpasste sie 2020 relativ knapp. Wittmann ist Chiemsee-Gästeführerin und seit 2015 auch Biersommelière. Freiberuflich plant und gibt sie seit 1992 Konzerte, leitet diverse Chöre und Ensembles, moderiert und macht Projekte für Funk und Fernsehen.